Griesser-Pečar, Tamara, Maribor/Marburg an der Drau. Eine kleine Stadtgeschichte. Böhlau, Wien 2011. 372 S., Abb. Besprochen von Werner Augustinovic.

 

Als einer der bevorzugten Siedlungsräume der ehemals habsburgischen Untersteiermark und Zentralort des nunmehrigen slowenischen Verwaltungsbezirks Štajerska steht Marburg an der Drau - heute unter der Bezeichnung Maribor nach der Hauptstadt Ljubljana/Laibach (mit im Jahre 2008 ermittelten 116769 Einwohnern) die zweitgrößte Stadt der Republik Slowenien - im Jahr 2012 in einem besonderen Fokus: Gemeinsam mit der portugiesischen Kleinstadt Guimaräes genießt die untersteirische Draumetropole den Status der aktuellen Kulturhauptstadt Europas. Unter diesem Gesichtspunkt erweist es sich als glückliche Fügung, dass nunmehr mit Tamara Griesser-Pečars Arbeit eine Ergänzung und Aktualisierung der Stadtchronik Rudolf Pertasseks („Marburg an der Drau. Von der ‚Marchburch‘ zur Universitätsstadt“, Graz 2000) in einer gut lesbaren, für jedermann verständlichen Sprache zur Verfügung steht. Aus dem Literaturverzeichnis des Bandes geht zudem hervor, dass sich die Verfasserin redlich bemüht hat, das deutsche wie slowenischsprachige Schrifttum bis zum Jahr 2010 zu berücksichtigen, wobei ihrer Aufmerksamkeit nur wenige relevante Studien (eine solche ist beispielsweise Martin Molls Grazer Habilitationsschrift „Kein Burgfrieden. Der deutsch-slowenische Nationalitätenkonflikt in der Steiermark 1900-1918“, Innsbruck 2007, in der mehrfach Marburger Angelegenheiten zur Sprache kommen) entgangen sind.

 

Das mit 38 Schwarzweiß-Abbildungen laufend illustrierte und zusätzlich mit einem zentralen, weitere 15 in Farbe gedruckte Darstellungen enthaltenden Bildteil ansehnlich ausgestattete Buch, dem es nur an einem aktuellen Stadtplan zur raschen Identifikation der zahlreichen topographischen Angaben mangelt, spannt einen weiten, 4000 Jahre umfassenden chronologischen Bogen vom ersten Nachweis menschlicher Siedlung in der Kupferzeit bis in die unmittelbare Gegenwart und bringt dabei politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Aspekte zur Sprache. Ein vorangestelltes, der Namensfrage gewidmetes Kapitel kommt zum Schluss, dass der deutsche Name der Ansiedlung, Marburg, seit dem 12. Jahrhundert nachweislich in Gebrauch stand, während sich das slowenische Maribor spät - im 19. Jahrhundert und zunächst inoffiziell als eine junge slawisierte Form in Anlehnung an die ältere germanische Namensgebung - ausbildete und erst 1910 als Maribor na Dravi im amtlichen Verkehr gleichwertig neben die Bezeichnung Marburg an der Drau treten durfte. In dieser Topik klingt die besondere Eigenart der Stadt an, wie sie schon der erste Chronist Marburgs, Rudolf Gustav Puff, 1847 („Marburg in Steiermark. Seine Umgebung, Bewohner und Geschichte“, 2 Bde.) scharfsinnig bemerkte, wonach „das Leben in der Stadt […] gänzlich deutsch war, das der unmittelbaren Umgebung aber slowenisch“ (S. 174). Dieser Sachverhalt einer „deutsche(n) Sprachinsel inmitten eines slowenisch besiedelten Landes“ (S. 173) blieb über Jahrhunderte bedeutungslos, hat aber dann das letzte, im Zeichen des Nationalismus stehende Bicentennium umso entscheidender geprägt. Die Masse der diesen Zeitraum auf etwa zwei Dritteln des zur Verfügung stehenden Druckraums behandelnden Abschnitte gibt davon beredtes Zeugnis: „Der Bildungsschub: Immer mehr Bürger lernen lesen und schreiben – und die Slowenen stehen auf“ (S. 120), „Marburg wird Bischofssitz: Anton Martin Slomšek und sein Kampf für das Slowenentum“ (S. 136), „Die Evangelischen und das Nationale“ (S. 148), „Das nationale Erwachen: ‚Schämt euch nicht, dass ihr Slowenen seid!‘“ (S. 156), „Marburger Bürger und ihre nationale Zugehörigkeit“ (S. 172), „Das Ende der Beschaulichkeit: Deutsche und slowenische Zeitungen in Marburg“ (S. 179), „Südslawien oder Deutschösterreich: Der Kraftakt des Generals Maister“ (S. 213), „Maribor im Königreich Jugoslawien: Deutsch raus, Slowenisch rein“ (S. 229), „Die Deutschen werden zur Minderheit“ (S. 257), „Der Tag, als Hitler kam: Marburg – ‚Deutsch auf ewig‘“ (S. 261). Die mit dem Ausgang des Zweiten Weltkriegs einhergehenden Massenenteignungen, Vertreibungen und Hinrichtungen führten schließlich dazu, dass am Ende „nur acht Prozent der deutschen Bevölkerung laut Volkszählung 1931“ (S. 297) als ethnische Minderheit, die sich erst wieder seit 1991 im rechtlichen Rahmen eines Vereins institutionalisiert für ihre Rechte einsetzen darf (S. 328f.), in Slowenien verblieben.

 

Auf der Folie der nationalen Frage zeichnet der Band auch mehrfach die politische Instrumentalisierung der vorgeblich unabhängigen Justiz nach, die seit der Reorganisation von 1868 von der politischen Verwaltung endgültig getrennt war. Artikel 19 des Staatsgrundgesetzes von 1867 anerkannte „die Gleichberechtigung aller landesüblichen Sprachen in Schule, Amt und öffentlichem Leben“. Obwohl das Oberste Gericht nach einem Streitfall 1898 das für Krain, Steiermark und Kärnten zuständige Oberlandesgericht in Graz „ausdrücklich angewiesen hatte, Slowenisch als Verhandlungssprache zuzulassen“, widersetzte man sich dort noch 1907 erfolgreich dieser Order. Beim Kreisgericht in Marburg „lag es […] mehr oder weniger im Ermessen des Richters, ob er überhaupt gewillt war, in slowenischer Sprache zu verhandeln“, und „bei den Schwurgerichten in Marburg und Cilli (erfolgten) die Anklagen der Staatsanwaltschaft in Deutsch, obwohl die Angeklagten die Sprache gar nicht verstanden“. Schließlich wurden „die Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs in Wien […] in allen Sprachen der österreichischen Hälfte der Monarchie abgefasst, nur nicht in der slowenischen und der rumänischen“, was „eindeutig verfassungswidrig“ gewesen sei (S. 177f.). Mit Beginn des Ersten Weltkriegs drangsalierte die österreichische Militärgerichtsbarkeit zahlreiche der „Serbophilie“ verdächtigte slowenische Untersteirer; es gab „sehr häufig Reserveoffiziere, die Funktionäre deutschnationaler ‚Schutzverbände‘ gewesen waren und jetzt als militärische Untersuchungsrichter die Fälle ihrer politischen Gegner bearbeiteten“, womit „die Militärjustiz zum Instrument des Nationalitätenkampfes“ degenerierte (S.208).

 

Bei aller Sorgfalt sind der Verfasserin leider einige, in einem Fall auch sinnstörende Unaufmerksamkeiten unterlaufen. So erfährt man über volkstumspolitische Maßnahmen der nationalsozialistischen Machthaber zur Germanisierung der Untersteiermark seit April 1941: „Das Kirchen-, Pfründen- und Mensalgut wurde zugunsten des ‚Reichskommissariats für die Festigung des deutschen Volkstums‘ (RKFDV) eingezogen“, und erlebt nur drei Zeilen weiter ein Déjà-vu: „Überhaupt wurde das Kirchen-, Pfründen- und Mensalgut zugunsten des ‚Reichskommissariats für die Festigung des deutschen Volkstums‘ (RKFDV) eingezogen“ (S. 273). An anderer Stelle und in anderem Zusammenhang ist gar völlig sinnwidrig zu lesen: „Die steirischen Slowenen verlangten von Taaffe die Bildung einer besonderen Abteilung der steirischen Statthalterei, zuständig für die Untersteiermark mit dem Sitz entweder in Marburg oder in Cilli, und die Gleichberechtigung der slowenischen Sprache in Amt und Schule gemäß der Verfassung. Sie empfanden dies als einen Angriff auf ihren ‚deutschen Besitzstand‘, den sie seit Jahrhunderten hatten, und einen Schritt auf dem Weg zur Slowenisierung der Untersteiermark“ (S.172). Diejenigen, die sich hier angegriffen fühlten und um ihren Besitzstand fürchteten, können in diesem Zusammenhang nicht, wie der Satz irrig aussagt, die slowenischen, sondern wohl nur die Deutsch-Steirer gewesen sein.

 

Glücklicher Weise halten sich solche Irrläufer im Rahmen und beeinträchtigen nur am Rande den positiven Eindruck, den die Lektüre Tamara Griesser-Pečars kleiner Marburger Stadtgeschichte insgesamt zurücklässt. Der Hauptgrund dafür ist dem Umstand geschuldet, dass die Verfasserin, die sich schon über mehrere Dezennien mit der slowenischen Geschichte des 20. und 21. Jahrhunderts wissenschaftlich auseinandersetzt, sich in ihrem Horizont nicht sklavisch auf die reine Stadtgeschichte beschränkt, wie es früher bei Lokalchroniken gang und gäbe war, sondern im Gegenteil eine breite, an den aktuellen Problemzonen der allgemeinen Zeitgeschichte orientierte Kontextualisierung vornimmt. Davon wird nicht zuletzt auch der interessierte Laie profitieren, der hier am Marburger Beispiel eine solide, lebendig gehaltene Einführung in die historische Entwicklung des untersteirischen Raumes und der heutigen Republik Slowenien erfährt.

 

Kapfenberg                                                                Werner Augustinovic