Baranowski, Günter, Russische Rechtsgeschichte - Texte und Erläuterungen. Teil 1 Von den Anfängen bis 1612/1613 (= Rechtshistorische Reihe 439). Lang, Frankfurt am Main 2013. 544 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Russland geht auf die alte, ihrer Herkunft nach umstrittene Bezeichnung Rus’ für (germanistische) Stämme zurück, die vermutlich unter dem skandinavisch-warägischen Heerführer Rurik in von seit der Völkerwanderung erkennbaren Slawen besiedeltem Gebiet im 9. Jahrhundert um den Ort Kiew ein Reich gründen. Seine Bewohner und ihr Land sind in der europäischen Geschichte vielfach unterschätzt worden, zuletzt mit schwer wiegenden Folgen von Napoleon Bonaparte und Adolf Hitler. Das dürfte nicht zuletzt auf dem zu geringen Interesse des europäischen Westens an seiner angrenzenden Nachbarschaft im vom Klima weniger begünstigten Osten beruhen, dem der Verfasser mit seinem gewichtigen Werk verdienstvollerweise abhelfen will.

 

1937 geboren und in Jena seit 1956 in der Rechtswissenschaft ausgebildet, hat er sich ausgehend von seiner mit dem Schutz der Rechte der Bürger und der Formung der sozialistischen Persönlichkeit befassten Dissertation allmählich der Geschichte der staats- und rechtstheoretischen Anschauung in der vormarxistischen Periode und danach zugewandt und sich seit der Beendigung seiner Tätigkeit als ordentlicher Professor an der Sektion Leipzig der Universität Leipzig im Jahre 1991 allmählich auf die russische Rechtsgeschichte konzentriert. Seine Untersuchungen über die Russkaja pravda - ein mittelalterliches Rechtsdenkmal (2005) und über die Gerichtsurkunde von Pskov (2008) sind die bedeutendsten Früchte hieraus. Hieran schließt in umfassenderer Weise nunmehr der Titel Russische Rechtsgeschichte Texte und Erläuterungen Teil 1 Von den Anfängen bis 1612/13 (2013) an.

 

Nach einigen Vorbemerkungen bietet der Verfasser darin eine kurze, sachkundige Einführung in die Anfänge des russischen Rechts. Danach stellt er 7 Texteinheiten aus der Zeit der Kiever Rus’ und ihres Zerfalls (11. Jh.-1240, beginnend mit dem Kirchenstatut des Kiever Fürsten Wladimir), 20 Texteinheiten aus der Zeit der beginnenden „Sammlung der russischen Länder“ durch Moskau (1240-1471) und in sich geringfügig überschneidender Abgrenzung 43 Texteinheiten aus der Herrschaftszeit des Großfürsten Ivan III. bis zur Zeit der „Wirren“ (1462-1612/13, endend mit einem Beschluss der bojarischen Duma über die Vergabe verheimlichter Dienstgutsländereien und Ergutsländereien von 1612/1613), jeweils in deutscher, oft erstmaliger Übersetzung und mit ausführlichen Anmerkungen zusammen. 16 Beilagen aus der Zeit zwischen 911 und 1510, ein Glossar der von ihm nicht übersetzten russischen Ausdrücke, ein umfangreiches Literaturverzeichnis und eine CD-ROM mit Artikel-Kommentaren zur kurzen Prawda, zur erweiterten Prawda , zur Gerichtsurkunde von Pskov, zum Gerichtsbuch (Sudebnik) 1497 und zum Gerichtsbuch (Sudebnik) 1550 runden die wertvolle, über 120 Einzeldokumente jedem Interessierten den Zugang zur russischen Rechtsgeschichte erleichternde Leistung vorteilhaft ab, so dass sehr zu hoffen ist, dass in möglichst naher Zukunft eine Fortsetzung für die jüngere russische Rechtsgeschichte seit dem frühen 17. Jahrhundert folgen kann.

 

Innsbruck                                            Gerhard Köbler