Brunozzi, Kathrin, Das vierte Alter im Recht (= Studien zur europäischen Rechtsgeschichte - Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte Frankfurt am Main 271 = Lebensalter und Recht 6). Klostermann, Frankfurt am Main. 2012. 317 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Wie in der Sprache der Welt eine zweite, dritte und vierte Welt gefolgt sind, so folgt dem Alter inzwischen ein zweites, drittes und viertes Alter. Mit ihm befasst sich die von Michael Stolleis unterstützte bzw. betreute, im Rahmen der Forschungsgruppe Lebensalter und Recht am Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte in Frankfurt am Main entstandene, im Wintersemester 2010/2011 vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Frankfurt am Main angenommene, in der Unterreihe Lebensalter und Recht fünf bisherigen Bänden über unterschiedliche Gegenstände folgende Dissertation der Verfasserin. In ihr steht nicht mehr alt als Gegensatz zu jung im Mittelpunkt, sondern eine zahlenmäßige Abfolge von mehreren Altern.

 

Gegliedert ist die gut lesbare, auf umfangreichen Unterlagen aufbauende Untersuchung außer in die Einleitung mit der Fragestellung über das vierte Alter und das vierte Alter im Recht mit drei Einschränkungen, den Quellen, der Methode und dem Forschungsstand in zwei Sachteile. Davon betrifft der erste das Heimrecht vom Alter und Altenheim in der Adenauerzeit bis zum Heimgesetz für Hochbetagte des Jahres 1975 und seinen Abänderungen, Der zweite Sachteil befasst sich mit dem Betreuungsrecht vom Pflegschafts- und Vormundschaftsrecht bis zum Betreuungsgesetz (von 1990).

 

Kern ist die gesellschaftliche Entwicklung, dass sein Verstand den Menschen Möglichkeiten entwickeln hat lassen, vor allem durch sicherere Ernährung und bessere Bekämpfung von Krankheiten einzeln wie im Durchschnitt älter zu werden, als dies früher jemals möglich war. Im Ergebnis bestätigt dabei für die Verfasserin die sorgfältig und detailliert nachvollzogne Entwicklung von Heimrecht und Betreuungsrecht zwischen dem ausgehenden Fünfzigerjahren und dem Ende der Bundesrepublik (?) die Vermutung, dass die Lebensverhältnisse Hochaltriger in einem differenzierten politischen Vorgang unter Beteiligung vieler, auch gegensätzlich Interessierter umfassend oder zumindest erheblich verrechtlicht wurden. Dabei knüpfte und knüpft das Recht im Alter nicht an kalendarische Grenzen an, sondern an die Gesundheit und die Fähigkeiten, die einem alten, möglicherweise gebrechlichen Menschen im nur schwer sicher bestimmbaren vierten Alter noch verbleiben, um mit Hilfe der vom Recht gezielt zur Verfügung gestellten Strukturen auch diese Lebensphase (noch möglichst) selbstbestimmt zu erleben.

 

Innsbruck                                                                                           Gerhard Köbler