Wunderlich, Steffen, Das Protokollbuch von Mathias Alber. Zur Praxis des Reichskammergerichts im frühen 16. Jahrhundert, in zwei Bänden (= Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im alten Reich 58). Böhlau, Köln 2011. 1469 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Das Werk ist die von Gero Dolezalek betreute, im Wintersemester 2009/2010 an der Juristenfakultät Leipzig angenommene Dissertation des am Lehrstuhl des Doktorvaters tätigen Verfassers. Sie besticht allein schon durch ihr besonderes Gewicht der beiden insgesamt fast 1500 Seiten umfassenden Bände. Freilich beginnt auf Seite 295 eine Edition, die zusammen mit Verzeichnissen insgesamt etwa vier Fünftel des Ausdrucks ausmacht. Selbst wenn man diese ungewöhnlichen Umstände berücksichtigt, bleibt die Leistung des Verfassers aber in jedem Fall durchaus anerkennenswert.
Nach einem umfangreichen Literaturverzeichnis geht der Verfasser in seiner Einleitung wie im Übrigen auch in seiner gesondert veröffentlichten Studie über die Begründung von Urteilen am Reichskammergericht davon aus, dass während der gesamten, 300 Jahre dauernden Rechtsprechung des Reichskammergerichts die Urteile den Prozessparteien und der Öffentlichkeit nur im Tenor bekannt gegeben wurden, weil das Gericht als Autorität nicht in Frage gestellt werden sollte. Da die Urteile (wie ausgefüht!) schweigen, sich der heutige Historiker aber dadurch um Erkenntnismöglichkeiten gebracht sieht, sucht er nach zusätzlichen Quellen. Bis weit in das 17. Jahrhundert hinein fehlen aber die dafür besonders geeigneten offiziellen, gerichtsintern geführten Protokollbände.
In dieser Lage trifft es sich gut, dass es privat von Assessoren geführte Protokollbücher gibt. Trotz wohl vieler Verluste sind solche Protokollbücher der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts von Matthias Alber (1532-1535), Viglius von Aytta (1535-1537), Nicolaus Everhardus sen. (1535-1542) und Mattheus Neser (1536-1544, 1548-1554) sowie aus späterer Zeit von anderen bekannt und ist seit 2009 eine Vielzahl weiterer Protokollbücher des 16. Jahrhunderts von Anette Baumann im Bundesarchiv entdeckt worden. Um den Bekanntheitsgrad dieser Quellengattung zu steigern, ist das Protokollbuch Albers vom Verfasser im ersten Band ediert und im zweiten Band mittels eines umfangreichen Regestenteils erschlossen und kommentiert.
Vorangestellt ist eine rechtshistorische Untersuchung, die den spezifischen Quellenwert des Protokollbuchs hervortreten lassen soll. Insbesondere soll die urteilfindende Tätigkeit der Assessoren untersucht werden. Besonderes Interesse hat der Verfasser dabei an der Frage, auf welche Rechtsquellen die Assessoren sich bei ihrer Tätigkeit bezogen. Dementsprechend sucht er nach gemeinem Recht, Reichsrecht, Entscheidungen des Reichskammergerichts und Partikularrechten.
Im Ergebnis ermittelt er ein buntes Bild, in dessen Rahmen er überzeugend darauf hinweist, dass die Assessoren stets eine tragfähige rechtliche Begründung in ihren Argumentationen benötigten. Im Einzelnen ist bei Matthias Alber das gemeine Recht die am häufigsten zitierte Quellenart. Dahinter bleibt das Reichsrecht zurück und wurde auch weniger präzise zitiert, was der Verfasser mit der guten Kenntnis der Regelungen begründen will. Für die Rechtsprechung des Reichskammergerichts findet der Verfasser keinen einzigen Fall der Berufung auf einen gemeinen Bescheid und nur wenige in Bezug genommene Urteile und auch die Berücksichtigung des partikularen Rechtes ist selten.
Im Anschluss an diese sorgfältig gewonnen, ansprechenden Einsichten geht der Verfasser zu dem Protokollbuch Albers über, das in der Gegenwart unter der Signatur MS 176 in der Universitätsbibliothek Innsbruck aufbewahrt wird. Er beschreibt es sehr sorgfältig und analysiert es sachgerecht. Außerdem kann er noch mindestens zwei verschollene Protokollbücher nachweisen.
Als Hauptzweck der Protokollbuchführung sieht der Verfasser die Absicherung gegen mögliche Schadensersatzforderungen der Parteien. Dazu bot gerade das Jahr 1532 Anlass, weil in diesem Jahr ein Reichsabschied die Übernahme der Syndikatsklage des römischen Rechtes festsetzte. Über Schadensersatzprozesse gegen Assessoren des Reichskammergerichts berichtet dementsprechend auch das Protokollbuch Albers.
Insgesamt bietet der Verfasser eine vorzügliche, von erkennbarer Begeisterung getragene Leistung. Mit seiner umfassenden Edition hat er sich in besonderem Maße verdient gemacht. Mit der Geschichte des Reichskammergerichts dürfte seine Arbeit auf Dauer verbunden bleiben.
Innsbruck Gerhard Köbler