Nörr, Knut Wolfgang, Romanisch-kanonisches Prozessrecht. Erkenntnisverfahren erster Instanz in civilibus. Springer, Heidelberg 2012. XVII, 241 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Knut Wolfgang Nörr hat sich wenige Jahre nach seiner Dissertation in München bei Johannes Heckel über Kirche und Konzil bei Nicolaus de Tudeschis (Panormitanus) mit 31 Jahren bei Wolfgang Kunkel und Siegfried Grundmann mit einer grundlegenden Schrift zur Stellung des Richters im gelehrten Prozess der Frühzeit (Iudex secundum allegata non secundum conscientiam iudicat) habilitiert. Trotz zahlreicher Interessen für andere gewichtige Sachgegenstände hat ihn diese Thematik lebenslang begleitet. Von daher war eine zusammenfassende Darstellung aus seiner Feder seit langem ein allgemeines Desiderat.

 

Unmittelbar nach dessen Einlösung hat das schlanke Buch dementsprechend großes Interesse mehrerer sachkundiger Rezensenten erweckt. Ihren Ausführungen vorzugreifen, steht dem Herausgeber naturgemäß nicht wirklich an. Vielleicht darf er aber doch aus eigenem Interesse vorweg auf den wichtigen Inhalt in wenigen Sätzen hinweisen.

 

Gegliedert ist die Arbeit außer in die kurze Einleitung, die wichtige Grundfragen kurz und klar bescheidet, die Quellen beschreibt sowie drei methodische Bemerkungen voranstellt, und ein knappes Schlusskapitel in sechs Sachkapitel. Dabei schildert der Verfasser als erstes die am Verfahren beteiligten Personen (Richter, Auditor, Assessor, Notarius, Hilfspersonen, Kläger, Beklagter, Streitgenossen, Drittbeteiligte und Prozessvertreter wie Procurator, andere Prozessvertreter und Advocatus. Zwar war es in diesem Zusammenhang regelmäßig Sache der Parteien, sich des Beistands eines Advokaten zu versichern, unter bestimmten Voraussetzungen hatte jedoch der Richter von Amts wegen für die Heranziehung eines Anwalts zu sorgen, wobei das Partikularrecht die justinianischen und kanonistischen Grundlagen sowohl bestätigen wie auch ausbauen konnte und der Richter der Partei einen Advokaten vor allem dann bestellte, wenn sie zu arm für die Aufbringung des Honorars war oder wegen der Stellung der Gegenseite einen Anwalt nicht finden konnte.

 

Das eigentliche Verfahren ist dann bestimmt vom Reihenfolgeprinzip der Ordnung und der Terminsequenz mit Fristen und Formen sowie der Prozesshandlung. Im Einzelnen unterscheidet der Verfasser in die beiden Verfahrensabschnitte bis zur litis contestatio und von der litis contestatio bis zum Endurteil. Das Urteil selbst behandelt er durch das fünfte Kapitel.

 

Dem allgemeinen Verfahren schließt der Verfasser das vereinfacht-summarische Verfahren an, wobei er die Clementine Saepe überzeugend herausstellt und zu dem Ergebnis gelangt, dass  der Richter im vereinfachten Verfahren nicht mehr Prozessherrschaft hat als im allgemeinen Verfahren. Im Schlusskapitel 35 werden die Aufgaben der Beteiligten bilanzierend im Hinblick auf das Streitobjekt und das Verfahren verteilt (Dispositionsmaxime, Verhandlungsmaxime, Beweisführung durch die Parteien abgesehen vom Augenschein). Als Grundproblem des Verfahrensrechts werden am Ende Gründlichkeit und Zügigkeit einander gegenübergestellt.

 

Insgesamt bietet der Verfasser eine klare, abgewogene, neue Darstellung eines wichtigen Rechtsgebiets in seiner frühen Ausbildung. Zwar war längst noch nicht alles bekannt, was das heutige Zivilprozess ausmacht, doch wurde das meiste in seinen Grundzügen bereits gesehen, angesprochen und vorbereitet. Da der Verfasser dies in souveräner Art und Weise darlegt, wird sein vorzügliches Arbeitsergebnis nicht nur die gesamte Diskussion der Gegenwart prägen, sondern auch in den wesentlichen Zügen international lange Bestand haben können.

 

Innsbruck                                                                   Gerhard Köbler