Hattenhauer, Christian, Einseitige private Rechtsgestaltung - Geschichte und Dogmatik (= Heidelberger rechtswissenschaftliche Abhandlungen 4). Mohr (Siebeck, Tübingen 2011. XXVIII, 530 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Christian Hattenhauer wurde in Kiel 1966 geboren und nach Wehrdienst, Studium der Rechtswissenschaft an den Universitäten Freiburg im Breisgau, Paris und Münster und der ersten juristischen Staatsprüfung (1992) mit seiner verfassungsgeschichtlichen Dissertation über Wahl und Krönung Franz II. AD 1792 in Münster 1994 promoviert. Danach nahm ihn Martin Josef Schermaier als Assistenten an seinem romanistischen Lehrstuhl auf und ermöglichte ihm die Universitätslaufbahn. Geprägt von der kritischen Sicht des aus Österreich kommenden Romanisten, europäischen Dogmenhistorikers und klaren Dogmatikers unternahm er mit geschärftem Blick eine neue Betrachtung eines Ausschnitts der als häufig geschichtslos, selbstgefällig und in ihrer Begrifflichkeit befangen bezeichneten deutschen Rechtswissenschaft, deren Erstbegutachtung Heinz Holzhauer mit überzeugendem Ergebnis oblag.

 

Die damit im Sommersemester 2003 von der juristischen Fakultät der Universität Münster angenommene Habilitationsschrift wurde für den Druck gründlich überarbeitet. Dabei konnte der Verfasser nach seiner umgehenden Berufung an die älteste juristische Fakultät in der Bundesrepublik Deutschland als Nachfolger von Adolf Laufs erfreulicherweise bereits auf die Unterstützung neuer Mitarbeiter zurückgreifen. So bedauerlich die durch dienstliche Belastungen und weitere Verpflichtungen inzwischen eingetretene zeitliche Verzögerung an sich auch ist, so sehr scheint sie ausgeglichen durch die damit mögliche Aufnahme in eine repräsentative Reihe des für Habilitationsschriften vielleicht bekanntesten deutschsprachigen juristischen Verlages.

 

Gegliedert ist das gewichtige Werk in zwei Teile mit insgesamt 13 Kapiteln. Davon behandelt der erste Teil die Geschichte der einseitigen privaten Rechtsgestaltung bis zu Emil Seckels (1864-1924) in der Festschrift für R. Koch 1903 veröffentlichen Lehre der Gestaltungsrechte des bürgerlichen Rechts. Der zweite Teil überprüft die bisherige Dogmatik der einseitigen privaten Rechtsgestaltung als Lehre vom Gestaltungsrecht.

 

Im ersten Teil untersucht der Verfasser zunächst die Vorläufer heutiger einseitiger privater Gestaltung im antiken römischen Recht und erörtert ausführlich Anfechtung, Aufrechnung, Rücktritt, Kündigung und Wahlschuld mit Leistungsbestimmungsrechten und stellt am Ende das Ausbleiben der dogmatischen Erfassung der Gemeinsamkeiten einseitiger Rechtsgestaltung fest. Danach verfolgt er Anfechtung, Aufrechnung, Rücktritt und Kündigung kurz in deutschen Rechtsquellen. Als dogmatische Grundlage erkennt er an Hand des gemeinen Rechts, der kanonistischen und naturrechtlichen Entwicklung sowie der Pandektistik das Rechtshandeln als Rechtsgeschäft mit Fremdbindung.

 

Entscheidend wird nach seinen sorgfältigen Untersuchungen dann der Übergang vom prozessualen zum materiellen Rechtsdenken im 19. Jahrhundert, der die Lösung einseitiger Rechtsgestaltung aus dem Prozess ermöglicht. Vertieft verfolgt der Verfasser diesen Weg bei dem allgemeinen Rücktrittsrecht wegen Nichterfüllung. Dem stellt er anschließend den Gang bei Anfechtung und Aufrechnung zur Seite. Knapp fasst er danach die dogmatische Erfassung der Macht zur einseitigen Gestaltung vor Emil Seckel und durch Emil Seckel zusammen.

 

Auf dieser überzeugenden geschichtlichen Grundlage betrachtet der Verfasser dann die Dogmatik, wobei er sich zunächst eingehend der Rezeption der Lehre Seckels im (statt im Seckels) deutschen Rechtskreis widmet und von dort aus auf Frankreich, Italien, die Niederlande und England ausgreift. Genau schildert er die daraus entstandene Lehre vom Gestaltungsrecht, um anschließend ihre Schwächen im Einzelnen vorzuführen. Ganz ausführlich geht er auf die Dogmen der Bedingungsfeindlichkeit, der Befristungsfeindlichkeit, der Unwiderruflichkeit und der Untrennbarkeit ein und stellt ihnen jeweils selbständige Überlegungen gegenüber.

 

Am Ende fasst er seine beeindruckenden Erkenntnisse knapp und klar zusammen. Da sich ihm auf geschichtlicher Grundlage die herkömmlichen Dogmen der Lehre vom Gestaltungsrecht als unzutreffend erwiesen haben, erkennt er zwar Seckels Gestaltungsrecht als Ordnungsbegriff an, lehnt es als Rechtsinstitut jedoch ab, weil das begriffsjuristische Gedankengut die allein maßgebliche Beurteilung der Sachfragen nach den Parteiinteressen hindert und damit zu Unrecht die Parteiautonomie beeinträchtigt. Möge diesen in sich schlüssigen Ergebnissen rasch und dauerhaft allgemeinere Anerkennung beschieden sein.

 

Innsbruck                                                                                           Gerhard Köbler