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Die Verfolgung der Juden während der NS-Zeit. Stand und Perspektiven der Dokumentation, der Vermittlung und der Erinnerung, hg. v. Hedwig, Andreas/Neebe, Reinhard/Wenz-Haubfleisch, Annegret (= Schriften des Hessischen Staatsarchivs Marburg 24). Hessisches Staatsarchiv Marburg, Marburg 2011. 311 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

Die Verfolgung der Juden während der NS-Zeit. Stand und Perspektiven der Dokumentation, der Vermittlung und der Erinnerung, hg. v. Hedwig, Andreas/Neebe, Reinhard/Wenz-Haubfleisch, Annegret (= Schriften des Hessischen Staatsarchivs Marburg 24). Hessisches Staatsarchiv Marburg, Marburg 2011. 311 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Wer, so formulierte Bundespräsident Richard von Weizsäcker am 8. Mai 1985, aber die Augen vor der Vergangenheit schließt, wird blind für die Gegenwart. Zwar zweifelt Andreas Herwig in seinem Vorwort, ob Richard von Weizsäcker selbst diesem moralischen Anspruch in der Auseinandersetzung mit der eigenen Familiengeschichte hinreichend gerecht geworden ist. Er leitete für sich und andere aber daraus die Forderung ab, dass die öffentlichen Archive zum notwendigen Gedenken, das zuverlässig in die Zukunft wirkt, einen wichtigen Beitrag leisten können und müssen.

 

Dementsprechend präsentierte das Staatsarchiv Marburg im Jahr 2008 anlässlich der 70. Wiederkehr der in Hessen am 7. November 1938 beginnenden Pogromnacht die Ausstellung Pogromnacht - Auftakt am 7. November 1938 in Hessen hauptsächlich in Form von Archivalien. Die Ausstellungseröffnung  im Landgrafensaal des Staatsarchivs mit Peter Steinbach als Hauptredner war für alle Beteiligten eine bewegende Veranstaltung. Sie führte zur Erkenntnis der Notwendigkeit eines Kolloquiums über die Verfolgung der Juden, das vom 23. bis 24. April im Staatsarchiv Marburg tatsächlich mit so großem Erfolg abgehalten werden konnte, dass eine Veröffentlichung der Beiträge in einem eigenen Sammelband sich als sinnvoll und zielführend erwies.

 

Dementsprechend fasst das Werk insgesamt 14 Studien zusammen. An der Spitze steht Peter Steinbachs Eröffnungsvortrag über die Andeutung des Vorstellbaren, der die Vorbereitung des Sonderrechts für die Juden durch den NS-Staat als Vorstufe der Endlösung schildert. Danach bieten fünf Untersuchungen Zeugnisse jüdischen Lebens. Einbezogen werden dabei Friedhöfe ebenso wie das auf 16 Bände angelegte, teilweise bereits erschienene Editionsprojekt „Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933-1945“, das Gedenkbuch für die Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft (erste Auflage 1986 mit etwa 128000 Namen, zweite Auflage 2006 mit 149.625 ermordeten jüdischen Bürgern des Deutschen Reiches bei fast 500000 Angehörigen der jüdischen Religionsgemeinschaft und geschätzten weiteren 42000 Menschen jüdischer Abstammung sowie vielleicht 100000 so genannten „Mischlingen“ ersten und zweiten Grades im Juni 1933 und nur noch etwa 234000 Menschen jüdischer Herkunft im Mai 1939) und die Liste der jüdischen Einwohner im Deutschen Reich 1933-1945, die Unterlagen des ITS (International Tracing Service) Bad Arolsen oder die eigene Erinnerung Eveline Goodman-Thaus.

 

Perspektiven in der schulischen und außerschulischen Bildung werden in vier weiteren Beiträgen erörtert. Niemals vergessen ist der Leitgedanke der Spurensuche und Erinnerungsarbeit etwa in Rotenburg an der Fulda, der Stolpersteine Gunter Demnigs in Marburg, des Zuges der Erinnerung oder des Holocaustdenkmals in Berlin. Angeschlossen ist ein in sechs Teile gegliederter Katalog der Ausstellung.

 

In ihn führen Reinhard Neebe und Annegret Wenz-Haubfleisch umsichtig und einfühlend ein. Er beginnt mit einem Vermerk des Polizeipräsidenten in Kassel über die Misshandlungen jüdischer Rechtsanwälte und Kaufleute  bereits im März 1938. Abbildung 90 beschließt das eindringliche wichtige Werk mit der Kuppel der Marburger Synagoge von etwa 1904, als die deutsche Welt für Juden noch einigermaßen ungetrübt und in Ordnung schien.

 

Innsbruck                                                                                           Gerhard Köbler