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Festschrift für Winfried Hassemer, hg. v. Herzog, Felix/Neumann Ulfrid in Verbindung mit Bae, Jong-Dae/Hirsch, Andreas von/Horiuchi, Shozo/Muñoz Conde, Francisco/Tavares, Juarez. C. F. Müller, Heidelberg 2010. XX, 1335 S. Besprochen von Bernd Rüthers. ZRG GA 128 (2011) 82.

Festschrift für Winfried Hassemer, hg. v. Herzog, Felix/Neumann Ulfrid in Verbindung mit Bae, Jong-Dae/Hirsch, Andreas von/Horiuchi, Shozo/Muñoz Conde, Francisco/Tavares, Juarez. C. F. Müller, Heidelberg 2010. XX, 1335 S. Besprochen von Bernd Rüthers.

 

Die hier anzuzeigende, gewichtige Festschrift ist dem ehemaligen (bis 2008) Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichts und heutigen Rechtsanwalt für Strafrecht Winfried Hassemer zu seinem 70. Geburtstag dargebracht worden.

 

Hassemer war während seines Studiums Stipendiat der Bischöflichen Studienförderung Cusanuswerk. Nach den Staatexamina wurde er Assistent bei Arthur Kaufmann in Saarbrücken und München. 1972 folgte die Habilitation für Strafrecht, Strafprozessrecht, Rechtsphilosophie und Rechtssoziologie zum Thema „Theorie und Soziologie des Verbrechens. Ansätze zu einer praxisorientierten Rechtsgutslehre.“ Der Neigung Arthur Kaufmanns zu den Lehren Gustav Radbruchs (auch dessen Methodenverachtung) ist der Jubilar treu geblieben. 1973 nahm er einen Ruf auf eine Professur für Rechtstheorie, Rechtssoziologie, Strafrecht und Strafverfahrensrecht an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main an. Von 1991 bis 1996 war Hassemer der Landesbeauftragte für den Datenschutz des Landes Hessen. Von 1996 bis Mai 2008 war er Richter des Bundesverfassungsgerichts und gehörte dem Zweiten Senat an - seit April 2002 als dessen Vorsitzender und Vizepräsident des Gerichts. Inzwischen ist er, wie nicht wenige seiner emeritierten Kollegen, Partner einer auf das Strafrecht konzentrierten Anwaltskanzlei.

 

Hassemer genießt im Strafrecht, Strafverfahrensrecht und in der Rechtsphilosophie einen internationalen Ruf, wie mehrere Ehrenpromotionen  (Thessaloniki 1998, Rio de Janeiro 2001, Lusíada 2004 und Sevilla 2005) bezeugen. So sind denn auch 87 überwiegend renommierte Autoren aus den verschiedensten Ländern, Disziplinen, Rechtskreisen und Berufen der Einladung der Herausgeber zur Beteiligung an der Festschrift gefolgt. Das Buch ist in die Themenbereiche Grundlagen, Grundfragen des Strafrechts, Allgemeiner Teil, Besonderer Teil, Kriminalpolitik, Strafverfahrensrecht, Europäisches und Internationales Strafrecht, Datenschutz und Verschiedenes eingeteilt. Eigene Abschnitte zur Rechtstheorie, Rechtsphilosophie, Juristische Methodenlehre, auch zum Verfassungsrecht, unverkennbar Arbeitsschwerpunkte des Jubilars, fehlen. Unter „Grundlagen“ und „Verschiedenes“ findet der Leser manches, aber eher wenig Einschlägiges.

 

Eine Festschrift mit 89 Beiträgen auf 1301 Seiten kann hier nur angezeigt, nicht besprochen werden. Das Buch bestätigt insgesamt die deutsche Tradition der Festschriftliteratur. Der Erkenntnisfortschritt einer zutiefst dialogisch angelegten Disziplin, wie die Jurisprudenz sie darstellt, beruht auf kontroversen Diskursen. In Festschriften üblichen Zuschnitts werden solche in der Regel, auch hier ganz überwiegend, mit möglichen Gegnern, nicht aber mit dem Gefeierten geführt. Aber die Gelehrsamkeit vieler Autoren macht die Lektüre gleichwohl zu einer Bereicherung, manchmal sogar zu einem Vergnügen. Die heute Siebzigjährigen und ihre altersnahen Autorenkollegen waren in den wirren Jahren um 1968 zwischen zwanzig und dreißig Jahre alt. So spiegeln nicht wenige Beiträge des Buches auch ein Stück Wissenschaftsgeschichte und Lebensgeschichte der fortwirkenden Erlebnisse und Aktivitäten jener Jahre.

 

Die Nennung einzelner Beiträge wird unvermeidbar willkürlich und geht auf die eingeschränkten Sonderinteressen des Berichterstatters zurück. Mit diesem Vorbehalt nenne ich bei den „Grundlagen“ die Beiträge von –Neumann, Ogorek und Papier, der, damals noch Präsident des Bundesverfassungsgerichts, über dessen Rolle als „Anreger und Hüter der Verfassungsentwicklung“ nachdenkt. Realistische Analytiker meinen seit langem, das Gericht habe sich – im Rahmen seiner Entscheidungen wie auch durch öffentliche Verlautbarungen seiner Mitglieder – zu einem „ständigen Ausschuß der Verfassungsänderung“ entwickelt. Bei den „Grundlagen“ haben mich die Beiträge von Lüdersen, Naucke und Roxin besonders gefesselt. Den strafrechtlichen Laien interessierten beim Allgemeinen Teil und Besonderen Teil des Strafrechts die Aufsätze von Eser, Frommel, Kargl und Volk; beim Strafverfahrensrecht waren es die von Backes, und Fischer. Besonders aufmerksam habe ich dann unter „Verschiedenes“ die Würdigung des Jubilars aus journalistischer Sicht von H. Prantl und den langen offenen Brief von Dieter Simon an Winfried Hassemer gelesen. Er ist mit „consolatio philosphiae“ überschrieben und beginnt mit der Schilderung der Lage des 524 nach Christus im Gefängnis auf seine Hinrichtung wartenden Boethius. Sodann bringt er eine wenig Trost spendende Betrachtung über die Rolle von „furchtbaren Juristen“ vor und nach 1945 sowie deren Beurteilung durch Gesetzgebung und Justizpolitik der Bundesrepublik. Als Beispiel wählt Simon geschickt und gezielt den damaligen Ersten Staatsanwalt und späteren Ministerialdirektor in Bayern Walter Römer. Roemer war als Erster Staatsanwalt, Leiter der Vollstreckungsabteilung des Münchener Landgerichts, zuständig für die Realisierung volksrichterlicher Todesurteile gegen bayerische Delinquenten. Zu seinen Opfern zählten auch die Angehörigen der Weißen Rose, Sophie Scholl, Hans Scholl und Christoph Probst.

 

Simon hat für seine berührende Anklage einen Praktiker ausgewählt. Er hätte, als langjähriger Assistent an der Münchener Fakultät, auch einen seiner Lehrer dort nennen können, nämlich u. a. den in Fachkreisen bis zuletzt hochgeehrten Edmund Mezger. Mezger definierte während der Strafrechtslehrertagung 1935 rechtswidriges Handeln als „Handeln gegen die deutsche nationalsozialistische Weltanschauung“. Während des Zweiten Weltkriegs gehörte er zur Strafrechtskommission unter dem Reichsjustizminister Franz Gürtner und Roland Freisler. In einem Beitrag in „Kriminalpolitik und ihre kriminologischen Grundlagen“ schrieb er 1944 über die angeblich hohe Kriminalität der Juden: „Gerade bei der besonderen Kriminalität der Juden leiden die älteren Untersuchungen an einer ungenügenden Unterscheidung zwischen Rasse und Konfession... In der Rassengesetzgebung des neuen Staates findet die neue Rasse selbst nunmehr ihre genügende Berücksichtigung“. Im selben Werk forderte er „rassehygienische Maßnahmen zur Ausrottung krimineller Stämme“ und die „Ausmerzung volks- und rasseschädlicher Teile der Bevölkerung“ http://de.wikipedia.org/wiki/Edmund_Mezger - cite_note-3.[1]

Erst das vollständige Bild unserer Disziplingeschichte lässt uns die großen weißen (oder schwarzen?) Flecken auf der Landkarte unserer Erinnerungen erkennen. Wer sich unvollständig und damit falsch erinnert, den bestraft die Zukunft. Mit diesem letzten Beitrag lässt das farbige und inhaltsreiche Buch den Leser nachdenklich zurück. Vielleicht auch manche Autoren?

 

Konstanz                                                                                                       Bernd Rüthers

[1]  Vgl. dazu Muñoz Conde, Francisco, Edmund Mezger - Beiträge zu einem Juristenleben. Aus dem Spanischen von Moritz Vormbaum (= Juristische Zeitgeschichte, Abteilung 4 Leben und Werk, 10). BWV Berliner Wissenschaftsverlag, Berlin 2007.