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Tangermünde, die Altmark und das Reichsrecht. Impulse aus dem Norden des Reiches für eine europäische Rechtskultur, hg. v. Lück, Heiner (= Abhandlungen der sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, philologisch-historische Klasse 81,1). Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig in Kommission bei Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH/Hirzel, Stuttgart 2008. 161 S., 9 Abb. Besprochen von Hiram Kümper.

Tangermünde, die Altmark und das Reichsrecht. Impulse aus dem Norden des Reiches für eine europäische Rechtskultur, hg. v. Lück, Heiner (= Abhandlungen der sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, philologisch-historische Klasse 81,1). Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig in Kommission bei Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH/Hirzel, Stuttgart 2008. 161 S., 9 Abb. Besprochen von Hiram Kümper.

 

Der vorliegende Band dokumentiert eine Tagung, die im August 2006 in Tangermünde in der Altmark veranstaltet wurde. Der Titel mag zunächst überraschen. Zugrunde liegt die Vorstellung, Tangermünde sei ein zentraler Ort für die Herrschaft Karls IV., er habe „hier ein kleines ‚Prag des Nordens’ errichten wollen“ (Heiner Lück, Vorwort, 5). Diese Vorstellung wird in den versammelten Beiträge – mal mehr, mal weniger – immer wieder aufgerufen, allerdings an keiner Stelle durch umfänglicheres historisches Material eingelöst. Zwar ist – das alleine ist für den Norden im 14. Jahrhundert selbstverständlich bemerkenswert – der Aufenthalt und die Bautätigkeit des Kaisers in der kleinen Stadt in der Altmark zwischen 1375 und 1378 belegt, urkundet Karl dort auch in so wichtigen Angelegenheiten wie der märkisch-böhmischen Erbeinigung von 1374; anderes, wie die Anfertigung des berühmten Landbuches von 1375, kann nur vermutet werden (vgl. dazu den Beitrag Frank Riedels, 58f.). Allerdings wird nicht recht deutlich, was das für die Beiträge der Tagung oder, von der anderen Seite her, die Beiträge der Tagung für diesen Umstand zu bedeuten habe. Weder wird hier neues Material beigebracht noch wird das bislang Bekannte in neue Zusammenhänge gefügt, um entweder die Reichsgeschichte, speziell diejenige der Herrschaft Karls IV., oder aber die altmärkische Geschichte im Lichte der Anwesenheit des Kaisers weiter voran zu treiben. Symptomatisch ist in dieser Hinsicht der knappe Absatz (28f.), der gleich einem Appendix Wilhelm Brauneders fraglos konzisen Überblicksbeitrag zum Problem der Reichshaupt- und Residentstädte beschließt. Argumentativ trennt Tangermünde als ‚Reichsresidenzstadt’ von den ‚bloßen Nebenresidenzen’ die „rege Bautätigkeit“ (27) Karls vor Ort. Fraglich bleibt, ob die Vorstellung einer kaiserlichen Residenz in der Altmarkt eine zeitgenössische war. Wenn Brauneder nämlich feststellt, „[n]och um die Mitte des 18. Jahrhunderts [werde] zu Tangermünde das ‚königliche Haus’ hervorgehoben bzw. das ‚Schloss’ Karls IV.“ (ebd.), so kann auch Sigrid Brückner vom Tangermünder Stadtarchiv in ihrem kundigen und archivalisch gesättigten Beitrag über den „Kaisertag“ am 29. November 1900 ebenfalls keine früheren Belege als Johann Christoph Bekmanns „Historische Beschreibung der Chur und Mark Brandenburg“ von 1753 beisteuern (147f.). Einiges Licht auf die mittelalterliche Geschichte von Stadt und Region werfen allerdings die informativen landeskundlichen Beiträge Peter Neumeisters und Frank Riedels. Hier zeigt sich aber im Grunde erst recht, dass es eher die Kontinuitäten als die zeitweise Anwesenheit des Kaisers sind, welche die Altmark in reichsweiter Perspektive interessant machen. Die zweite wichtige Bezugsperson des Bandes ist der märkische Hofrichter Johann von Buch, der als Verfasser der ältesten Glossierung des Sachsenspiegels Berühmtheit erlangt hat und wohl um 1290 in der Nähe (!) von Tangermünde geboren wurde. Seiner Person und seinem Werk widmen sich die Beiträge Frank-Michael Kaufmanns und Bernd Kannowskis, beide durch zahlreiche Veröffentlichungen ausgewiesene Experten auf diesem Gebiet. Entsprechend handelt es sich um zwei sehr solide Untersuchungen, die aber nur wenig Neues beibringen können, was ihre Verfasser nicht bereits anderswo vorgelegt hätten. So führt Kaufmann sehr verständlich die Herangehensweise des Glossators vor und greift den zugrunde liegenden Gedanken vom Kaiserrecht noch einmal auf, während Kannowski, inspiriert durch das heute so virulente Wort vom „Europa der Regionen“, europäische Dimensionen und regionalen Eigenarten in Johanns Denken aufzuzeigen sucht. Auch hier wieder: Tangermünde als bloßer Appendix, der den Beitrag beschließt (91). Vorwerfen kann man das Kannowski der Sache nach sicher nicht. Besonders hervorzuheben, gerade für die Leser dieser Zeitschrift, wäre schließlich der Beitrag Christoph H. F. Meyers, der sich mit Dietrich von Bocksdorf und damit einem wichtigen, aber bislang immer nur am Rande behandelten gelehrten Bearbeiter des sächsischen Rechts befasst. Der Beitrag ist ursprünglich in gänzlich anderem Kontext entstanden, sodass es nicht verwundern mag, dass Tangermünde hier mit keinem Wort vorkommt – eine solche Verbindung wäre aber auch gar zu konstruiert. Vielmehr ergibt sich eine enge Verknüpfung zu den beiden Beiträgen über die Buchsche Landrechtsglosse wie überhaupt zum sächsischen Recht, das auch für die Rechtsentwicklung der Altmark so wichtig gewesen ist. Damit ist wieder der Bogen zum Gesamtkonzept geschlagen: Insgesamt bedient der vorliegende Sammelband zwei Themen der vor allem mittelalterlich-frühneuzeitlichen Geschichte, nämlich die Landesgeschichte der Altmark und die Geschichte des sächsischen Rechts. Diese beiden Themen werden eher assoziativ über ihre Verbindungen zur Stadt Tangermünde verbunden, wobei diese Verbindung über die im Kern aber offenbar neuzeitliche Karlserinnerung gestiftet wird – von der mittelalterlichen jedenfalls lesen wir hier nichts. Die Bedeutung Tangermündes für die Altmark mag einleuchten, diejenige für das Reichsrecht schon der Begründung bedürfen, diejenige für eine europäische Rechtskultur umso mehr. Zu letzteren beiden Fragen erfahren wir leider wenig. So bleibt der Band vornehmlich einem Phänomen der Geschichtskultur verpflichtet, das er selbst kräftig weiter schreibt. Das stellt nicht den Gehalt der teils sehr lesenswerten Einzelbeiträge, wohl aber die gemeinsame Klammer Tangermünde in Frage.

 

Bielefeld                                                                                             Hiram Kümper