Weber, Thomas, Hitlers erster Krieg. Der Gefreite Hitler im Weltkrieg - Mythos und Wahrheit, aus dem Englischen von Gebauer, Stephan, 2. Aufl.. Verlag Propyläen, Berlin 2011. 585 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Thomas Weber, *1974 in Hagen, studierte von 1993 bis 1996 Geschichte, Anglistik und Rechtswissenschaft in Münster und von 1996 bis 1998 Modern History in Oxford, wo er 2003 mit einer von Niall Ferguson betreuten Dissertation promoviert wurde, die teilweise in die von Stanford University Press 2008 veröffentlichte Untersuchung Our friend „the enemy“ - elite education in Britain and Germany before World War I Eingang gefunden hat. Danach war er in Harvard, am Institute for Advanced Study in Princeton, der University of Pennsylvania, der University of Chicago und der University of Glasgow tätig, ehe er 2008 an die University of Aberdeen wechselte, wo er seit 2010 Direktor des Centre for Global Security and Governance ist. Seine 2010 bei Oxford University Press unter dem Titel Hitler’s First War erschienene Untersuchung über Hitlers ersten Krieg fand unmittelbar nach Erscheinen das Interesse mehrerer Rezensenten, muss aber mangels eines dem Verlag möglichen Rezensionsexemplars nach Ausleihe vom Herausgeber in wenigen Zeilen angezeigt werden.

 

Im Präludium findet der Verfasser den gesuchten Adolf Hitler auf Seite 168 der 1932 veröffentlichten offiziellen Geschichte des nach seinem ersten, im Oktober 1918 gefallenen Kommandeur (Oberst Julius von List) benannten 16. Bayerischen Reserve-Infanterie-Regiments (List-Regiments), wie er als (Kriegsfreiwilliger und) Gefechtsordonnanz in einem langen, grauen Mantel mit Pickelhaube, Schnauzbart und übergehängtem Gewehr - nach dem Verfasser keinem bestimmten Ziel zuzustreben scheinend - in der Mitte einer Kopfsteinpflasterstraße ging. Von hier aus stellt er die bisher nach seiner Ansicht ungenügend beantwortete Frage, ob der Krieg und das Regiment den Diktator Hitler geschaffen haben bzw. inwieweit Hitler ein typische Produkt seines Regiments war. Er versucht die Antwort aus einer neuen, quellengestützten Vorstellung des Regiments als Ganzem, für die er die bisher kaum benützten Findemittel für die Brigade und die Division fruchtbar macht, denen das List-Regiment angehört hatte.

 

Im ersten Teil beschreibt er den Verlauf des ersten Weltkriegs von einer Volksmenge auf dem Odeonsplatz am 1. August 1914 über die Feuertaufe, zweierlei Weihnachten, Träume von einer neuen Welt, Frontsoldaten und Etappenschweine, Besatzung, Zusammenbruch und die Narben von der Somme bis zur Blindheit am Ende des Krieges. Der zweite Teil geht von der Orientierungslosigkeit Hitlers nach der Revolution am 11. November 1918 und der anfänglichen, bildlich dokumentierten Hinwendung als Soldatenrat zu Kurt Eisners Räterepublik aus und beschreibt dann Hitlers Kampf gegen die List-Veteranen, das Reich des Gefreiten Hitler und Hitlers zweiten Weltkrieg. Im Ergebnis ist für den Verfasser der österreichische Kriegsfreiwillige Adolf Hitler im an sich zermürbenden und verlustreichen Weltkrieg (nur) ein unauffälliges, die Wahrheit später zu seinen Gunsten verfälschendes Etappenschwein, das am Anfang des Jahres 1919 bei gelungener Demokratisierung des Deutschen Reiches zur Wiederaufnahme seiner Tätigkeit als Postkartenmaler hätte gezwungen sein können, das aber seine politische Prägung zum mächtigsten rechtsextremen Diktator des 20.. Jahrhunderts von 1919 an fand.

 

Innsbruck                                                        Gerhard Köbler