Von der Doppelmonarchie zur Europäischen Union. Österreichs Vermächtnis und Erbe, hg. v. Béhar, Pierre/Philippoff, Eva (= Documenta Austriaca 1). Olms, Hildesheim 2011. 242 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Nach dem kurzen Vorwort der Herausgeber hatte der 2004 erfolgte Beitritt mehrerer osteuropäischer Staaten (Polen, Slowakei, Tschechische Republik, Ungarn und Slowenien) zur Folge, dass zum ersten Male seit beinahe einem Jahrhundert die meisten Länder der ehemaligen Donaumonarchie (wieder) einem gemeinsamen politischen Staatenverbund angehören. Aus diesem Grunde wurde an der Arbeitsstelle für österreichische Literatur und Kultur an der Universität des Saarlandes vom 14. bis zum 16. Oktober ein internationales Kolloquium abgehalten, auf dem das gemeinsame Erbe unter geschichtlichem und kulturellem Aspekt erneut betrachtet wurde. Seine 14 im vorliegenden Band veröffentlichten Beiträge befassen sich in zwei Teilen mit der Zeit vor und nach dem Zerfall der Doppelmonarchie.
Dabei behandelt nach einem einführenden Plädoyer für eine neue zentraleuropäische Identität für die ältere Epoche etwa Ernst Bruckmüller die Problematik kollektiver Identitätsstiftungm Magdolna Orosz die Sprachenproblematik, Peter Urbanitsch den Ausgleich der Nationen untereinander, Milan Hlavačka die Sicht der Tschechen, Alfred Strasser Jaroslav Hašeks Parodie der Doppelmonarchie, Catherine Horel die Stellung der Ungarn und Marijan Bobinac das Verhältnis Kroatiens zu Österreich-Ungarn. Im zweiten Teil vermittelt László Tarnoi ungarische Neuinterpretationen der Kossuthschen Konföderationsthesen um 1920, behandelt Eva Philipoff unter der Frage, ob Hitler ein Zufall war, die Geschichte des Antisemitismus in Österreich (in Wien 1860 offiziell 6200 Juden [2,2 Prozent der Bewohner], 1870 40000, 1880 726000, 1900 147000, 1914 200000 oder 10 Prozent der Einwohner), sucht Michel Cullin die theoretischen Grundlagen für Republik und Nation in Österreich, betrachtet Anne-Marie Corbin die gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen im Spiegel der Wiener Gemeindebauten, ordnet Anton Pelinka Österreichs Verhältnis zur Erweiterung der Europäischen Union als gemeinsame Geschichte, die trennt, ein und sieht Pierre Béhar einen unaufhörlichen Zerfall der Donaumonarchie. Die in diesen Untersuchungen erörterte vielfältige Spannung veranschaulicht das beschwingte Titelblatt des leider eines Registers entbehrenden Bandes in gefälliger offener Art und Weise.
Innsbruck Gerhard
Köbler