Graeber, David, Schulden. Die ersten 5000 Jahre, aus dem Amerikanischen von Schäfer, Ursel/Freundl, Hans/Gebauer, Stephan., 6. Aufl. Klett-Cotta, Stuttgart 2012. 536 S., Ill., graph. Darst. Besprochen von Gerhard Köbler.
Nur wenigen wissenschaftlichen Autoren sind aufsehenerregende Bucherfolge beschieden. David Graebers Werk über die ersten 5000 Jahre Geschichte der Schulden ist jedoch ein Beispiel dafür. Unter dem Titel Debts. The first 5000 Years in New York im Mai 2011 erschienen, liegt es in seiner deutschen Übersetzung im Juli 2012 bereits in einer siebenten Auflage vor.
Der 1961 geborene David Rolfe Graeber ist ein amerikanischer Ethnologe, der für seine Dissertation mehrjährige Feldforschungen in Madagaskar betrieb, die unter dem Titel The Disastrous Ordeal of 1987. Memory and Violence in Rural Madagascar erschienen. Darin wird sehr ausführlich und gewandt die soziale Spannung zwischen den Nachkommen der Herren und der Sklaven beschrieben. Dieses Werk allein hätte dem Verfasser aber noch nicht größere Aufmerksamkeit beschieden.
Vielmehr wurde Graeber auf Grund seiner Erkenntnisse zu einem politischen Aktivisten, als welcher r nahm er in New York 2002 an den Protesten gegen das Weltwirtschaftsforum Teil nahm. Sein politisches Verhalten war dann wohl der hauptsächliche Grund dafür, dass sein Vertrag als Professor für Ethnologie an der Yale University im Juni 2007 nicht mehr verlängert wurde. Seit diesem Zeitpunkt arbeitet er am Goldsmiths College der Universität London, offensichtlich mit wachsendem literarischem Erfolg.
Sein vorliegendes Werk ist in 12 Abschnitte geteilt. Sie beginnen mit der Erfahrung der moralischen Verwirrung und enden 1971 mit einem Anfang von etwas, das noch nicht bestimmt werden kann. Dazwischen handelt der Verfasser vom Mythos vom Tauschhandel, von ursprünglichen Schulden, von Gewalt und Wiedergutmachung, von moralischen Grundlagen ökonomischer Beziehungen, von Spielen mit Sex und Tod, von Ehre und Entwürdigung, von Kredit oder Edelmetall, von der Achsenzeit, vom Mittelalter und von den kapitalistischen Imperien.
Den Eingang bildet ein Gespräch mit einer schick gekleideten jungen Rechtsanwältin, die dem seit vielen Jahren in der Bewegung für weltweite Gerechtigkeit aktiven Globalisierungsgegner naiv-konventionell entgegenhielt, dass man Schulden doch zurückzahlen müsse. Demgegenüber versteht der Verfasser die Schuld vor allem als Macht der Herrschenden über die Schwachen. Damit wird sein mit einigen Graphiken und vielen Anmerkungen versehenes, eine beachtliche Bibliographie und zwei Register aufweisendes, eher politisches als streng wirtschaftsgeschichtliches Werk manchen interessierten Leser finden, die in 5000 Jahren entstandene ökonomische Wirklichkeit der gegenwärtigen menschlichen oder unmenschlichen, sich täglich mehr verschuldende Welt der Schulden aber mit noch so gelungenen Beispielen wahrscheinlich kaum allgemein ändern können.
Innsbruck Gerhard Köbler