Breunung, Leonie/Walther, Manfred, Biographisches Handbuch der Emigration deutschsprachiger Rechtswissenschaftler ab 1933. Band 1 Westeuropäische Staaten, Türkei, Palästina/Israel, lateinamerikanische Staaten, Südafrikanische Union. De Gruyter, Berlin 2012. 655 S. Besprochen von Werner Schubert.

 

Mit dem vorliegenden Band, der die Emigration deutschsprachiger Rechtswissenschaftler in die westeuropäischen Staaten, die Türkei, nach Palästina, die lateinamerikanischen Staaten und die Südafrikanische Union erfasst, und mit dem angekündigten Band über die Emigration deutschsprachiger Rechtswissenschaftler in die USA werden die Wissenschaftler berücksichtigt, die im institutionellen Wissenschaftsbetrieb ihrer Gastländer Fuß gefasst haben. Berücksichtigt werden nicht nur Ordinarien, sondern auch Honorarprofessoren und Privatdozenten (außerordentliche Professoren). Das Handbuch beruht auf einer auf das Wissenschaftssystem bezogenen „kollektivbiographischen Perspektive der Lebensläufe auf die beteiligten ‚Wissenschaftsemigranten’“ (S. 12). Mit diesem Ansatz ist eine „rein deskriptiv-referierend gehaltene Rekonstruktion der Lebensläufe“ verbunden (S. 13). Eine eigenständige Bewertung der wissenschaftlichen Lebensleistung der einzelnen Wissenschaftler erfolgt nicht. Dem Bio-Bibliographischen Teil des Handbuchs liegt ein einheitliches Kategorienschema zugrunde, das für den biographischen Teil 23 Punkte umfasst. Ausgehend von einer wissenschaftsbezogenen Kurzbiographie, die vielleicht etwas ausführlicher hätte sein können, werden u. a. folgende Kategorien behandelt: Herkunft und Ausbildung (Nr. 1-5), akademische Laufbahn einschließlich Rufe und Gastvorlesungen (Nr. 8-11), Nachwuchswissenschaftler (Schüler, kollegiale Kontakte; Nr. 13), Vertreibung aus der Hochschule/Emigration/Remigration (Nr. 20-22) sowie private Lebensverhältnisse (Nr. 23). Die Biographien hätten noch an Übersichtlichkeit gewonnen, wenn die mit Recht ausführlich beschriebene Drangsalierung und Vertreibung vor allem der jüdischen Wissenschaftler unmittelbar nach dem Punkt 8 behandelt worden wären. Die bibliographischen Teile sind chronologisch angeordnet, wobei in einer Kreuztabelle das Gesamtwerk nach Zeitabschnitten aufgeschlüsselt wird. Soweit Bibliographien der behandelten Wissenschaftler fehlten, wurde ein vollständiges Schriftenverzeichnis erstellt (etwa für Karl Strupp, S. 523-549). Sofern bereits Schriftenverzeichnisse vorliegen, wurden diese ergänzt (z.B. bei Martin Wolff, S. 571ff.). Für eine unmittelbare Überschaubarkeit des jeweiligen wissenschaftlichen Werks wäre es in diesen Fällen vielleicht hilfreich gewesen, wenn die Lehrbücher, Monographien und größeren Aufsätze aufgeführt worden wären. Das Werk erschließt die Bio-Bibliographien sowohl noch heute präsenter Wissenschaftler (Hermann Kantorowicz, Gerhard Leibholz, Albrecht Mendelssohn Bartholdy, Fritz Pringsheim, Fritz Schulz, Andreas Schwarz und Hugo Sinzheimer) als auch weniger bekannter Juristen. Hingewiesen sei in diesem Zusammenhang auf Ernst Cohn, den Rechtsphilosophen Friedrich Darmstaedter, auf den Prozessrechtler James Goldschmidt, den Strafrechtler und Rechtsphilosophen Werner Goldschmidt, der nach Spanien und anschließend Lateinamerika emigrierte und dort noch zahlreiche spanischsprachige Werke und Aufsätze veröffentlichte, und auf den Völkerrechtler Karl Strupp, der ein umfangreiches Schriftenverzeichnis aufweist. Nicht vergessen werden sollten insbesondere die zivilprozessualen Schriften Mendelssohn Bartholdys, der für die zivilprozessuale Reformdiskussion der späten Kaiserzeit und der Weimarer Zeit von Bedeutung ist.

 

Das Werk wird abgeschlossen mit ausgewählten Kurzbiographien von nicht der Wissenschaftsemigration zuzurechnenden vertriebenen und emigrierten Rechtswissenschaftler (u.a. von Ernst Isay, Erich Kaufmann, Fritz A. Mann und Walther Schücking). Leider fehlen Literaturhinweise auf die wichtigsten biographischen Arbeiten über diese wichtigen Juristen. Der Anhang bringt Auszüge aus den für die Verdrängung insbesondere der jüdischen Wissenschaftler maßgebenden Gesetze der NS-Zeit und aus den Wiedergutmachungsgesetzen von 1951 und 1952 (S. 661ff.). Mit ihrem Handbuch haben die Autoren ein Datenkorpus bereit gestellt, das es gestattet, „ein die individualbiographische Perspektive überschreitendes Bild der Wissenschaftsemigration im Sinne eines Gruppengebildes zu konturieren“ (S. 17). In gleicher Weise sind die umfangreichen Bio-Bibliographien, die zum großen Teil auf bisher unerschlossenen Archivquellen beruhen, auch für die Erschließung des Lebenswerks einzelner Wissenschaftler von großer Wichtigkeit. Aus der Einleitung geht hervor, dass die Hälfte der 23 dokumentierten Wissenschaftler – bis auf zwei von ihnen waren als Juden vertrieben worden –sich bereits im fortgeschrittenen Alter von 50 Jahren und mehr befand. Die Mehrheit der 23 Juristen musste sich mit minderen akademischen Positionen abfinden (S. 5). Fünf Emigranten kamen nach Deutschland zurück; fünf der beschriebenen 23 Juristen waren allerdings bis 1944 bereits verstorben. Insgesamt haben Breunung und Walther mit dem vorliegenden Handbuch eine beeindruckende Pionierleistung erbracht, die allein schon wegen ihrer Vollständigkeit und Perfektion hohe Anerkennung verdient und die möglichst bald ihre Fortsetzung in dem angekündigten Band 2 über die Emigration in die USA finden sollte.

 

Kiel

Werner Schubert