Breunung, Leonie/Walther, Manfred, Biographisches Handbuch der Emigration deutschsprachiger Rechtswissenschaftler ab 1933. Band 1 Westeuropäische Staaten, Türkei, Palästina/Israel, lateinamerikanische Staaten, Südafrikanische Union. De Gruyter, Berlin 2012. 655 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Es begann damit, so teilen die Bearbeiter im Vorwort mit, dass Manfred Walther am Ende der 1980er Jahre die Idee hatte, die vom nationalsozialistischen Regime in Deutschland mit äußerster Konsequenz durchgeführte Vertreibung von Rechtswissenschaftlern, die aus ,rassischen’ und/oder politischen Gründen missliebig waren, von den Universitäten im Deutschen Reich über alle Teildisziplinen hinweg umfassend zu dokumentieren und somit zu einem Gesamtbild der Auswirkungen dieses in der Wissenschaftsgeschichte in Deutschland einmaligen Vorgangs zu gelangen. In einem ersten Schritt begann Stefan Höpel, der 1986 (im Selbstverlag in Hannover) eine Studie über das demokratische Gewissen der Bundesrepublik - die Politk der VVN - Bund der Antifaschisten gegen die Neonazis am Beispiel der NPD/JN 1977 bis 1980 vorgelegt hatte, ab Januar 1989 damit, alle im Wintersemester 1932/32 (!) an den deutschen Universitäten und wissenschaftlichen Hochschulen selbständig lehrenden Professoren, Honorarprofessoren, Privatdozenten und Lehrbeauftragten zu ermitteln und die seit der Machtübernahme Adolf Hitlers aus ihren Ämtern Vertriebenen zu identifizieren, (und referierte darüber 1993 in der Kritischen Justiz). Parallel dazu arbeitete Walther mit Joachim Rückert und Hinrich Rüping ein Forschungsprojekt aus, in dem die Biographien aller amtsvertriebenen Emigranten, denen die weitere Tätigkeit im offiziellen Wissenschaftsbetrieb gelang, erfasst werden sollten, womit die in Amsterdam 1982 über die Prozesswirklichkeit des Sachverständigenbeweises promovierte Leonie Breunung im Januar 1990 begann.

 

Nach vier Jahren lief die öffentliche Projektförderung aus und erst nach mehr als zehn Jahren  konnte Walther (nach seiner Emeritierung) 2006 mit Breunung die Arbeit wieder aufnehmen und mit Hilfe unterschiedlicher, meist öffentlicher Mittel einem ersten, die Vereinigten Staaten von Amerika einem zweiten Band vorbehaltenden Ergebnis zuführen. Dieses geht davon aus, dass im Wintersemester 1932/1933 im Deutschen Reich 496 Hochschullehrer rechtswissenschaftlich tätig waren, von denen ab dem Frühjahr 1933 131 durch Amtsenthebung oder durch Entziehung ihrer Lehrbefugnis bzw. ihres Lehrauftrags aus ihren Ämtern vertrieben wurden (26,4 Prozent), wobei in 89 Fällen (67,9 Prozent bzw. 17,9 Prozent des Gesamtlehrkörpers) antisemitisch-rassistische Gründe vorlagen, in 42 Fällen (32,1 Prozent bzw. 8,5 Prozent des Gesamtlehrkörpers sonstige ideologisch-politische Gründe. 69 Wissenschaftler emigrierten, 62 verblieben (52 im nationalsozialistischen Bereich). Von den Verbliebenen überlebten 28 die nationalsozialistische Herrschaft, während 24 ermordet wurden oder verstarben, während von 69 Emigranten 62 die Emigration überlebten (22 in den Vereinigten Staaten von Amerika, 40 in anderen Ländern) , von denen aber nur 36 weiter wissenschaftlich tätig waren und nur 10 in den deutschen Sprachraum zurückkehrten.

 

Auf dieser Grundlage erfasst der Band die Juristen Ball, Balogh, Baumgarten, Cohn, Darmstaedter, David, J. Goldschmidt, W. Goldschmidt, Grünhut, Hirsch, Kantorowicz, Leibholz, Lewald, Mannheim, Mendelssohn Bartholdy, Nawiasky, Prausnitz, Pringsheim, Schulz, Schwarz, Sinzheimer, Strupp und Wolff. Ausgewählte Kurzbiographien der nicht der Wissenschaftsemigration zugerechneten vertriebenen und emigrierten Wissenschaftler beziehen sich auf Arnold Ehrhardt, Franz Haymann, Ernst Isay, Erich Kaufmann, Fritz A. Mann, Friedrich Schöndorf, Walther Schücking, Georg Schwarzenberger, Martin Wassermann und Arthur Wegner. Insgesamt bietet das vorbildliche Werk eine überwältigende, einheitlich ziemlich intensiv gegliederte Fülle von Informationen (einschließlich vollständiger Veröffentlichungsnachweise), deren sachkundige Einordnung an dieser Stelle dem besten Rezensenten vorbehalten bleiben soll.

 

Innsbruck                                                                   Gerhard Köbler