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Sommer, Robert, Das KZ-Bordell. Sexuelle Zwangsarbeit in nationalsozialistischen Konzentrationslagern. Schöningh, Paderborn 2009. 445 S., 31 Abb. Besprochen von Werner Augustinovic.

Sommer, Robert, Das KZ-Bordell. Sexuelle Zwangsarbeit in nationalsozialistischen Konzentrationslagern. Schöningh, Paderborn 2009. 445 S., 31 Abb. Besprochen von Werner Augustinovic.

 

Die Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager gilt heute, wie zahlreiche Spezialstudien belegen, allgemein als gut erforscht. Dass es dennoch auf diesem Gebiet noch Erhellenswertes und Aufzuarbeitendes gibt, beweist Robert Sommer mit seiner unter der Ägide Hartmut Böhmes erstellten Dissertation zur lange tabuisierten Institution der KZ-Bordelle.

 

Neben der Auswertung von schriftlichen Quellen aus deutschen, polnischen, britischen und US-amerikanischen Archiven und der Fachliteratur hat der Autor 24 Interviews mit Zeitzeugen (darunter aber nur mit vier Frauen) persönlich geführt und in seine Darstellung einfließen lassen. Darüber hinaus wurden die Äußerungen von weiteren 15 Frauen und drei Männern unter Pseudonymen aufgenommen. Der „Gebrauch von Oral History und NS-Akten“ erfolge – so Sommer - „gleichermaßen komparatistisch wie komplementär“ (S. 26).

 

Gemäß der Aktenüberlieferung kam Reichsführer-SS Heinrich Himmler im März 1942 zur Einsicht, dass es „notwendig“ sei, dass „in der freiesten Form den fleißig arbeitenden Gefangenen Weiber in Bordellen zugeführt werden“ (Bundesarchiv, NS 19/2065). Die daraus erwachsene „Dienstvorschrift zur Gewährung von Vergünstigungen an Häftlinge“ vom 15. Mai 1943 (Bundesarchiv, NS 3/426) verfolgte den Zweck, die Arbeitsleistung in den Lagern zu steigern, und führt den Bordellbesuch bereits ausdrücklich als eine der vorgesehenen Bonifikationen an. Von 1942 bis 1945 wurden, chronologisch gereiht, Bordelle in den Konzentrationslagern Mauthausen, Gusen, Flossenbürg, Buchenwald, Auschwitz-Stammlager, Auschwitz-Monowitz, Neuengamme, Dachau, Sachsenhausen und Mittelbau-Dora installiert.

 

Eingebettet in die größeren Kontexte der Rassenbiologie, der Prostitutionspolitik und der Frage des Auslebens von Sexualität im Konzentrationslager widmet sich Robert Sommer der Geschichte der einzelnen Lagerbordelle ebenso wie ihrer Organisation, der Situation der 174 namentlich nachgewiesenen (und geschätzten 210) „Sex-Zwangsarbeiterinnen“ und den Motiven der Bordellbesucher. Statistische Tabellen im Anhang geben unter anderem Auskunft über Beruf, Alter, Nationalität, Haftgrund, Familienstand, die Anzahl der Kinder und die Aufenthaltsdauer der Frauen in den Lagerbordellen, aber auch über Zahl und Frequenz der Besuche sowie Herkunft und Haftgrund der Benützer der Einrichtungen in Mauthausen und Buchenwald.

 

Knapp die Hälfte der in den Bordellen tätigen Frauen war zwischen 20 und 24 Jahre alt, zwei Drittel waren Deutsche und als „Asoziale“ inhaftiert. Jüdinnen wurden aus rassischen Gründen nicht herangezogen. Die Verweildauer im Lagerbordell Buchenwald bewegte sich für den Großteil der dort Eingesetzten zwischen 17 und 21 Monaten. Sollten ursprünglich nur „gelernte“ Prostituierte, die darüber hinaus nach nationalsozialistischer Weltanschauung für die Volksgemeinschaft wertlos geworden waren, rekrutiert werden, so wurden bald auch andere Frauen unter Vorspiegelung falscher Tatsachen und unter Ausnutzung ihrer Zwangslage – oft ging es um das nackte Überleben - zum Bordelldienst gepresst. Ihre Daten wurden auf Hollerith-Lochkarten verschlüsselt und vom SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt (WVHA) zentral erfasst. Aufgebracht wurde das Personal mit Masse in den Frauenlagern Ravensbrück und Auschwitz-Birkenau.

 

Sieht man von der Unfreiwilligkeit und Unzumutbarkeit dieser Form der Zwangsarbeit, den entwürdigenden Umständen ihrer Ausübung und der allgegenwärtigen totalen Überwachung und Kontrolle durch die SS ab, so waren die Lebensbedingungen für die Frauen in den Bordellkommandos „hinsichtlich Bekleidung, Verpflegung und Hygiene besser als die ‚normaler’ Häftlinge“; sie „erhielten SS-Verpflegung“, trugen „zumeist zivile Kleidung“ und bekamen auch „Geld, das ihnen die SS als Entgelt für die sexuelle Ausbeutung gutschrieb“ (S. 234). Ebenso sind direkte sexuelle Übergriffe oder Vergewaltigungen durch Angehörige der SS nicht dokumentiert; der interessanten Frage, welche Bestimmungen in den für die auf SS-Angehörige anzuwendenden, disziplinar- und strafrechtlichen Vorschriften oder in den jeweiligen lagerinternen Befehlen für diese Zurückhaltung ausschlaggebend gewesen sein könnten, geht Sommer leider nicht nach.

 

Die Bordellbesucher waren „eine verschwindend kleine Gruppe“, sie machten „oft weniger als ein Prozent der Lagerstärke“ aus (S. 251). Hauptmotiv der regelmäßigen Nutzer – zum Großteil sogenannte Funktionshäftlinge, zumeist aus der Gruppe der „Berufsverbrecher“, die die SS im Vollzug unterstützten - war die Präsentation eines überlegenen, privilegierten Status gegenüber ihren deutlich schlechter gestellten Mithäftlingen, ansonsten häufig einfach nur der Wunsch nach menschlicher Nähe und Wärme in der unmenschlichen, weitgehend maskulinen Lagerwelt.

 

Wie der Verfasser abschließend bedauernd anführt, wurde „der Forderung nach einer Entschädigung der Opfer der sexuellen Ausbeutung der Lagerbordelle … bislang nicht Folge geleistet“; verantwortlich dafür seien „die Kontinuität der Stigmatisierung und die Verfolgung als ‚Asoziale’ selbst nach dem Krieg, aber auch die Unterstellung der Freiwilligkeit bei der Arbeit im KZ-Bordell und die damit verbundenen Schuldzuweisungen“ (S. 278), Vorwürfe, die der in der vorliegenden Studie erwiesenen Realität diametral widersprächen. Somit besteht das Hauptverdienst der Arbeit darin, auf das Schicksal dieser zahlenmäßig zwar kleinen, aber nichtsdestotrotz von klarem Unrecht betroffenen Opfergruppe aufmerksam zu machen und die wissenschaftliche Grundlage für eine späte – in den meisten Fällen schon zu späte – rechtliche Aufarbeitung und Wiedergutmachung bereitzustellen. Leider hat man der Druckversion keine Register zu Personen, Orten und vor allem Sachbegriffen – heutzutage Standard –  beigegeben, was das gezielte Aufsuchen von Textstellen erheblich erschwert.

 

Kapfenberg                                                                Werner Augustinovic