Völkische Wissenschaften und Politikberatung im 20. Jahrhundert. Expertise und „Neuordnung“ Europas, hg. v. Fahlbusch, Michael/Haar, Ingo. Schöningh, Paderborn 2010. 420 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Nach dem kurzen Vorwort von Wolfgang Benz ist es hoch an der Zeit, dass nach langen Jahrzehnten des Schweigens, Ignorierens und Verdrängens eine neue Generation von Historikern mit unbefangenem Blick, Nüchternheit und den handwerklichen Methoden ihrer Profession ans Licht bringt, wie völkische Wissenschaft in Theorie und Praxis zur Expansion des NS-Staats beigetragen hat. Dementsprechend hat sich für das vorliegende enthüllende Werk rasch ein sachkundiger Rezensent gefunden. Da der Verlag aber kein Rezensionsexemplar zur Verfügung stellen konnte, muss der Herausgeber mit wenigen Zeilen auf das Buch hinweisen.
Es enthält insgesamt 19 Beiträge. Nach dem besonders auf Friedrich Meinecke, Gerhard Ritter und Hans Rothfels deutenden Vorwort stellen die Herausgeber den Sammelband dar, der Wert darauf legt, die Kopplungen zwischen Wissenschaft und Politik und anderen gesellschaftlichen Teilsystemen aufzuzeigen. Ein Ziel ist es dabei, die Wege zu beschreiben, wie die Akteure in der Nachkriegszeit in einer demokratischen Gesellschaft neu Fuß fassen konnten und welche narrative Dispositionen sie dabei benutzte, was an Hand von Analysefeldern, Akteurskonstellationen und Ressourcenensembles sowie Transformationen nach 1945 überzeugend gelingt.
Dementsprechend stellt Nicolas Berg zu Beginn die Frage nach der Bedeutung der Formel „jüdischer Geist“ um 1900. Danach werden antijüdische Wissenschaft, Geschichte der Judenfrage, nationalsozialistische Judenforschung, Westforschung, völkische Planwirtschaft, Einwandererzentralstelle, Hans Steinacher, Gunther Ipsen, Otto Reche, Egon Freiherr von Eickstedt, Friedrich Burgdörfer, Robert René Kuczynski, Walter Hotz, Robert Van Roosbroek, der Fall Alfred C. Toepfer, das Recht auf Heimat, Ostforschungstraditionen, die Sudetendeutsche Anstalt für Landes- und Volksforschung in Reichenberg und das Collegium Carolinum in München sorgfältig und detailliert behandelt, ehe der mit einem Register ausgestattete Band mit historischer Erinnerung und Menschenrechtsverletzungen in Spanien abgeschlossen wird. Insgesamt wird auf diese Weise der Einfluss von politisch geförderten Anthropologen, Demographen, Ethnologen, Geographen, Raumplanern, Soziologen, Historikern und Kulturwissenschaftlern mit ihren flexiblen Netzwerken in Deutschland nach 1933, 1939 und 1945 in beeindruckender Weise sichtbar gemacht.
Innsbruck Gerhard
Köbler