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Montesquieu zwischen den Disziplinen. Einzel- und kulturwissenschaftliche Zugriffe. Internationale Konferenz aus Anlass des 250. Todesjahres von Charles-Louis de Montesquieu an der Universität Potsdam, Forschungszentrum Europäische Aufklärung, hg. v. Mass, Edgar (= Beiträge zur politischen Wissenschaft 161). Duncker & Humblot, Berlin 2010. 468 S. Besprochen von Werner Schubert.

Montesquieu zwischen den Disziplinen. Einzel- und kulturwissenschaftliche Zugriffe. Internationale Konferenz aus Anlass des 250. Todesjahres von Charles-Louis de Montesquieu an der Universität Potsdam, Forschungszentrum Europäische Aufklärung, hg. v. Mass, Edgar (= Beiträge zur politischen Wissenschaft 161). Duncker & Humblot, Berlin 2010. 468 S. Besprochen von Werner Schubert.

 

Der Band dokumentiert die Vorträge, die auf der internationalen Potsdamer Konferenz: „Montesquieu zwischen den Disziplinen“ 2005 gehalten worden sind, zwei vorbereitende Gesprächsrunden und eine die Ergebnisse der Tagung resümierende Abhandlung von E. Mass: „Montesquieu zwischen Disziplinen. Eine Zusammenfassung der deutschen Rezeption“ (S. 405-445). In diesem Zusammenhang geht Mass auf den Verlauf der Befassung der Rechts- und Verfassungsgeschichte sowie der Literatur- und der Geschichtswissenschaft mit Montesquieu detailliert ein. „Die Hauptlast der inhaltlichen Gestaltung der Tagung“ (S. 9) oblag den Leitern der sechs Sektionen: Staatswissenschaft. Gewaltenteilung in der Mehrebenenpolitik – Sektion Literatur – Sektion Geschichte. Montesquieu als Historiker – Sektion Politologie. Kulturelle Bedingungen politischer Regime: Europa, Asien, Amerika – Sektion Genderforschung. Montesquieu im Blick der Geschlechterforschung und Sektion: Zwischen Tradition und Moderne. Zur Ortsbestimmung der Montesquieu-Forschung. Montesquieu-Lektüren. Der Bereich Rechtswissenschaft steht dabei, so Mass, „für die wichtigste Bedeutung von Montesquieu, in die auch frühe Geschichts- und Politikwissenschaft“ mit eingegangen sei (S. 410). Die Reduzierung der „vielen in einem Staat wirkenden Kräfte, Funktionen und Gewalten auf ein attraktives dreigliedriges Modell“ (Dreiteilung der Gewalten) bleibe mit seinem Namen verbunden. Seit der Mitte des 20. Jahrhunderts hat sich dieses Denkmodell endgültig durchgesetzt und gilt seitdem als „Normalfall moderner Staaten“ (S. 411f.).

 

Montesquieus „Klassifikation“ der Regierungsformen bereitet bis heute „erhebliche Interpretationsschwierigkeiten“ (S. Zurbuchen, S. 398). Ähnliches gilt für die Gewaltenteilungs- bzw. Machtteilungslehre, deren „Missverständnisse“ nach A. Riklin „Generationen von Juristen, Politikwissenschaftlern und Politikern“ verwirrt hätten (S. 239). Dies hängt einmal damit zusammen, dass die Termini pouvoir puissance allgemein mit „Gewalt“ ins Deutsche übersetzt wurden, für welchen Begriff die französische Sprache den Begriff violence verwendet. Deshalb läge es näher, „auf gut deutsch von Machtteilung zu sprechen, nicht von Gewaltenteilung und sicher nicht von Gewaltentrennung“ (S. 240). Im Übrigen habe Montesquieu keine séparation des pouvoirs empfohlen, sondern eine „gemäßigte distribution des pouvoirs“ (S. 239). Diese und weitere Missverständnisse haben insbesondere die deutsche staats- und verfassungsrechtliche Diskussion und Entwicklung bestimmt und insoweit ihre eigene Geschichte. H.-J. Papier arbeitet anhand der Entscheidungs- und Tenorierungspraxis des Bundesverfassungsgerichts heraus, dass das Verhältnis zwischen Verfassungsgerichtsbarkeit und Legislative sehr differenziert und vielgestaltig sei (S. 15ff.). Nach D. Merten ist der bundesstaatliche Föderalismus Deutschlands gekennzeichnet durch eine „vertikale Gewaltenteilung“ (S. 27ff.), die den Ländern eine gleichberechtigte Mitwirkung der Länder an der „Bildung des politischen Gestaltens“ gewährleistet (S. 27ff.). In seinem Beitrag: „Montesquieu und die Wiederherstellung des Rechtsstaates in Deutschland (1946-1949; S. 375ff.) stellt P.-L. Weinacht heraus, Montesquieus häufige Präsenz in den Verfassungsberatungen nach dem Krieg sei eine solche des „Axioms“, nicht der Texte gewesen (S. 390). Lediglich die Kommunisten haben die Dreiteilung der Gewalten abgelehnt. K. Adomeit geht der Frage nach, welche Bedeutung der Gewaltenteilung in aktueller Sicht insbesondere hinsichtlich der Rechtsfortbildung, der Richterwahl zu den Bundesgerichten und des Verordnungsrechts der EU-Richtlinienzukomme. Riklin stellt unter der Überschrift: „Was Montesquieu noch nicht wissen konnte. Überlegungen zur Revision der Gewaltenteilungslehre“ (S. 239ff.) Überlegungen darüber an, was Montesquieu heute an der Machtteilungskonzeption ändern würde (S. 239; Problem der Gesetzgebungszuständigkeit sowie der friedlichen und kriegerischen Außenpolitik). Gegenstand der Abhandlung von S. Zurbuchen: „Zur Diskussion von Montesquieus Theorie der Regierungsformen in Republik und Monarchie (Schweiz, Preußen; S. 393ff.) ist die Auseinandersetzung des Berliner Philosophen Johann August Eberhard (1739-1809) mit der Einteilung der Regierungsformen durch Montesquieu. Nach Eberhard war die aufgeklärte (unbeschränkte) Monarchie eine in Montesquieus Klassifikation fehlende Regierungsform, die als beste Staatsform „ihren Bürgern einen höheren Grad an Freiheit gewährt als andere Regierungsformen“ (S. 394). Zurbuchen sieht in seiner „Neueinschätzung der Potentiale einer unbeschränkten Monarchie“ einen wichtigen Hinweis darauf, dass die politischen Ideale der Aufklärung keineswegs „eindimensional auf die Verfassung einer modernen Republik zuliefen“ (S. 403). H. Rottleuthner befasst sich mit den „Natürlichen Grundlagen des Rechts“ bei Montesquieu (u. a. Größe eines Landes, Klima; S. 356ff.), während G. Barrera die „question de l’union politique européenne“ im Lichte der Gedankenwelt Montesquieus untersucht (S. 329ff.).

 

In der Sektion Politologie werden folgende Themen erörtert: Marginalisierung der „Sitten“ durch eine besondere Wertschätzung der politischen Institutionen durch Montesquieu (H. Mandt; S. 193ff.), politische Ordnungen und Bedingungen als Basis der Wirtschaft (M. Hereth; S. 201ff.); Groß- und Kleinräumigkeit bei Montesquieu (England und das Empire; Th. Leurer, S. 209ff.); Asienbilder Montesquieus (Persien, China, Russland; E. Böhlke, S. 231ff.) und Verfassungsdebatten bei der Gründung der USA und der EU im Licht des Werkes von Montesquieu (G. Barrera, S. 247ff.). – In der Sektion Literatur geht es u. a. um die Schönheit der Lettres persanes, um Montesquieu in einigen Korrespondenzen und um die „Dekadenz Roms“ bei Montesquieu. In engem Zusammenhang mit der Sektion Literatur stehen die Beiträge in der Sektion Geschichte: Historische Argumente in den Lettres persanes und historische Herangehensweise Montesquieus am Beispiel Roms. Die Sektion „Genderforschung“ eröffnet insbesondere mit dem Beitrag C. Fischers einen Einblick in das Frauenbild Montesquieus in den Lettres persanes, das deutlich komplexer sei als bei Françoise de Grafigny und bei de Staël (S. 297ff.).

 

Die Beiträge des Bandes, soweit sie sich mit der sog. Gewaltenteilungslehre befassen, verdeutlichen, dass dieser Grundsatz sich als „Axiom“ in der deutschen Montesquieu-Rezeption weitgehend verselbständigt hat (vgl. S. 390f.). Umso wichtiger ist eine genaue Analyse der Schriften Montesquieus und deren Einordnung in die verfassungsrechtlichen und kulturpolitischen Diskussionen des 18. Jahrhunderts (vgl. bes. S. 297ff., 355ff., 393ff.). Es fehlt ein Beitrag über die Übersetzungen vor allem von: „De l’Esprit des Lois“ ins Deutsche und deren Wirkungskraft. In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, inwieweit eine kritische Neuübersetzung des Werkes – die letzte Übersetzung stammt von Ernst Forsthoff aus dem Jahre 1951 – von Nutzen wäre. Hingewiesen sei auch darauf, dass das grundlegende Werk Robert Sheckletons: „Montesquieu. A critical biography“ (1961) bisher keine deutsche Übersetzung gefunden hat (vgl. S. 426). Die Vortragssammlung wird abgeschlossen mit einem Stellenverzeichnis für die zitierten Werke Montesquieus und einem umfassenden Personenregister. Ein Sachverzeichnis wäre zur Erschließung der Inhalte der Beiträge hilfreich gewesen. Die Aufsätze des Bandes geben in ihrer Gesamtheit einen zuverlässigen Führer durch die inzwischen nur noch schwer überschaubare Literatur zu Montesquieu. Allein die in Arbeit befindliche Biographie von Mass enthält 1.500 Titel für die Jahre von 1945 bis 2005 allein für den deutschen Sprachraum (S. 426). Insgesamt hat der Band das von den Autoren angestrebte Ziel erreicht, nämlich „aus unterschiedlichen disziplinären Perspektiven heraus neue Interpretationen und Forschungsergebnisse“ zum Werk Montesquieus zu diskutieren (S. 9).

 

Kiel

Werner Schubert