Francisco de Vitorias „De Indis“ in interdisziplinärer Perspektive. Politische Philosophie und Rechtstheorie des Mittelalters und der Neuzeit II, II, 3, hg. v. Brieskorn, Norbert/Stiening, Gideon. Frommann-holzboog, Stuttgart (Cannstatt) 2011. X, 256 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Der in Burgos um 1483 geborene, 1505 dem Dominikanerorden beigetretene, in Paris geschulte, 1523 in Valladolid und ab 1526 in Salamanca lehrende, dort am 12. August 1546 gestorbene katholische Moraltheologe Francisco (de Arcaya y Compludo bzw.) de Vitoria wird als Begründer der Schule von Salamanca und der damit verbundenen Spätscholastik in Spanien angesehen. Statt den Sentenzen des Petrus Lombardus folgt er hauptsächlich der Summa theologiae seines Ordensbruders Thomas von Aquin. Ihn interessieren vor allem Antworten auf zeitgenössische Fragen wie der friedlichen Ordnung unter den frühneuzeitlichen europäischen Staaten, in deren Rahmen er in einer Vorlesung des Jahres 1539 auch de Indis (über Indianer) handelt.
In ihrem kurzen Vorwort stufen die Herausgeber Francisco de Vitorias Relectio de Indis überzeugend als eine der ersten theoretisch bedeutenden und praktisch wirksamen Auseinandersetzungen der frühneuzeitlichen Wissenschaften mit der Rechtmäßigkeit der spanischen Eroberungen seit 1492 ein. Sie greift nämlich die Probleme dieses Handelns tatsächlich auf und versucht naturrechtliche und völkerrechtliche Lösungsansätze. Der vorliegende, aus einer im Oktober 2009 an der Hochschule für Philosophie abgehaltenen Tagung eines Teilprojekts des Sonderforschungsbereichs 573 der Deutschen Forschungsgemeinschaft (Pluralisierung und Autorität in der frühen Neuzeit) hervorgegangene Sammelband strebt eine interdisziplinäre Einordnung des Werkes an.
Zu diesem Zweck werden nach einer kurzen Einleitung der Herausgeber neun Beiträge vorgelegt. Sie betreffen als historische Kontexte Ethnologie und Rechtsgeschichte (Martin Schmeisser, Ofelia Huamanchumo de la Cuba), philosophiegeschichtliche Perspektiven, politische Theologie im Verhältnis zu politischer Philosophie sowie die anschließende Kritik der Vorlesung. Dabei wird im Ergebnis die Frage, ob Vitorias „in der Sache mit den Barbaren“ zwischen Ungerechtigkeit und Gerechtigkeit pendelnde Vorstellungen politische Philosophie oder politische Theologie sind, in dem ansprechenden, mit einem kurzen Personenregister von Acosta bis Zapata ausgestatteten Band kontrovers beantwortet.
Innsbruck Gerhard Köbler