Vocelka, Karl, Die Familien Habsburg und Habsburg-Lothringen. Politik - Kultur - Mentalität. Böhlau, Wien 2010. 243 S. Besprochen von Werner Augustinovic.

 

„Die Publikationen über die Habsburger sind von großer Quantität, nicht immer von großer Qualität“: Dieses aussagekräftige Statement ist zugleich der erste Satz der Einleitung in Karl Vocelkas kleinem, feinem Büchlein zur Geschichte jener Herrscherdynastie, die das Schicksal nicht nur Mitteleuropas beinahe sechseinhalb Jahrhunderte, von 1273 bis 1918, maßgeblich bestimmt hat. Genau gesagt ist die Rede eigentlich von zwei Familien, zunächst von den sogenannten „Althabsburgern“, und, nach deren Aussterben im Mannesstamm mit dem Tod Kaiser Karls VI. im Jahr 1740, dem durch die eheliche Verbindung seiner Tochter Maria Theresia mit Franz Stephan von Lothringen neu hervorgegangenen Haus „Habsburg-Lothringen“.

 

Das eingangs zitierte Verdikt des Verfassers zielt auf die seiner Meinung nach zu häufig auftretende Einseitigkeit vieler Publikationen: Entweder seien diese nur biografisch oder aber dominant politisch akzentuiert, Kompilationen aus älterer Literatur oder überhaupt apologetisch. Dass es auch anders geht, deutet der 1947 geborene Wiener Professor für österreichische Geschichte mit den deklarierten Forschungsschwerpunkten Sozial- und Kulturgeschichte Zentraleuropas in der Frühen Neuzeit, Eliten- und Frömmigkeitsgeschichte und – selbstredend – Geschichte der Habsburger nicht nur mit der Trias „Politik-Kultur-Mentalität“ im Untertitel an, er hat dies auch schon mehrfach selbst bewiesen; unter anderem hat er sich zunächst mit den habsburgischen Hochzeiten 1550-1600 (1976), dann mit der politischen Propaganda Rudolfs II. (Habilitation 1981) intensiver auseinandergesetzt. Besondere Erwähnung verdienen aber die beiden gemeinsam mit Lynne Heller zu den „Lebenswelten“ (1997) und der „privaten Welt“ (1998) der Habsburger erarbeiteten Studien, deren Erkenntnisse der hier vorliegende Band in komprimierter Form referiert.

 

Entsprechend vielfältig sind die Themen, durch die das Buch den Leser führt. Ein erster Teil ist dem Aufstieg und dem Niedergang der Familie von ihren Schweizer Anfängen bis zur unmittelbaren Gegenwart gewidmet; er beleuchtet schlaglichtartig die wesentlichen Züge der politischen Entwicklung in ihrer zeitlichen Abfolge: das Kaisertum im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation, die Hausmacht in Österreich, Spanien, die Modernisierung des Staates, das österreichische Kaisertum, den Konservativismus, die Aktivitäten in den Niederlanden, Ungarn und in Italien, das Ende der Monarchie und das politische Nachleben der Habsburger nach 1918. Im darauf folgenden Abschnitt „Familiengeschichte“ geht es unter anderem um den Lebenszyklus, um Familienkonflikte, die Frauen der Habsburger, um namhafte, aber nicht regierende Angehörige der Dynastie, um Fragen der außerehelichen Sexualität und der nicht standesgemäßen Heirat, die „schwarzen Schafe“ sowie den Besitz; das Kapitel „Mentale Prägungen“ hinterfragt eine eigene habsburgische Erziehung, das Sendungsbewusstsein und etwaige Familieneigenschaften zwischen Vererbung und Sozialisation. Abschließend werden die kulturellen Aktivitäten der Familie unter die Lupe genommen, Höfe, Gärten, Residenzen, Feste, das Mäzenatentum und die Sammelleidenschaft.

 

Es ist erstaunlich, wie gut es Karl Vocelka gelingt, dieses breite Spektrum auf den wenigen zur Verfügung stehenden Seiten auszuleuchten und immer wieder manches Überraschende zutage zu fördern. Ein Anliegen ist es ihm dabei, falsche Schulbuchklischees und zum Teil bewusst inszenierte Legendenbildungen zu demontieren. Zu einer mit dem Motto bella gerant alii, tu felix Austria nube, nam que Mars aliis, dat tibi regna Venus häufig bemühten, gleichsam zwingend geplanten und erfolgreichen Heiratspolitik der Habsburger weiß er anzumerken: „Ebenso wichtig wie die Heiratsverbindungen waren die Erbverträge und die Zufälligkeiten von Todesfällen in der jeweils anderen Familie. Aus der Sicht der Zeit heraus hätte es ebenso anders ausgehen können, die Habsburger wären ausgestorben und eine andere Familie hätte ihre Besitzungen erworben“ (S. 21). Über die weithin unkritisch verehrte und geschätzte Maria Theresia wiederum ist zu lesen, dass „vieles an ihrer Politik keineswegs den reinen Idealen der Aufklärung entspricht“; so seien „in ihrer frühen Gesetzgebung der Nemesis Theresiana von 1768 noch ganz genaue Regeln für die Anwendung dieser Folter“ niedergeschrieben worden, die „Lektüre der Werke der Aufklärung durch ihren Sohn Joseph II. erschien ihr suspekt, wenn nicht gar sündhaft“, und auch im Hinblick auf religiöse Toleranz „entspricht Maria Theresia, die Protestanten umsiedelte und Juden hasste, keineswegs den Idealen der Zeit“ (S. 37f.).

 

Besonderes Augenmerk schenkt der Verfasser der Interpretation der 1919 von der Ersten Republik erlassenen und heute noch gültigen, auch in § 26 des österreichischen Staatsvertrages von 1955 verankerten Gesetze betreffend die Landesverweisung und die Übernahme des Vermögens des Hauses Habsburg-Lothringen und dem Verhalten der Familie nach dem Untergang der Monarchie. Kaiser Karl hatte sich geweigert, für sich und sein Haus den Verzicht auf die Herrschaftsrechte explizit zu erklären; dies galt auch für seine Frau, die Ex-Kaiserin Zita, deren Einreise 1982 und deren Aufenthalt in Österreich bis zu ihrem Ableben 1989 dennoch geduldet wurden. Die gegenwärtige Spitze des Hauses, der 1912 geborene Thronfolger Otto Habsburg-Lothringen, vom faschistischen spanischen Diktator Franco 1952 gar als Königskandidat gegen den liberalen Bourbonen Juan Carlos ins Spiel gebracht, gab eine solche Erklärung schließlich 1961 ab, da er sich „spezifische Vorteile in Österreich von seiner Rolle als Präsident der Paneuropa-Union erwartete“ (S. 72), und erwarb nach einem positiven Spruch des Verwaltungsgerichtshofs 1963 schließlich die rechtlichen Voraussetzungen für seine 1966 erfolgte Rückkehr nach Österreich. Mittlerweile betrachte man „wohl auch innerhalb der Familie eine Restauration in Österreich als unrealistisch“, betreibe aber „weiterhin den Kampf gegen die Habsburgergesetze, deren Aufhebung politische und finanzielle Forderungen, die man oft unterschätzt, nach sich ziehen würde“. Denn: „Überblickt man die politischen Ränkespiele der Familie seit 1918, kann man annehmen, dass ein Ende ihrer politischen Ambitionen noch nicht erreicht ist“ (S. 74).

 

Ein zentraler Punkt in diesem Zusammenhang ist die Frage des habsburgischen Eigentums. Erst im 19. Jahrhundert ging man daran, „das private Vermögen der Familie und das staatliche Vermögen zu trennen“, wobei - so der Verfasser - diese Unterscheidung „eine rein rechtlich fiktive“ gewesen sei, habe es sich doch „bei den meisten Vermögenswerten […] um transformiertes Staatseigentum“ gehandelt (S. 123), das schließlich in eine komplizierte Konstruktion von Fonds und Fideikommissen einfloss. Nach 1918 wurde der Familie nur das freie und persönliche Privatvermögen belassen, wogegen der hofärarische Besitz, also das in der Herrscherfunktion besessene Eigentum, an die Republik Österreich fiel. Seit damals würden „die gerechtfertigten oder nicht gerechtfertigten Ansprüche der Familie Habsburg“ diskutiert, wobei diese Materie „letztlich keine rein rechtliche, sondern eine politische“ sei, müsse doch die Frage lauten: „Woher bezogen die Habsburger die Mittel, um diesen Besitz zu erwerben? War es nicht die Ausbeutung der Untertanen in der feudalen Gesellschaft, die eine Besitzakkumulation der Oberschicht ermöglichte?“ Das sei als ein Problem der politischen Moral „nicht nach juristischen Kriterien zu entscheiden“, doch habe die Geschichte der letzten 90 Jahre „ein deutliches Urteil über die Familie und ihren Besitz gesprochen“ (S. 125f.).

 

Rechtsgeschichtlich Relevantes durchzieht den Band auch an vielen anderen Stellen; verwiesen sei hier nur auf das Privilegium maius, das umfangreiche Fälschungswerk Rudolfs IV., in dem die politische Sonderstellung der Dynastie wurzelt, oder die Pragmatische Sanktion, welche die Herrschaftskontinuität von den Althabsburgern zu den Habsburg-Lothringern erst ermöglichte, auf die Darstellung des Ablaufs der Erbhuldigungen und der Krönungszeremonien, schließlich auf die Herrschaftssymbolik in Titulatur und Wappen. Auszusetzen ist an dem Buch kaum etwas; man wird vielleicht fragen können, weshalb anstelle einer zusätzlichen, ergänzenden Karte (die beispielsweise die größte Ausdehnung des Habsburgerreiches unter Karl V. veranschaulichen könnte) die den „Ausgleich“ von 1867 darstellende Skizze sowohl den vorderen wie den hinteren inneren Einbanddeckel zieren muss. Auch die Kriterien der Zusammenstellung der Auswahlbibliografie könnte man diskutieren; obwohl Kaiser Maximilian I. sehr häufig in der Darstellung genannt wird, wird unverständlicher Weise das umfangreiche, von Hermann Wiesflecker verfasste Standardwerk zu diesem Herrscher nicht aufgeführt. Uneingeschränkt zweckmäßig gestaltet sind hingegen die beiden Register und die Stammtafeln der Dynastie im Anhang, die eine sichere Navigation durch diesen kurzweiligen, kritischen und hinter umfangreicheren Darstellungen keineswegs zurückstehenden, ob des begrenzten Umfanges auf Fußnoten verzichtenden Text jederzeit gewährleisten.

 

Kapfenberg                                                                            Werner Augustinovic