Brauneder, Wilhelm, Studien IV. Entwicklungen des öffentlichen und Privatrechts. Lang, Frankfurt am Main 2012. 406 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Der in Mödling 1943 geborene Verfasser ist zweifelsohne einer der einfallsreichsten und fruchtbarsten deutschsprachigen Rechtshistoriker der Gegenwart. Durch seine 1973 veröffentlichte Habilitationsschrift über die Entwicklung des Ehegüterrechts in Österreich hat er sich aus ausgezeichneter Kenner der Geschichte des Privatrechts erwiesen. Seine wenig später erstmals 1976 vorgelegte österreichische Verfassungsgeschichte, die bis 2005 in 10 Auflagen mit 30000 Exemplaren erschienen ist und 2009 eine 11. Auflage erfuhr, hat ihn zum unbestrittenen Meister der österreichischen Verfassungsgeschichte gemacht.
Diese stolzen Erfolge haben erfreulicherweise keine Einschränkung seines Interessenhorizonts bewirkt. Trotz eines zeitweiligen Ausfluges in die höchsten Höhen der österreichischen Bundespolitik ist er der Rechtsgeschichte in ihrer vollen Breite verbunden geblieben. Deswegen konnte er neben seinen vielen großen Werken auch zahlreiche kleinere Untersuchungen verwirklichen.
Zur einfacheren Erreichbarkeit für den interessierten Leser legte er 1993 bzw. 1994 ausgewählte Studien zur Entwicklung des öffentlichen Rechtes im Umfang von 549 Seiten vor. Dem stellte er im gleichen Jahr kleinere Arbeiten über die Entwicklung des Privatrechts im Umfang von 382 Seiten zur Seite. Dem folgte, weil ihm letztlich das öffentliche Recht vielleicht doch etwas stärker an das Herz gewachsen war, 2002 ein weiterer Band mit Arbeiten zur Entwicklung des öffentlichen Rechtes.
Im vorliegenden Band kann er erfreulicherweise beide großen Rechtsgebiete wieder zu einer übergeordneten Einheit zusammenfassen. Er verfolgt nach dem kurzen Vorwort damit eine wissenschaftspolitisch-wissenschaftsgeschichtliche Zielsetzung. Ihm geht es in erster Linie darum, die breitgestreuten Fragen zu manifestieren, die von unterschiedlichen Blickwinkeln und unterschiedlichen Disziplinen wie Verfassungsrecht, Privatrecht, allgemeine Geschichte und natürlich Rechtsgeschichte, an die rechtshistorischen Teildisziplinen in der Erwartung von Antworten und Aufhellungen herangetragen werden.
Ausgespart sind bei diesen gegenüber den Erstabdrucken nahezu unverändert wiedergegebenen Veröffentlichungen alle Beiträge, die sich mit der Entwicklung des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuchs der Jahre 1811 bzw. 1812 beschäftigen. Sie sind eingearbeitet in „Österreichs Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (ABGB) I: Entstehung und Entwicklung des ABGB bis 1900“. Mit diesem weiteren großen Werk dürfte im Übrigen auch das Privatrecht mit dem öffentlichen Recht vielleicht doch wieder vollkommen gleichgezogen haben.
Der Band selbst gliedert sich in die drei Abschnitte Allgemeines, Entwicklung des öffentlichen Rechts, Entwicklung des Privatrechts. Er umfasst insgesamt 27 Studien, die von Österreichs Beitrag zur Rechtskultur bis zum Ehegüterrecht als Spiegel von Österreichs Privatrechtsgeschichte reichen und in bunter Vielfalt sowie kritischer Auseinandersetzung Rechtspublizität, Fachzeitschriften, Widerstandsrecht, Verfassungsgeschichtsschreibung, Staatspatrone, Hauptstädte, den zusammengesetzten Staat, das Naturrecht, Mozart und Beethoven, Napoleon und den Kaisertitel, die Grundrechte, die Bundesparlamente, die Verfassungen, die Republiken, den Bundesrat, Franz Werfel und den Bestand von Ehrungen aus der Zeit der Okkupation Österreichs 1938 bis 1945 ebenso einbeziehen wie das europäische Privatrecht, das deutsche Privatrecht und das Common Law, den Code Civil oder die Bühne mit Arbeiten Arthur Schnitzlers, Ludwig Anzengrubers und Max Burckhards. Dass das leider auf ein Sachregister verzichtende Werk am Ende zu den Anfängen zurückkehrt, erhellt die abgerundete Gestalt des idealen Blickwinkels des Verfassers.
Innsbruck Gerhard Köbler