Zehnpfennig,
Barbara, Adolf Hitler: Mein Kampf.
Weltanschauung und Programm. Studienkommentar (= UTB 3469). W. Fink, München
2011. 280 S. Besprochen von Martin Moll.
Vor
einigen Jahren hat Othmar Plöckingers monumentale Studie „Geschichte
eines Buches“ Entstehung und Rezeption von Adolf Hitlers „Mein Kampf“ minutiös
rekonstruiert. Während die seit langem geforderte, neuerdings vom Münchener
Institut für Zeitgeschichte endlich konkret vorbereitete, kommentierte Neuausgabe
des Werkes bisher teils an inhaltlichen Bedenken, teils an ungeklärten
urheberrechtlichen Fragen gescheitert ist, liegt mit Barbara Zehnpfennigs
Studienkommentar nunmehr eine übersichtliche, knappe Synthese der wesentlichen
Gedankengänge und Argumente Hitlers vor. Diese mit vielen Zitaten angereicherte
Arbeit dürfte die eigene Lektüre des in Bibliotheken und auf dem grauen Markt
leicht erhältlichen „Mein Kampf“ weitgehend entbehrlich machen – ganz zu
schweigen davon, dass Zehnpfennig im Gegensatz zu Hitler in einer
modernen, prägnanten und verständlichen Sprache schreibt. Die Autorin lässt
aber keinen Zweifel daran, dass die wieder und wieder aufgestellte Behauptung,
der „Kampf“ sei unleserlich, da eine krude Mixtur pseudowissenschaftlicher
Theorien und Ideen, die der Verfasser wahllos aufgelesen habe, vermutlich
Hitlers Schreibstil wiedergibt, nicht jedoch die frappante Geschlossenheit und
die Binnenlogik seines Gedankengebäudes.
Zehnpfennig folgt im Großem dem Aufbau und der Gliederung von
Hitlers zuerst 1925/26 in zwei Teilbänden publizierten Werk, sie fasst jedoch
mitunter mehrere bei Hitler getrennte Kapitel zusammen. Sieht man von den
autobiographischen Passagen ab, behandeln die zwei Teilbände Hitlers Weltanschauung
sowie Programmatik und Strategie seiner Partei. Auf die hinreichend bekannten
ideologischen Grundlagen ist hier nicht näher einzugehen; hervorgehoben sei nur
das Urteil der Autorin, wonach die NS-Weltanschauung quasi spiegelbildlich zum
Marxismus konstruiert war (vgl. hierzu das anschauliche Schaubild auf S. 247),
hinter dem Hitler wiederum das Judentum vermutete. Da Hitler den Kampf als das
dem Menschen von der Natur vorgegebene Grundgesetz allen Lebens betrachtete,
bestand sein vorrangiges Ziel darin, das eigene Volk durch die Herstellung von
Homogenität und Geschlossenheit auf diese Auseinandersetzungen vorzubereiten,
woraus sich wiederum der gnadenlose Kampf gegen Marxismus und Judentum, aber
auch ein entsprechendes sozial- und bildungspolitisches Programm ableitete.
Zehnpfennigs Buch bringt viele Informationen zu den Quellen, aus
denen Hitler sein Wissen bzw. seine Ansichten bezog, dies mit einer treffend
beschriebenen Methode selektiven Lesens. Der Schreiber wählte jedoch sorgfältig
aus, übernahm nichts unverändert und passte alles in ein Gebäude ein, das –
selbstredend nur bei Akzeptanz von Hitlers Prämissen – durchaus geschlossen und
logisch wirkt (S. 229). Zehnpfennig konstatiert nur einen grundlegenden
(Selbst-)Widerspruch, da Hitler zwar den Kampf als oberstes – von ihm auch vorbehaltlos
bejahtes – Prinzip ausmachte, zugleich jedoch nicht bereit war, den
befürchteten Sieg des Judentums als Ergebnis jenes Prinzips zu akzeptieren, das
nach Meinung der Autorin nur eingeschränkt als Sozialdarwinismus bezeichnet
werden kann.
An vielen
Stellen greift Zehnpfennig Hitlers zeitgenössische und/oder historische
Analysen auf, die ausweislich der in Fußnoten präsentierten, korrespondierenden
Zeitereignisse nicht rundheraus absurd erscheinen, sondern häufig einen wahren
Kern, wenn nicht sogar mehr, enthielten. Hitler war ein durchaus hellsichtiger,
wenn auch extrem einseitiger Diagnostiker seiner Epoche. Vermutlich lag es
nicht zuletzt daran, dass Hitlers Schriften und vor allem seine Reden beim Publikum
gut ankamen. Kein Zweifel kann darüber bestehen, dass Hitler wortwörtlich meinte,
was er schrieb, was Flexibilität beim Einsatz der jeweils tauglichen Mittel zur
Erreichung des festgelegten Endziels nicht ausschloss. Aufhorchen lassen werden
vor allem zwei überzeugend dargelegte Argumente: Der Holocaust war in „Mein
Kampf“ intellektuell schon vorgedacht, ja er ergab sich nahezu zwingend aus den
hier vertretenen Gedanken. Und: Hitler wurde entscheidend in seinen Wiener
Jahren bis 1913 und dann durch den Ersten Weltkrieg geprägt, weniger durch die
Zeit danach, als sein Weltbild in den Grundzügen bereits feststand.
Dieser Kommentar
ist eine überaus anregende Pflichtlektüre für alle am Thema Interessierten.
Eine gut gegliederte Bibliographie (in der man unter den Quellen lediglich die
vielbändige Edition „Hitler. Reden, Schriften, Anordnungen 1925-1933“ vermisst)
sowie ein Anhang, u. a. mit einer Lebenstafel Hitlers und dem Parteiprogramm
der NSDAP von 1920) runden den Band ab, der leider kein Personenverzeichnis enthält.
Eine kommentierte Neuausgabe von „Mein Kampf“ steht zwar weiter auf der
Tagesordnung, allein deshalb, um noch systematischer als hier Hitlers Anleihen
bei seinen Vordenkern sowie seine Anspielungen auf Zeitereignisse verfolgen zu
können. Den Inhalt des Buches jedoch hat Zehnpfennig prägnant, in
bestens gegliederten Teilschritten, die aufeinander aufbauen und sich ergänzen,
sowie in einer fesselnden Sprache wiedergegeben, so dass man – würde es sich
nicht gerade um diesen Inhalt drehen – sagen könnte, dass ihr Studienkommentar
ein wahrer Lesegenuss ist. Zehnpfennigs Conclusio, „Mein Kampf“ als
gedankliche Leistung seines Verfassers wie als Prophezeiung des Kommenden ernst
zu nehmen, anstatt das Buch ins Lächerliche zu ziehen, muss vorbehaltlos
zugestimmt werden.
Graz Martin
Moll