Drews, Rüdiger, Ludwig Windthorst. Katholischer Volkstribun gegen Bismarck. Eine Biographie. Pustet, Regensburg 2011.304 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Der auf Gut Caldenhof in Ostercappeln bei Osnabrück am 17. Januar 1812 als einziger, mit acht Jahren in die Obhut eines verwandten Priesters gegebene Sohn seines als Advokat und Gutsverwalter tätigen, bereits 1822 verstorbenen Vaters geborene, durch Kleinwuchs mit verhältnismäßig übergroßem Kopf sowie schlechten Augen und Zugehörigkeit zum traditionellen Katholizismus im protestantischen Hannover eigentlich zum Außenseiter bestimmte, von der Mutter auf Grund ihrer Einkünfte aus dem Rentmeisteramt auf dem Gut des Reichsfreiherren Droste zu Vischering einer angemessenen Ausbildung zugeführte, in Berlin am 14. März 1891 gestorbene Ludwig Johann Ferdinand Gustav Windthorst ist schon mehrfach Gegenstand biographischer Ausführungen gewesen. Anfangs eher hagiographisch als Integrationsfigur des Zentrums erklärt, danach in der nationalsozialistischen Zeit entweder verschwiegen oder abgelehnt, wurde er 1988 wiederentdeckt, als die Konrad-Adenauer-Stiftung und eine neue Ludwig-Windthorst-Stiftung die von der Historikerin Margaret Lavinia Anderson in den Vereinigten Staaten veröffentlichte erste kritische Biographie Windthorsts in die deutsche Sprache übersetzen ließen. Unter Verwendung zahlreicher weiterer neuerer Erkenntnisse auch über erhaltene Briefe Windhorsts bietet der literarisch bisher kaum hervorgetretene Verfasser eine ansprechende zeitgemäße Einordnung.

 

Gegliedert ist das sachlich unterrichtende, gut lesbare, mit angehängten Fußnoten, Verzeichnissen und Registern versehene Werk nach einer späten Würdigung in  acht Kapitel. Sie verfolgen das Leben Windthorsts als Schüler und Student der Rechtswissenschaft in Osnabrück, Göttingen und Heidelberg, die berufliche Karriere als Rechtsanwalt und Richter bis 1849, die Tätigkeit als Politiker (Abgeordneter und Minister) an der Seite der Macht, die Chancen und Probleme während der Gründung des Deutschen Reiches, die in den Kulturkampfgesetzen zu Tage tretende Konfrontation, die anschließenden Friedensstrategien und die Offensive gegen das Zentrum. Etwa gleichzeitig mit dem Tode Windthorsts ist auch das Machtsystem Bismarcks, den Windthorst mutig herausforderte, am Ende.

 

Auf neue Sachverhalte oder neue Quellen kann der Verfasser bei seiner Darstellung nicht zurückgreifen, weil Windthorst seinen Nachlass verbrennen ließ, die Empfänger seiner Briefe um deren Vernichtung bat und keine zusammenhängende Gedankenkonstruktion in Form von Veröffentlichungen hinterlassen hat. Deswegen macht es sich der Verfasser vor allem zum Anliegen, die Wirkung  des 19. Jahrhunderts auf das Denken Windthorsts zu ermitteln. Auf diese Weise wird ihm die deutsche Geschichte auch zur Entwicklungsgeschichte einer zwar kleinen, aber wichtigen und rhetorisch sehr begabten, parlamentarischen, jedoch überwiegend oppositionellen katholisch konservativen „Exzellenz“.

 

Innsbruck                                                                   Gerhard Köbler