KöblerDieältestenquellenzurkodifikationsgeschicht20120910 Nr. 14481 ZIER 2 (2012) 42. IT

 

 

Die ältesten Quellen zur Kodifikationsgeschichte des österreichischen ABGB. Josef Azzoni, Vorentwurf zum Codex Theresianus – Josef Ferdinand Holger, Anmerckungen über das österreichische Recht (1753), hg. v. Neschwara, Christian (= Fontes rerum Austriacarum, Dritte Abteilung Fontes iuris Band 22). Böhlau, Wien 2012. 338 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Das am 1. Juni 1811 erlassene und zum 1. Januar 1812 in Kraft gesetzte Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch zählt unbestreitbar zu den bekanntesten europäischen Rechtsquellen insgesamt. Zu seinem zweihundertsten Geburtstag sind mehrere beeindruckende Festschriften mit verschiedener Ausrichtung erschienen. Der zweihundertjährige Bestand des Gesetzes gab nach dem Vorwort des Herausgebers aber auch den Anstoß zur Edition der ältesten noch vorhandenen Materialien zur Geschichte der österreichischen Privatrechtskodifikation.

 

Auf dem Weg zu dem endlichen Erfolg sind insbesondere der Codex Theresianus, seine Umarbeitungen und der so genannte Urentwurf sowie die Beratungsprotokolle der Gesetzgebungs-Hofkommission die bedeutendsten Meilensteine. Die beiden ersten wurden 1883/1886 von Philipp Harras-Harrasowski ediert, die beiden anderen 1889 durch Julius Ofner. Dagegen sind die ältesten Materialien „zur Entstehungsgeschichte des österreichischen Zivilrechts“ im Archiv der Öffentlichkeit verborgen geblieben, bis sie nunmehr mit vorbildlichem Einsatz der Herausgeber der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt hat.

 

Dabei handelt es sich um zwei sehr bedeutsame Stücke. Im Mai 1753 legte Josef Azzoni einen später auch als Generalplan, Hauptübersicht, Arbeitsplan oder Detailplan, vom Herausgeber als Vorentwurf bezeichneten Plan vor, der nicht nur ein formelles Gliederungskonzept, sondern auch eine inhaltliche Beschreibung enthält. Daneben wurden von den Mitgliedern der für das geplante Werk errichteten Kompilationskommission Darstellungen der einzelnen Länderrechte geliefert, die bis November 1753 von Josef Ferdinand Holger (österreichisches Landesprivatrecht), Heinrich Xaver Hayek-Waldstätten (Mähren), Ferdinand Josef Thinnfeld (Innerösterreich) und anscheinend etwas später von Josef Azzoni (Böhmen) und Josef Hormayr (Tirol und Vorderösterreich) geschaffen wurden - eine durch Franz Burmeister für Schlesien vorgesehene Darstellung des Landesrechts wird in den Protokollen der Kompilationskommission nicht erwähnt -, von denen im vollen Umfang in den Akten des Justizarchivs nur die Ausarbeitung Holgers erhalten geblieben ist, während von den Arbeiten Waldstättens, Azzonis sowie Hormayrs lediglich Fragmente vorliegen und die Arbeit Thinnfelds auch Harrasowsky nur als Leihgabe der Familie Thinnfeld verfügbar war und inzwischen als verschollen gilt.

 

Die Materialien waren zunächst in der Registratur der Obersten Justizstelle verwahrt, kamen 1849 an den Obersten Gerichtshof und 1897 an das Archiv des Justizministeriums, wo sie 1921 mit dem Akten des Innenministeriums zum Staatarchiv des Inneren und der Justiz zusammengefasst wurden. Zu etwa drei Vierteln wurde dieser Bestand durch den Brand des Justizpalasts in Wien am 15. Juli 1927 vernichtet, im Übrigen durch Feuer und Löschwasser erheblich beschädigt. Von den ältesten Materialien zum Codex Theresianus blieben nur Azzonis Vorentwurf und Holgers Darstellung des österreichischen Privatrechts (Anmerkungen über österreichisches Recht), die Beilagen zum Protokoll der Sitzung der Kompilationskommission vom 5. November 1753 waren, erhalten.

 

Da sie keine umfassenden Brandschäden erlitten hatten, standen sie im Österreichischen Verwaltungsarchiv grundsätzlich zur Benützung offen. Dem Herausgeber war erfreulicherweise eine Transkription möglich. So mühevoll diese im Einzelnen auch war, so sehr hat sich der Herausgeber damit um die Geschichte des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuchs hochverdient gemacht.

 

Die wertvolle Edition beginnt mit einer sachkundigen Einführung des Herausgebers über den Codex Theresianus und andere Rechtsvereinheitlichungsprojekte und über die edierten ältesten Materialien, denen ausführliche Verzeichnisse angefügt sind. Dem folgen die Editionsgrundsätze, die sich hilfreich an den Empfehlungen des Arbeitskreises Editionsprobleme der frühen Neuzeit der Arbeitsgemeinschaft historischer Forschungseinrichtungen in der Bundesrepublik Deutschland e. V. orientieren. Der jeweiligen Edition der beiden Texte werden in aller Kürze nützliche Vorbemerkungen vorangestellt, die etwa dem Benutzer zeigen, dass Azzonis Plan 119 Blätter und Holgers Manuskript 215 halbseitig beschriebene Blätter umfasst. Eine Synopse des Inhalts beider Materialien vermerkt Übereinstimmungen und Abweichungen übersichtlich, so dass die Edition insgesamt der Öffentlichkeit, die sich für die Frühgeschichte des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch interessiert, im Rahmen des Möglichen eine vorzügliche, grundsätzlich kaum mehr erweiterbare Hilfe zur Verfügung gestellt hat.

 

Innsbruck                                                                               Gerhard Köbler