Ventzki, Jens-Jürgen, Seine Schatten, meine Bilder. Eine Spurensuche. StudienVerlag, Innsbruck 2011. 224 S., Abb.  Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Werner Ventzki wurde in einer ursprünglich in Obornik im Nordwesten der preußischen Provinz Posen beheimateten Familie in Stolp am 19. Juli 1906 als Sohn eines Zollamtmanns geboren, studierte seit 1926 Rechtswissenschaft in Greifswald, Königsberg und Heidelberg, bestand 1930 die erste juristische Staatsprüfung, trat 1931 in die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei ein - aus der er innerlich nie austrat -, wurde im April  1933 unter Oberbürgermeister Stuckart mit 27 Jahren Magistratsrat in Stettin, war von 1934 bis 1939 Gauamtsleiter der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt im Gau Pommern, seit 1940 Landesrat der Gauselbstverwaltung Posen und NSV-Gauamtsleiter im Warthegau, war als Leiter des Referats Umsiedler für Vertreibung und Deportation der ansässigen Bevölkerung verantwortlich und wurde am 8. April  1941 im Range eines SS-Unterscharführers Oberbürgermeister der am 11. April 1940 von Lódz in Litzmannstadt umbenannten, von der deutschen Wehrmacht besetzten polnischen Großstadt (zur Hälfte polnische Einwohner, zu einem Drittel jüdische Einwohner, zu knapp einem Sechstel Deutsche), dem ein jüdisches Getto angegliedert war. Seit der Mitte des Jahres 1943 wurde er nach einem Konflikt mit einem Vorgesetzten unter Einberufung in die Wehrmacht kommissarisch vertreten, floh bei Kriegsende über Mecklenburg nach Schleswig-Holstein, wo er nach der Entnazifizierung als Mitläufer 1952 Referent für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte im Arbeitsministerium Schleswig-Holsteins und später Oberregierungsrat in Bonn wurde, während einer seiner Mitarbeiter in Polen wegen seiner Taten hingerichtet wurde.

 

Sein Sohn Jens-Jürgen Ventzki wurde in der Villa des Oberbürgermiesters in Litzmannstadt am 13. März 1944 geboren. Als Verlagsberater, Verlagsgeschäftsführer und Lehrbeauftragter für Buchwissenschaft an der Universität München begann er anscheinend 1990 mit der konkreten Suche nach der Vergangenheit seines Vaters in Museen und Archiven. Dabei fand er neben vielem anderen nicht nur die Erklärung seines Vaters, dass er weder dienstlich noch außerdienstlich zu irgendeinem Zeitpunkt davon Kenntnis erhalten habe, dass zahlreiche Juden des Gettos in Vernichtungslager abtransportiert wurden, sondern auch Fotografien, die den Vater im Ghetto ablichten und damit der Unwahrheit überführen.

 

Die Annäherung an die Wahrheit, in der sich der in Detmold am 10. August 2004 gestorbene (andere) Vater (aus einer faschistischen Welt) noch in hohem Alter unbeirrt als Antisemit, Antikommunist und Antidemokrat bekennt, erfolgt eher verschleiert literarisch als nüchtern wissenschaftlich. Brechen mit dem Vater kann der Sohn nicht. So verfasst er ein eindringliches Dokument über seine Beziehung zu einen nahen Mann aus einer fernen Welt, mit dem er im Gegensatz zu vielen beglückenden Freunden und Helfern unter den Opfern zu Lebzeiten nicht einmal ein Gespräch über Schatten und Bilder eines Täters zu führen vermag.

 

Innsbruck                                                        Gerhard Köbler