Eichler, Frank, Recht ohne Schrift. Zur Rechtspflege des Mittelalters in Deutschland. Boysen + Mauke, Hamburg 2010. 80 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Der Verfasser der auf der Vorderseite des Umschlags mit einem Ausschnitt aus einer Miniatur einer Gerichtszene der Bilderhandschrift des Hamburger Stadtrechts von 1497 und auf der Rückseite mit einem repräsentativen Brustbild des Autors geschmückten Schrift ist in den letzten Jahren vor allem durch eine Reihe von Veröffentlichungen zum Hamburger Ordeelbook von 1270 und zum Hamburger Stadtrecht von 1497 hervorgetreten. Dadurch wurde er unmittelbar auch mit dem Verhältnis von schriftlichem Recht und mündlichem Recht konfrontiert. Seine in der Studie Mündlichkeit als Medium des Mittelalters mit dem Schwergewicht auf der mündlichen Nachrichtenverbreitung begonnene Auseinandersetzung führt er hier in Bezug auf die Rechtsgeschichte im Allgemeinen fort.
Dabei geht er von der Mündlichkeit aus und betrachtet dann das Leben mit der Mündlichkeit. Danach wendet er sich den Gesetzen - ungeschrieben - zu und umreißt den Personenkreis der Bewahrer, die Textformen der Überlieferung, die mündliche Rechtsentwicklung, den Beginn der Aufzeichnungen wie in Hamburg oder im Sachsenspiegel und die geschriebenen Rechte im mündlichen Umfeld. Im Anschluss hieran stellt er Gerichte ohne Akten vor und geht dabei besonders auf Zeugenprozesse, mündliche Verhandlung, Urteilsschelte, Gerichtszeugnis, öffentliche Rechtsakte und den Weg der Schrift zum Recht ein.
Im Ergebnis sieht er die Mündlichkeit als prägendes Merkmal der mittelalterlichen Rechtspflege an, neben dem nur noch die Überzeugung von der Verlässlichkeit eines Eides etwa gleiche Bedeutung hatte. Auf dieser Grundlage fragt er abschließend, ob es verwunderlich sei, dass das durch das Erwachsenwerden vieler lebenslang tradierte Recht als gut und alt empfunden worden sei. Darin wird man ihm nicht widersprechen können, doch bedeutet dies nicht, dass Recht nur war, was gut und alt war, weil sich sonst Recht nie hätte ändern können, was für die Wirklichkeit des Mittelalters angesichts der Geschichtlichkeit allen Lebens und Rechts schlicht nicht zutrifft.
Innsbruck Gerhard Köbler