Bily, Inge/Carls, Wieland/Gönczi, Katalin, Sächsisch-magdeburgisches Recht in Polen. Untersuchungen zur Geschichte des Rechts und seiner Sprache (= Ivs Saxonico-Maideburgense in oriente 2). De Gruyter, Berlin 2011. VIII. 479 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Die Geschichte der Menschheit ist, da der Mensch ein soziales Wesen ist, wesentlich mitgeprägt durch die Geschichte der zwischenmenschlichen Begegnungen. Sie können, entsprechend dem Wesen des Menschen, friedlich ablaufen oder feindlich, können nützen oder schaden und können zertrennen oder verbinden. In diesem weiten und allgemeinen Rahmen ist das Vorhaben „Das sächsisch-magdeburgische Recht als kulturelles Bindeglied zwischen den Rechtsordnungen Ost- und Mitteleuropas der sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig ein für die Rechtsgeschichte allgemein bedeutsames, dankenswerterweise im Rahmen des Akademieprogrammes von der Bundesrepublik Deutschland, dem Freistaat Sachsen und dem Land Sachsen-Anhalt finanziell gefördertes Projekt.
Als seine erste, gewichtige Frucht konnte 2008 unter der Herausgeberschaft Ernst Eichlers ein wertvoller Band über das sächsisch-magdeburgische Recht als kulturelles Bindeglied zwischen den Rechtsordnungen Ost- und Mitteleuropas vorgelegt werden. Dem folgt nunmehr ein Band zu Polen, das schon wegen seiner Nachbarschaft zu Deutschland von besonderer Wichtigkeit ist. Er will auch der Intensität und der Vielschichtigkeit gerecht werden, welche die Verbreitung der aus Mitteldeutschland stammenden und vor Ort bearbeiteten Rechtstexte in Polen kennzeichnet.
Er gliedert sich in insgesamt elf Abschnitte. Dabei schildert in der Einleitung Wieland Carls das gesamte Projekt, das sich den modernen staatlichen Benennungen verpflichtet fühlt, knapp und klar. Danach legt er umsichtig den verwendeten Forschungsansatz bzw. die angewandte Methode dar.
Im Anschluss bietet Katalin Gönczi einen straffen geschichtlichen Überblick unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsentwicklung, in dem Rechtspartikularismus, Siedlungsentwicklung und Landesausbau die Grundlagen bilden. Als Geltungsgründe des deutschen Rechts in Polen kann sie einerseits Privilegien und andererseits Rechtsauskünfte verzeichnen, so dass örtliche Varianten des sächsisch-magdeburgischen Rechts nicht überraschen. Eine eigene Würdigung in diesem bis zum Ende der Geltung des Magdeburger Rechts reichenden Überblick erfährt die juristische Literatur.
Anschließend betrachtet Wieland Carls die Forschung bis 1945, während Katalin Gönczi die Nachkriegsjahre bis zur europäischen Integration untersucht. Die Rechtsquellen sächsisch-magdeburgischen Rechts gliedert Wieland Carls in Land- und Lehnrechtsbücher, Magdeburger Rechtsbücher, Meißner Rechtsbuch und Schöffenspruchsammlungen und geht dabei vertieft auf das Halle-Neumarkter Recht von 1235, das Neumarkter Rechtsbuch, das Löwenberger Rechtsbuch, das Liegnitzer Stadtrechtsbuch, das Glogauer Rechtsbuch, das Kulmer Recht (Kulmer Handfeste), Jan Laski (1456-1531), Mikolaj Jaskier, Pawel Szczerbicz, Johann Cervus Tucholczyk, Johannes Kirstein, Stanislaw Aichler und Bartolomäus Groicki (um 1534-1605) ein.
Der zweite, umfangreichere, von Inge Bily bearbeitete Teil betrifft die Rechtssprache. Nach Vorbemerkungen hierzu liefert die Verfasserin mit Hilfe ihrer besonderen sprachlichen Fähigkeiten eine neuartige deutsch-polnische kontrastive Wortanalyse an Hand einer deutschen und einer polnischen Handschrift der Magdeburger Urteile, in der sie von der Übersetzung über Entlehnung, Umschreibung, Verwendung eines anderen Terminus, Auslassung und Zusatz, feste Wortverbindung und phraseologische Wendung, deutsch-polnische Interferenz, Postintegrativität bis zu Varia sehr sorgfältig neun Punkte untersucht und umfangreiche Spuren des sächsisch-magdeburgischen Rechts im Sprachmaterial der jeweiligen, das Recht rezipierenden Sprachgemeinschaft aufspürt. Umfangreiche Wörterverzeichnisse (von Anfrage bis Willkür und von Abdankung bis Zweischwerterlehre bzw. abdykacja bis Żyd) dokumentieren benutzerfreundlich die vielfältigen neuen Erkenntnisse.
Inge Bily kommentiert danach sachverständig auch die beiden, von ihr miterarbeiteten beiliegenden Karten über das sächsisch-magdeburgische Recht in Ost- und Mitteleuropa und über das sächsisch-magdeburgische Recht in Polen. Wieland Carls fasst die Untersuchungsergebnisse zusammen und bewertet sie und legt ein umfangreiches Quellen- und Literaturverzeichnis und ausführliche Register der Orte, Personen, Sachen und Rechtsquellen vor. Zusammen mit den Kartenbeilagen bieten die Verfasser ein aktuelles Standardwerk für einen bedeutsamen Ausschnitt europäischer Rechtsgeschichte des Spätmittelalters und der Frühneuzeit, auf dem weitere Einzeluntersuchungen vorteilhaft aufbauen können werden.
Innsbruck Gerhard Köbler