Stierstorfer, Sabine, Das erste einheitliche deutsche Güterrecht. Der Entwurf der Verwaltungsgemeinschaft für das BGB 1900 und seine Diskussion in der Rechtswissenschaft (= Schriften zur Rechtsgeschichte 150). Duncker & Humblot, Berlin 2010. 497 S. Besprochen von Werner Schubert.

 

Mit dem im Buchtitel genannten Entwurf eines einheitlichen Güterrechts sind primär die Vorschläge des Familienrechtsredaktors Gottlieb Planck von 1880/1884 zum gesetzlichen Güterrecht gemeint. Im ersten Teil der Untersuchung beschäftigt sich Stierstorfer mit der Frage, welche die Diskussionsteilnehmer vor der Schaffung einer einheitlichen Regelung zu klären hatten, nämlich „ob es aufgrund der vorgefundenen Situation möglich und sinnvoll sei, das Güterrecht einheitlich zu regeln“ (S. 21; S. 25-59). Obwohl maßgebende Juristen wie Otto von Gierke, Alfred Agricola, Paul Roth und Unger für das Regionalsystem eintraten, entschied sich Planck und mit ihm die erste BGB-Kommission in Übereinstimmung mit dem Deutschen Juristentag von 1875 im selben Jahr für einen einheitlichen Güterstand, und zwar für die Verwaltungsgemeinschaft, obwohl Richard Schröder in dem für die 1. Kommission angefertigten Gutachten für die partikuläre Gütergemeinschaft eintrat (vgl. W. Schubert [Hrsg.], Vorlagen der Redaktoren, Familienrecht, Teil 3, Berlin 1983, S. 847ff.).

 

Im zweiten Teil bespricht Stierstorfer die Vorschläge Plancks zur Regelung der Verwaltungsgemeinschaft in seinem Vorentwurf (S. 74-133) unter folgenden Gesichtspunkten: Eingebrachtes Gut der Frau, das der Nutznießung und Verwaltung des Mannes unterstehen sollte, das Vorbehaltsgut der Frau, das Vermögen des Mannes und die Schuldenhaftung. Nach Stierstorfer war Planck zwar bemüht, im Hinblick auf das eingebrachte Gut die Benachteiligung der Frau durch einige Regelungen abzumildern (S. 128). Diese Regelungen verfehlten jedoch insgesamt das Ziel, „das eingebrachte Gut der Frau abzusichern und ihr gleichwertige Entscheidungsrechte einzuräumen“, da die Neuerungen „auf alte Strukturen aufgesetzt worden seien“ (S. 133). Stierstorfer spricht insoweit von „Verzierungen eines konservativen Stamms“. – In Teil 3 ihres Werkes befasst sich Stierstorfer mit den Streitpunkten bei der Wahl der Verwaltungsgemeinschaft (S. 134-403). Außer der nicht einheitlichen Beurteilung der Verbreitungsgebiete der einzelnen Systeme des Güterrechts durch R. Schröder, P. Roth und Planck (S. 175ff.) geht es in diesem Abschnitt um die Berücksichtigung der Vergangenheit bei der Schaffung der güterrechtlichen Regelungen des BGB. Untersucht werden im Rahmen des Streits zwischen Germanisten und Romanisten die Positionen Gierkes, Schröders und Gerbers (dieser als „romanistischer Germanist“) einerseits und der Romanisten Friedrich Mommsen und Ludwig Mitteis andererseits. Zu einer dritten vermittelnden Gruppe gehören nach Stierstorfer der Oldenburger Jurist Eugen von Beaulieu-Marconney und Planck (S. 202ff.). Nach Stierstorfer lässt sich eine klare Trennlinie zwischen den beiden Hauptgruppen bzw. die Zuordnung zu einer bestimmten Ansicht zu den Begriffen romanistisch und germanistisch nicht ermitteln, d. h. es lässt sich aus den ineinander übergehenden Standpunkten „eine typisch germanistische bzw. eine typisch romanistische Meinung“ nicht aussondern (S. 206f.). Bei dem Streit über die historische Kontinuität ging es nicht „um einen rechtshistorischen Disput“, „sondern vielmehr um eine politische Diskussion“ (S. 210). Inhaltliche Streitpunkte sind bei den Kritikern Plancks die Vernachlässigung des Gemeinschaftsgedankens und die gesetzestechnische Ausgestaltung des jeweils befürworteten Güterstandes. Für die Verwaltungsgemeinschaft sprach nach Planck deren geringe Eingriffsintensität (S. 263ff.).

 

In einem weiteren Kapitel beschäftigt sich Stierstorfer vornehmlich mit der gesellschaftlichen Stellung der Frau bei Schaffung des BGB und den Reaktionen auf den zweiten BGB-Entwurf (S. 267-334). Es kommen neben den Verfechtern der Erhaltung des Mundiums die Vertreter der Frauenrechte zur Sprache, die für eine völlige Gütertrennung mit einem eigenen Verwaltungsrecht auch der Frau und deren evtl. Beteiligung am Vermögenszuwachs während der Ehe eintraten (S. 291ff.). Hierzu gehören Karl Bulling und Marianne Weber, die bürgerliche Frauenbewegung, Emilie Kempin, die linksliberalen Parteien des Reichstags, die Sozialdemokraten und Teile der Reichspartei (von Stumm). Allerdings machten die Gegner der Verwaltungsgemeinschaft nur eine kleine Gruppe aus, die sich im Reichstag gegenüber der überwiegenden Mehrheit nicht durchsetzen konnte. Detailliert erörtert Stierstorfer noch die Rechte des Mannes am eingebrachten Gut und den Arbeitserwerb der Frau als Vorbehaltsgut. Zur Sprache kommen hier insbesondere auch die Vorschläge der Praktiker Karl F. Brühl und Otto Bähr. Nach einer Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse unter besonderer Berücksichtigung der gesellschaftlichen Auswirkungen der Verwaltungsgemeinschaft auf die Ober- und Mittelschicht sowie auf die Arbeiterklasse (S. 384ff., 394ff.) geht es im letzten Teil um die gesetzliche Regelung der Wahlgüterstände (Gütertrennung, allgemeine Gütergemeinschaft, Errungenschaftsgemeinschaft und Fahrnisgemeinschaft [partielle Gütergemeinschaft]). Im Vergleich der einzelnen Güterstände miteinander nimmt die Verwaltungsgemeinschaft eine „Vermittlerrolle“ ein, „zwischen den zur damaligen Zeit eher konservativen Güterrechten hin zu der fortschrittlichen Gütertrennung“ (S. 432). Jedoch war die Zielsetzung Plancks, so Stierstorfer in der Schlussbetrachtung, „teilweise widersprüchlich“: „Er wollte der Frau gegenüber dem Mann eine gleichberechtigte Stellung einräumen und gleichzeitig, als Ausdruck der gegebenen gesellschaftlichen Situation, die Hausherrnstellung des Mannes befestigen“ (S. 435). Allerdings ist dabei zu berücksichtigen, dass Planck mit seinen Vorschlägen zum Ehegüterrecht primär dem Postulat der Vorkommission von 1874, im Wesentlichen das geltende Recht zu kodifizieren, nachkommen wollte. Er war sich bewusst, dass eine Änderung des ehelichen Güterrechts im Sinne der Forderungen der Frauenbewegung notwendig werden könnte (G. Planck, Rechtliche Stellung der Frau, 1899, S. 26). Dies hatte man im Reichsjustizministerium bereits in der Weimarer Zeit erkannt (vgl. hierzu W. Schubert, Die Projekte der Weimarer Republik zur Reform des Nichtehelichen-, des Adoptions- und des Ehescheidungsrechts, Paderborn 1986, S. 92 ff.).

 

Obwohl bereits mehrere rechtshistorische Arbeiten zur güterrechtlichen Regelung des Bürgerlichen Gesetzbuchs vorliegen, fehlte bisher eine umfassende Analyse des Vorentwurfs Plancks, der insoweit bis auf wenige Änderungen dem gesetzlichen Güterrecht des BGB entspricht. Die neue Analyse des Planckschen Entwurfs durch Stierstorfer, die auch auf die Interessenbewertung und die Regelungstechnik eingeht, stellt einen hervorragenden Beitrag zur familienrechtlichen Kodifikationsgeschichte und zum Geschlechterdiskurs des ausgehenden 19. Jahrhunderts dar. Vertieft wird dieser analytische Teil durch die mitunter wohl etwas sehr breite Darstellung der Positionen der anderen Diskursteilnehmer und ihrer Kritik am Entwurf. Ein besonderes Augenmerk richtet Stierstorfer auf die „offensichtlich gewollt herbeigeführte Polarisierung des Meinungsstreits“ durch Gierke, dessen „stark reaktionäre Prägung im Bereich des ehelichen Güterrechts“ bemerkenswert sei (S. 258). Das Werk wird abgeschlossen u. a. mit der Wiedergabe des 5. und 6. Titels des Familienrechts des BGB i. d. F. von 1900 (allgemeine Wirkungen der Ehe, eheliches Güterrecht, §§ 1353-1557). Es verdeutlicht am Beispiel des Teilentwurfs von Planck die große Bedeutung der Vorentwürfe und deren Begründung für die Analyse der BGB-Bestimmungen sowie der abschließenden Behandlung des BGB im Reichstag. Alles in allem liegt mit dem Werk von Stierstorfer eine weitere wichtige, gut lesbare Arbeit zur Entstehungsgeschichte des BGB unter umfassender Berücksichtigung der Rechtsstellung der Frau im ehelichen Güterrecht vor.

 

Kiel

Werner Schubert