Erinnerungsorte des Christentums, hg. v. Markschies, Christoph/Wolf, Hubert unter Mitarbeit v. Schüler, Barbara. Beck, München 2010. 800 S., 126 Abb. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Erinnerungsort ist die deutsche Lehnübersetzung des französischen lieu de mémoire. Diese Wendung geht auf den aus jüdischer Herkunft in Paris 1931 geborenen, Philosophie und Geschichte studierenden, bis 1960 in Oran/Algier als Lehrer arbeitenden, ab 1977 als Studienleiter der École des Hautes Ètudes en Sciences Sociales in Paris wirkenden Historiker Pierre Nora zurück, der damit die Vorstellung verbindet, dass sich das kollektive Gedächtnis einer sozialen Gruppe wie beispielsweise der französischen Nation an bestimmten Orten kristallisiert, wobei der Ort ein geographischer Ort, eine mythische Gestalt, ein Ereignis, eine Einrichtung, ein Begriff, ein Buch, ein Kunstwerk oder noch etwas Anderes sein kann, aber in seiner besonders aufgeladenen symbolischen Bedeutung für die angesprochene Gruppe identitätsstiftende Wirkung haben kann, soll oder muss. 1984 erschienen von ihm in dem ihm eng verbundenen Verlag Gallimard Les lieux de mémoire in sieben Bänden, deren Erfolg auch in anderen Ländern Erinnerungsorte nach sich zog (z. B. Erinnerungsorte Frankreichs 2005).

 

Dementsprechend verzeichnet allein die Deutsche Nationalbibliographie am 9. Dezember 2011 unter dem Freitext Erinnerungsort 99 Titel, deren ältester in den Studienverlag in Innsbruck und das Jahr 1997 zurückführt. Besonders erinnerungsträchtig ist naturgemäß wegen seines hohen Alters und seiner weiten Verbreitung das Christentum. Für dieses haben ein katholischer Theologe und ein evangelischer Theologe aus Berlin und Münster, gefördert von der Fritz Thyssen Stiftung, 40 Orte ausgewählt.

 

Das damit vorgezeichnete Werk geht in der Einleitung der Herausgeber von dem Bibelwort Tut dies zu meinem Gedächtnis aus und ordnet das Christentum als Erinnerungsreligion ein. Der Veranschulichung dienen (in alphabetischer Reihenfolge) die Zentralorte Bethlehem, Genf, Jerusalem, Konstantinopel, Rom, Sinai und Wittenberg, die realen Orte Altötting, Assisi, Bethel, Canossa, Dresden, Fulda, Köln, Leipzig, Montecassino, Regensburg, Santiago de Compostela, Taizé und Trient und als übertragene Orte Bibel, Caritas und Diakonie, christliche Politik, Christusbilder, Familie, Feste im Kirchenjahr, Gesangbuch, heiliges Blut, Himmel - Hölle- Fegefeuer I, Himmel - Hölle- Fegefeuer II, Humanae Vitae, Inquisition, Katholikentage und Kirchentage, Kreuz, Maria, Medien I, Medien II, Nationalsozialismus und Kirchen, Pfarrhaus, Predigt und Kanzel, (in nahezu diebischer Freude) Sankt Martin I, Sankt Martin II, Schule und Vereine sowie etwas abgesetzt Kirchen. 46 Autoren und Autorinnen verbürgen sichere Sachkunde, Anmerkungen und Literaturhinweise ermöglichen Vertiefungen, umfangreiche Register schließen den stattlichen, mit dem Abendmahl auf dem Umschlag geschmückten Band auf, der am Ende im Juni 2010 auf eine Fortsetzung hofft.

 

Innsbruck                                                                                           Gerhard Köbler