Gentile, Carlo, Wehrmacht und Waffen-SS im Partisanenkrieg: Italien 1943-1945 (= Krieg in der Geschichte 65).. Schöningh, Paderborn 2012. 466 S. Besprochen von Werner Augustinovic.

 

Der sich in einer völkerrechtlichen Grauzone bewegende Partisanenkrieg zählt zu den dunkelsten Kapiteln des Zweiten Weltkriegs. Allzu häufig wurde in seinem Fahrwasser die unbeteiligte Zivilbevölkerung zum unschuldigen Opfer der oft wenig treffsicheren Repressions- und Sühnemaßnahmen der deutschen Besatzungsorgane. Über die Durchführung und das Ausmaß dieser Aktivitäten in Italien war, abgesehen von einzelnen spektakulären und daher medial auch im deutschen Sprachraum stärker rezipierten Massakern wie jenem von Marzabotto Ende September/Anfang Oktober 1944, trotz der wuchernden Fülle vor allem italienischer Resistenza-Literatur bislang wenig ausreichend in den Kontext der Gesamtereignisse Eingebundenes zu erfahren.

 

Es ist daher erfreulich, dass sich mit Carlo Gentile, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Martin-Buber-Institut für Judaistik der Universität Köln und Mitglied der deutsch-italienischen Historikerkommission, ein Experte in der überarbeiteten Fassung seiner Dissertation des Jahres 2008 dieses Themas angenommen hat, der zwischen 1999 und 2009 als Sachverständiger und beratender Historiker zahlreiche italienische wie deutsche Justiz- und Polizeibehörden bei ihren Ermittlungen unterstützen und damit einen breiten Einblick in die Details der anstehenden Materie nehmen konnte. Seine Studie verfolgt im Wesentlichen zwei große Ziele: „Erstens gilt es zu rekonstruieren, auf welche Weise Einheiten und Dienststellen der Wehrmacht, der Waffen-SS und der Polizei den Kampf gegen Partisanen in Italien führten. Insbesondere geht es darum, die Verbrechen in den Gesamtzusammenhang des Partisanenkriegs einzuordnen. In einem zweiten Schritt werden die Täter und ihre Motivation untersucht“ (S. 30). Das Werk entwickelt sich über sechs Abschnitte, deren erster eine Einleitung zum Gegenstand hat, die den Forschungsstand resümiert, die Quellensituation und die methodischen Grundlagen der Arbeit erläutert sowie die Begriffe „Partisanenkrieg“, „Bandenbekämpfung“ und „Kriegsverbrechen“ terminologisch abgrenzt. Sodann entfaltet sich der eigentliche Inhalt mit einer kurzen allgemeinen Darlegung des Geschehens um die Besetzung Italiens und das Einsetzen des Widerstands, geht dann auf den „zwischen Normalisierung und Radikalisierung“ schwankenden Ablauf des Partisanenkriegs in Italien ein, expliziert das „Vernichtungsprinzip“ in Gestalt der Kriegsverbrechen der 16. SS-Panzergrenadierdivision „Reichsführer-SS“ unter dem Kommando des SS-Gruppenführers und Generalleutnants der Waffen-SS Max Simon, deren Aktionsmuster die Kategorien „1. Massaker und Vernichtung von Dörfern, 2. Hinrichtung von Geiseln und ‚Sühnegefangene[n]’, 3. Tötungshandlungen mit rassistischem und ideologischem Hintergrund“ (S. 254) umfassten, und beleuchtet die Partisanenbekämpfungsaktionen der eingesetzten Wehrmachtsverbände und des Polizeiapparats, um abschließend zu Schlussfolgerungen im Hinblick auf die Qualität und die Eigenarten dieser Einsätze auf dem italienischen Kriegsschauplatz zu gelangen. Hierbei kann der Verfasser mit durchaus interessanten Ergebnissen aufwarten.

 

Diese stellen sich wie folgt dar: Zunächst – so Carlo Gentile – sei die auf Grund der unterschiedlichen militärischen Entwicklung und Besatzungslage in den verschiedenen Regionen Italiens jeweils unterschiedliche Betroffenheit der Bevölkerung zu berücksichtigen. Die ob ihrer Ausrüstung den deutschen und italienischen Truppen in offener Feldschlacht klar unterlegenen Partisanen „führten in bestimmten Regionen Nord- und Mittelitaliens einen klassischen Guerillakrieg“. Viele Gruppen erfüllten spätestens ab Sommer 1944 auch „die Anforderungen für die Anerkennung als Kombattanten“, standen also unter einheitlicher Führung, waren uniformiert und trugen ihre Waffen im Kampf offen; „besonders tragisch war es, dass gerade die Erfüllung völkerrechtlicher Anforderungen für Hunderte von in Gefangenschaft geratene Partisanen das Todesurteil bedeutete“, gehörten doch „Vergeltungsaktionen und Hinrichtungen gefangener Partisanen und ‚verdächtiger’ Zivilisten durch die Besatzer und ihre faschistischen Verbündeten […] ab 1944 zum Alltag“ (S. 406). Der Verfasser hebt die hohe Bedeutung durch die militärische Krise bedingter, situativer Faktoren für die Motivation der Gewalttaten hervor, die Atmosphäre von Unsicherheit und Bedrohung, die in einer regelrechten „Partisanenpsychose“ gipfelte und die ideologische Gesichtspunkte in die zweite Reihe zurücktreten ließ. In dieser „schrecklichste(n) Zeit für die italienische Bevölkerung“ fielen allein in Mittelitalien und im nördlichen Apennin über 5.000 Zivilisten der „Bandenbekämpfung“ zum Opfer, und nach einer ruhigeren Phase im Herbst 1944 eskalierte die Gewalt mit dem Rückzug der deutschen Truppen durch die Po-Ebene nach Südtirol gegen Kriegsende erneut und forderte weitere bis zu 1.000 zivile Opfer. Die Gesamtzahl der Getöteten im Partisanenkrieg in Italien dürfte bei etwa 70.000 Menschen liegen, darunter etwa 10.000 Zivilisten.

 

Carlo Gentile betont einen „eigenen Typus von Kriegserfahrung der deutschen Truppen in Italien […], der anders war als der des Ostens und der des Westens“; so war der deutsche Krieg dort „einerseits durch ein weitgehend völkerrechtskonformes Kampfverhalten der Truppen an der Front gegen die regulären Streitkräfte der Alliierten und eine nicht-völkerrechtskonforme, oft kriminelle Kriegführung gegen den irregulären Gegner andererseits geprägt, deren auffälligste Merkmale gröbste Drangsalierungen der Bevölkerung, Deportationen, Hinrichtungen und Massaker an Zivilisten“ gewesen seien (S. 413). Das Zweite betreffend, decken sich diese Beobachtungen aber durchaus mit jenen, wie sie Christian Hartmann für die „Wehrmacht im Ostkrieg“ (2009) unter kritischer Würdigung der völkerrechtlichen Rahmenbedingungen konstatiert hat.

 

Verbände mit sehr jungem, oft als Kanonenfutter verheiztem Personal der sogenannten Hitlerjugend- und Flakhelfer-Generation (Geburtsjahrgänge 1925-1927), spielten bei den Kriegsverbrechen in Italien eine wesentliche Rolle, wohingegen die oft zitierte „Osterfahrung“ der Soldaten nicht zwangsläufig eine hinreichende Voraussetzung für ein verbrecherisches Kampfverhalten bedeuten musste: Während dies beispielsweise auf die bereits erwähnte Division „Reichsführer-SS“ zutraf, griffen auch Verbände ohne Osterfahrung, so die Division „Hermann Göring“ oder die 15. Panzergrenadierdivision, zu überzogenen Repressalien, während andere, aus dem Osten nach Italien verlegte Truppen nicht durch derartige Exzesse auffällig wurden. Professionalisierung und Lebenserfahrung haben vor allem auch in den Reihen der Angehörigen der Polizei offensichtlich mäßigend gewirkt.

 

Besonders zu würdigen ist die Akribie, mit welcher der Verfasser, ausgehend von den Vorgaben des Oberkommandos der Wehrmacht, das mit dem Befehl vom 1. Mai 1944 dem Oberbefehlshaber Südwest „die oberste Leitung der gesamten Partisanenbekämpfung im italienischen Raum“ übertragen hatte, womit Generalfeldmarschall Albert Kesselring „die Führung der Bekämpfung des Widerstands in seine Hände nahm und […] der gesamte militärische und polizeiliche Apparat im besetzten Italien an seine Weisungen gebunden war“ (S. 79), die zahlreichen, den einzelnen Verbänden zuzurechnenden Kriegsverbrechen nach Regionen geordnet und in chronologischer Reihenfolge aufarbeitet. In diesem Zusammenhang spart er auch die allgemeine Kriminalität im Frontgebiet nicht aus, wo beispielweise in Folge der „Desertion der faschistischen Beamtenschaft […] die Zivilbevölkerung im Kampfraum und insbesondere auf dem Land weitgehend auf sich gestellt und der Willkür gewalttätiger Wehrmacht- und SS-Soldaten schutzlos ausgeliefert war“ (S. 160); dabei mussten Zerstörungen und Plünderungen von privatem Eigentum, Misshandlungen und auch Vergewaltigungen – in der Erinnerung der Italiener mit den osteuropäischen Hilfstruppen der Wehrmacht und der SS, vornehmlich aber mit den Kolonialtruppen der Alliierten in Verbindung gebracht – erduldet werden. Im Rahmen der differenzierten Untersuchung der Personalstruktur der Division „Reichsführer-SS“ finden sich biographische Skizzen (S. 284ff.) ihres Kommandeurs Max Simon, des Führers der Aufklärungsabteilung Walter Reder, dessen Entlassung nach Österreich 1985 eine Krise der dortigen Regierungskoalition nach sich zog, des ebenfalls aus Österreich stammenden Bataillonschefs Anton Galler und des Feindnachrichtenoffiziers (Ic) im Divisionsstab Helmut Looß. Solche Beschreibungen des allgemeinen, politischen und militärischen Werdegangs finden sich eingestreut auch für Täterpersönlichkeiten anderer Formationen, beispielsweise für die Oberstleutnante der „Hermann Göring“, Ferdinand Ernst Nord und Fritz Herbert Dierich, sowie für den Hauptmann Willi Lembcke (S. 338ff.).

 

Was die Ausstattung des Bandes mit Hilfsmitteln anbelangt, muss das Urteil – wie so oft – zwiespältig ausfallen. Nichts auszusetzen ist an der Dokumentation und den ausführlichen Verzeichnissen der ungedruckten Materialien aus (vor allem) deutschen und italienischen Archiven und Sammlungen sowie der Fachliteratur. Auch der Abdruck der Spitzengliederung der deutschen Besatzungsbehörden und Kommandostellen in Italien (zivile, militärische, SS und Polizei) und der Divisionsstellenbesetzungen der 16. SS-Panzergrenadierdivision „Reichsführer-SS“, der Fallschirmpanzerdivision „Hermann Göring“ und der 26. Panzerdivision, jeweils bis auf die Bataillonsebene herab, im Sommer 1944 ist nützlich. Der Orientierung im Text dient hingegen lediglich ein Personenregister. Dieser zeigt sich, wie in letzter Zeit bei akademischen Publikationen leider häufig zu beobachten ist, fortlaufend durch störende Kasusfehler, Mängel in der Groß-/Kleinschreibung und in der Interpunktion beeinträchtigt. Generalfeldmarschall Wolfram Freiherr von Richthofen erscheint zweimal auf derselben Seite in falscher Schreibung („Richtofen“ S. 141 und ebenda Fußnote 291); ähnliches gilt für den Grazer Stadtbezirk Gösting („Gästing“ S. 275). An anderer Stelle wird die Einteilung der Aktionsmuster der Division „Reichsführer-SS“ in „vier Kategorien“ angekündigt, dann folgen jedoch nur deren gezählte und nummerierte drei (S. 254ff.).

 

Davon abgesehen, hat der Verfasser eine wichtige Forschungslücke gefüllt. Mit seiner Studie liegt nun endlich eine zuverlässige und übersichtliche Darstellung des Partisanenkriegs in Italien vor, welche die einzelnen Aktionen und Tatorte in einen plausiblen Sinnzusammenhang stellt, indem sie Optionen offenlegt, Verantwortlichkeiten zuweist und darüber hinaus überzeugende Erklärungsmodelle für die unterschiedlichen Motivationen und Handlungsmuster der einzelnen, in Kriegsverbrechen verwickelten Verbände, Einheiten und Personen auf dem italienischen Kriegsschauplatz anbieten kann.

 

Kapfenberg                                                                Werner Augustinovic