Stodolkowitz, Stefan Andreas, Das Oberappellationsgericht Celle und seine Rechtsprechung im 18. Jahrhundert (= Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im alten Reich 59). Böhlau, Köln 2011. XVI, 346 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Die gelungene Arbeit ist die von Ulrike Müßig angeregte und betreute, von der juristischen Fakultät der Universität Passau im Wintersemester 2009/2010 angenommene, von der Landschaft des Fürstentums Lüneburg und der Verwertungsgesellschaft Wort geförderte  Dissertation des Verfassers. Ihr Gegenstand ist die Stellung des (in Celle 1711 gegründeten) Oberappellationsgerichts im frühneuzeitlichen Staat des 18. Jahrhunderts und seiner Gesellschaft. Dafür zieht der Verfasser nicht nur die Oberappellationsgerichtsordnung und die einschlägige Literatur heran, sondern auch die erhaltenen Prozessakten zwischen 1747 und 1816.

 

Allerdings sind umfangreiche Bestände bei einem alliierten Luftangriff am 8./9. Oktober 1943 im Hauptstaatsarchiv Hannover vernichtet worden. Dies betrifft auch die Prozessakten des Gerichts. Allerdings blieben die gesondert gelagerten Prozessakten des Herzogtums Lauenburg unversehrt, soweit sie 1816 nach Glückstadt abgegeben worden waren, so dass der Verfasser 443 Prozessakten und verschiedene ergänzende Unterlagen auswerten konnte.

 

Auf dieser in der Einleitung sorgfältig beschriebenen Grundlage wendet sich der Verfasser der rechtlichen und politischen Stellung des Oberappellationsgerichts im Kurstaat zu. Er untersucht zunächst das braunschweig-lüneburgische Appellationsprivileg, die Gründung des Gerichts und die Entstehung der Oberappellationsgerichtsordnung, deren Proömium, die personelle Besetzung und die selbständige Stellung. Danach behandelt er die Einflussmöglichkeiten des Landesherrn und schließt mit einer ansprechenden Bewertung.

 

Im dritten Kapitel befasst er sich mit dem gerichtlichen Verfahren und der Prozessdauer. Nach allgemeinen Verfahrensgrundsätzen (strenge Schriftlichkeit, Verbot von Artikelprozess und Eventualmaxime, weitgehendes Verbot der Aktenversendung) erörtert er Verfahrensart und sachliche Zuständigkeit und folgt danach dem Ablauf des Verfahrens. Das Extrajudizialverfahren trennt er sachgerecht vom Judizialverfahren.

 

Das vierte Kapitel hat seine besonderen Prozessakten zum Gegenstand. Am Beispiel des Herzogtums Lauenburg kann der Verfasse sehr detailliert die Prozesstätigkeit schildern (Tabellen im Anhang). Dabei geht er sehr sorgfältig auf die quantitative Entwicklung des Prozessaufkommens, die Gerichte der Vorinstanz, die Prozessparteien und den Streitgegenstand ein.

 

Im Ergebnis stellt der Verfasser in seiner sehr ansprechenden Studie fest, dass das Oberappellationsgericht ein typisches territoriales Obergericht der frühen Neuzeit war, das weitgehend dem Vorbild des Reichskammergerichts folgte. Faktisch war es weitgehend unabhängig. Als Folge der zahlreichen Untertanenprozesse zwischen Landbevölkerung und Patrimonialherrschaft der adligen Gerichte wirkte es friedenssichernd in den Umbrüchen des ausgehenden 18. Jahrhunderts.

 

Innsbruck                                                                                           Gerhard Köbler