Code civil, hg. v. Kern, Bernd-Rüdiger (= Schriftenreihe der Juristenfakultät der Universität Leipzig/Leipziger juristische Studien, Rechtshistorische Abteilung, Band 7). Leipziger Universitätsverlag, Leipzig 2010. 167 S., graph. Darst. Besprochen von Wilhelm Brauneder.

 

Die Spannung zwischen dem umfassenden Titel und dem punktuellen Inhalt des Bandes versteht sich wohl daraus, dass „ein großangelegtes Projekt“ schließlich „nur ansatzweise verwirklicht werden“ konnte (5), und zwar mit bloß vier Vorträgen von Peter Gotthardt, Thomas Gergen, Friedrich Klein und Jens Horn, zu denen drei weitere Beiträge aufgenommen wurden, nämlich abermals von Gergen sowie vom Herausgeber und von Werner Schubert. Der erste Originalbeitrag von Gotthardt über „Entstehung, Bedeutung und Rezeption des Code Civil“ bringt, da überwiegend auf Grund alter Sekundärliteratur (Wieacker, Koschacker) abgehandelt, nicht Neues. Die beiden weiteren Originalbeiträge erläutern punktuelle Probleme: Kleins „Windscheid und der Code Civil“ beleuchtet dieses Verhältnis anhand von Biographie und Werk mit dem Fazit: Es blieb Windscheids Beschäftigung „mit dem französischen Recht nicht mehr als eine bloße Episode von nur wenigen Jahren“, „eine Art Probelauf“ für Lehrbuch und Mitarbeit am Bürgerlichen Gesetzbuch (110). Horn erläutert die „Regelung der Gehilfenhaftung im Code Civil als Vorbild für die deutsche Entwicklung“. Dazu prüft er eingangs diese Vorbildhaftigkeit auf BGB-Entwürfe für Preußen, Hessen und Bayern sowie auf das sächsische Bürgerliche Gesetzbuch. Einflüsse des Code Civil sieht er hier nirgends. Nur bei dem BGB-Entwurf für Bayern „scheinen [!] die Gesetzgeber [?] in Anlehnung“ an den Code Civil eine „Lösung für die Gehilfenhaftung gesucht zu haben“ (149) – eine Argumentation allein auf Grund des vorgeschlagenen Gesetzestextes. Das zu den genannten Entwürfen Dargebotene ist insgesamt reichlich dünn, da nur die Ergebnisse mit dem Code Civil verglichen werden, von einer etwa ablehnenden Diskussion hören wir nichts. Übrigens gibt es für Bayern nicht nur einen BGB-Entwurf. Erste Spuren eines französischen Einflusses sieht Horn im Reichshaftspflichtgesetz 1871 und sodann, allmählich über die Vordiskussionen, im Bürgerlichen Gesetzbuch; hier liegt der Schwerpunkt des Beitrags.

 

Einen weiteren Originalbeitrag, weil noch nirgends publiziert, liefert Kerns „Zur Modernität des Code Civil“, ein überarbeiteter Vortrag aus dem Jahr 1994, die „Vortragsform wurde beibehalten“. Ähnlich wie Gotthardts Beitrag fußt auch dieser überwiegend auf Sekundärliteratur, wenngleich auch jüngeren Datums, streckenweise folgt die Darstellung Schlossers „Privatrechtsgeschichte“ (2005) und Bürges „Das französische Privatrecht im 19. Jahrhundert“ von 1991: Es ist wohl dem Vortragszweck, nämlich der Teilnahme an einer Ringvorlesung geschuldet, dass ein Neuigkeitswert fehlt. Die weiteren Beiträge schließlich waren schon anderswo zu lesen: Gergen über Pére Gibault und dessen lateinische Code-Civil-Übersetzung in der Festgabe für Elmar Wadle von 2004, seine Abhandlung über die deutsche Rezeption des Code Civil in der Sicht französischer Juristen ist in ZRG GA 2007 erschienen, hier nun liegt eine „erweiterte Fassung“ vor. Schuberts Analyse des „Code Civil in der Rechtsprechung des Reichsgerichts“ war gleichfalls schon 2006 erschienen, nun gibt es eine „geringfügig erweitere Fassung“.

 

Neugierde als Gier nach Neuem, nämlich in Bezug auf den Code Civil, bleibt unerfüllt. Die begreifliche Fokussierung auf den Code Civil vermag überdies leicht zu einer übertriebenen Code-Civil-Euphorie verführen. Dass mit dem Code Civil als einem der deutschen Partikularrechte „gearbeitet“ wurde, verdankt sich in erster Linie eben seiner Geltung, nicht unbedingt seiner Qualität (9). Unkritisch übernommen wurde die Meinung, dass der Code Civil „sogar deutscher ist“ als „unser […] Gemeines deutsches Recht“ (9). Aus der Trias der naturrechtlichen Gesetzbücher (wenn man so will) ist ab und an das Allgemeine Landrecht Preußens erwähnt, nie aber das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch Österreichs. Horns punktuelle Untersuchung kennt es nicht (141), Kerns allgemein einleitendes Vorwort gleichfalls nicht – trotz eines zitierten Hinweises von Sorel bei Gergen (73 Fn. 14). Eine Abwägung der Lobpreisungen des Code Civil in Deutschland mit jenen zum Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch fehlt daher. Dieses fanden zahlreiche deutsche Kritiker dem Code Civil überlegen. Der Rheinbund–Staat Liechtenstein hatte sich sogar gegen den Code Civil und für das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch entschieden, der bayerische Entwurf Leonrod tat dies ebenfalls. Eine richtige Würdigung des Code Civil verfehlt das Sammeln von Lobeshymnen. Insgesamt: Keine Bereicherung der rechtshistorischen Forschung.

 

Wien                                                                                                  Wilhelm Brauneder