Dirscherl, Stefan, Tier- und Naturschutz im Nationalsozialismus. Gesetzgebung, Ideologie und Praxis (= Beiträge zu Grundfragen des Rechts 10). V & R unipress (Vandenhoeck & Ruprecht), Göttingen 2012. 277 S. Besprochen von Werner Schubert.

 

Während die Entstehungsgeschichte des Reichstierschutz- und des Reichsnaturschutzgesetzes bereits hinreichend erforscht ist (zu letzterem vgl. die gleichzeitig mit dem Werk von Dirscherl erschienene Darstellung von Jan C. Lorenzen, Das Bundesnaturschutzgesetz vom 20. Dezember 1976, Frankfurt/Main 2012, S. 79ff.), gibt es für die von der nationalsozialistischen Ideologie weitgehend beeinflusste Praxis der genannten Regelungsbereiche noch keine zusammenhängende Darstellung. Es ist deshalb zu begrüßen, dass Dirscherl diese Materie zum Gegenstand seiner Untersuchungen gemacht hat. Hierzu hat Dirscherl die einschlägigen Fachzeitschriften und die nicht geringe Literatur zum Natur- und Tierschutz während der NS-Zeit ausgewertet. Im Abschnitt „Vorgeschichte“ (S. 25ff.) geht Dirscherl zunächst auf die Entstehung und Entwicklung des Natur- und Tierschutzes bis 1918 und in der Weimarer Zeit ein. Der folgende Abschnitt behandelt die Inhalte des Tierschutz- und des Naturschutzgesetzes sowie der Nebengesetze (Reichsjagdgesetz, Schlachtgesetz, Forstgesetze). Zu einem Reichsforstrecht lagen zwar Entwürfe vor, die jedoch in der Kriegszeit liegen blieben (S. 69). Das Schlachtgesetz vom 4. 4. 1933 verbot, ohne dies ausdrücklich zu sagen, das Schächten, womit man in erster Linie die jüdische Bevölkerung treffen wollte (S. 107). Der zweite Hauptteil des Werkes befasst sich mit der „Umsetzung der Gesetze“ (S. 79-205). Der Tierschutz wurde propagandistisch breit ausgeschlachtet und durch zahlreiche Aktivitäten gesellschaftlich breit verankert. Interessant sind die Passagen über den Kult der Kriegspferde aus dem Ersten Weltkrieg (S. 89) und die Einrichtung von Pferdelazaretten im Zweiten Weltkrieg. Auf S. 93ff. geht Dirscherl auf die Rechtsprechung zur Tierquälerei ein (zwischen 1933 und 1941 insgesamt 25.537 Verurteilungen). Die Reformbestrebungen zur Neufassung des Strafgesetzbuchs (S. 98), das die Bestimmungen zur Tierquälerei in einem eigenen Abschnitt enthalten sollte, hätten ausführlicher behandelt werden können (vgl. die Materialien bei J. Regge/W. Schubert, Quellen zur Reform des Straf- und Strafprozessrechts, II. Abteilung, Bd. 1-4). Die Mehrzahl der Tierversuche (Vivisektion) wurde vom Tierschutzgesetz nicht erfasst; im Übrigen wurde das TierSchutzgesetz nicht angewendet auf die Entwicklung von chemischen und biologischen Kampfstoffen sowie die Krebs- und kriegsrelevanten Forschungen (S. 131). Das Reichsjagdgesetz von 1934 (S. 73ff., 131ff.; vgl. auch Kai Niklaas E. Harders, Das Bundesjagdgesetz von 1952 sowie die Novellen von 1961 und 1976, Frankfurt am Main 2009, S. 62ff.) war, von der Präambel abgesehen, „nicht ideologisch gefärbt“ (S. 204). Seiner Substanz nach beruhte es auf den Ländergesetzen und den Forderungen des Reichsjagdbundes aus der Weimarer Zeit (S. 141; vgl. auch Harders, S. 58ff.). Hermann Göring, dem die Durchführung des Reichsjagdgesetzes als Reichsjagdmeister oblag, verstieß wiederholt gegen sein „eigenes Gesetz“ (S. 143). Am Beispiel des Hundes zeigt Dirscherl auf, wie das NS-Regime Tiere für seine Zwecke propagandistisch einsetzte und auf der anderen Seite Hunde als Wachhunde in Konzentrationslagern verwandte (S. 149). Die mit dem Naturschutzgesetz verfolgten Ziele wurden nur unvollkommen erreicht, wie die „großen Zerstörungen von Ökosystemen durch die Straßen- und Wasserbaupolitik, Aufrüstungsprojekte und die Kultivierungsprogramme des Reichsarbeitsdienstes“ zeigen (S. 195). Allerdings – so Dirscherl – wären „Landschaft und Natur ohne dieses Gesetz vermutlich in weit größerem Maß geschädigt worden“ (S. 195). Seit 1942 war das Reichsnaturschutzgesetz praktisch außer Kraft gesetzt (S. 174), obwohl noch im gleichen Jahr ein Gesetzentwurf zur Ergänzung des Reichsnaturschutzgesetzes durch den Schutz der Landschaft „als Ganzes“ vorlag (S. 177f.). Der Schutz des Waldes war ideologisch überhöht („Wesensverwandtschaft von Volk und Wald“, „ewiger Wald“ – „ewiges Volk“, S. 182, 202), wurde jedoch im Übrigen den Autarkiebestrebungen des NS-Staates untergeordnet. Einen eigenen Abschnitt widmet Dirscherl der Reichsautobahn, deren Bau – entgegen einer weit verbreiteten Meinung – „nicht naturschützerischen Gesichtspunkten“ folgte (S. 192). Das Werk wird abgeschlossen mit einer zusammenfassenden Schlussbetrachtung, in der Dirscherl festhält, „dass trotz Überschreitung und Beseitigung ethischer und moralischer Grenzen im Nationalsozialismus des Dritten Reichs Tier- und Naturschutzgesetze etabliert wurden, die als fortschrittlich angesehen werden können und in vielen Fällen nach wie vor Bestand haben oder die Grundlage heutiger Gesetze bilden“ (S. 205). Auf der anderen Seite waren der Tier- und Naturschutz von nicht zu unterschätzender Bedeutung für die Akzeptanz des NS-Regimes durch die Bevölkerung (S. 205).

 

Mit dem wichtigen Werk Dirscherls liegt eine interessant geschriebene Darstellung der Praxis des Natur- und Tierschutzes während der NS-Zeit auf der Basis der umfangreichen Primärliteratur vor. Damit ist der Grund gelegt für ergänzende Darstellungen „der Alltagspraxis der Tier- und Naturschützer während der NS-Zeit“ (S. 205), die für diesen Zeitraum noch immer fehlen.

Kiel

Werner Schubert