Gursky, André, Rechtspositivismus und konspirative Justiz als politische Strafjustiz in der DDR (= Treffpunkt Philosophie 11). Lang, Frankfurt am Main2011. X, 460 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Der in Eisleben 1959 geborene Verfasser war nach dem Studium der Philosophie und Geschichte in Halle mit dem Abschluss als Diplomphilosoph 1985 an einer Parteischule der Sozialistischen Einheitspartei tätig, die er aber nach einer Eingabe an das Zentralkomitee der Partei verlassen musste. Danach nahm er eine „Tätigkeit in einem Eisenhüttenwerk“ wahr (und zwar genauer in Thale in der Erwachsenenbildung). Zu einem nicht näher angegebenen Zeitpunkt des denkwürdigen Jahres 1989 wurde er mit einer Befristung Assistent an der Universität Halle.

 

Seit 1994 leitet er die Gedenkstätte „Roter Ochse“ in Halle, die sich mit der Aufarbeitung der politischen Verfolgung unter der nationalsozialistischen und der einheitssozialistischen Herrschaft befasst. Die vorliegende - über mehrere Jahre entstandene - außerplanmäßige, von Gunnar Berg motivierte und von Matthias Kaufmann betreute Arbeit wurde von der philosophischen Fakultät I der Universität Halle im Februar 2010 als Dissertation angenommen. In ihrem Mittelpunkt steht das System der politischen Strafjustiz in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik mit den Fragen, auf welche rechtsphilosophischen Implikationen die politische Justiz in der sowjetischen Besatzungszone/Deutschen Demokratischen Republik seit dem Kriegsende 1945 zurückgeführt werden kann, woraus das Selbstverständnis im einheitssozialistischen Staat resultiert, auf der Grundlage einer sozialistischen Gesetzlichkeit die Humanität gesellschaftlicher Beziehungen (erst) ermöglicht zu haben und wie sich das Verhältnis von Recht und Moral im realen Sozialismus einer poststalinistischen, im Traditionsbezug auf Marx, Engels und Lenin auf die Verwirklichung des Kommunismus abzielenden Gesellschaft begründete und gestaltete.

 

Die Besonderheit der Untersuchung besteht nach dem Verfasser in der Zusammenschau rechtsphilosophischer und rechtstheoretischer Positionen in der Perspektive eines strafrechtlichen Ermittlungsorgans (Ministerium für Staatssicherheit), das in einem - wie in westlichen Demokratien - ausgeprägten Verständnis der Gewaltenteilung außen vor blieb. In seinen vier Kapiteln  behandelt der Verfasser Themenspezifik und einige Bemerkungen zur Methode, Gesellschaftskritik und Gerechtigkeit bei Marx, die normative Begründung rechtlicher Grundlagen in der marxistisch-leninistischen Staats- und Rechtsphilosophie (Recht ist, was dem Staate nützt) einschließlich der Rechtsstelle des Ministeriums für Staatssicherheit aowie abschließend die Frage, ob der sozialistische Rechtsstaat DDR eine Legende sei. Im Ergebnis beurteilt er die Charakterisierung des sozialistischen Rechtsstaats DDR als bloße Legende als zu kurz greifend, zieht die Bezeichnung als ideologische Klammer für Aufstieg und Verfall des SED-Staates vor und fügt Anhänge im Umfang von rund 150 Seiten (darunter etwa ein Vorschlag zur Verpflichtung eines IM-Kandidaten Hermann Klenner) an seine aus der Sicht eines langjährigen Sachkenners verfasste, mit einem Bild des Roten Ochsen von etwa 1845 geschmückte Betrachtung an.

 

Innsbruck                                                                                           Gerhard Köbler