Science politique et droit public dans les facultés de droit européennes (XIIIe-XVIIIe siècles), hg. v. Krynen, Jacques/Stolleis, Michael (= Studien zur europäischen Rechtsgeschichte 229). Klostermann, Frankfurt am Main 2008. X, 630 S. Besprochen von Filippo Ranieri.

 

Die vorliegende Publikation veröffentlicht die Beiträge, die in September 2006 anlässlich einer gemeinsamen Tagung des Frankfurter Max Planck Instituts für europäische Rechtsgeschichte und des Centre toulousain d’Histoire du Droit et des Idées politiques vorgelegt worden waren. Die mehr als dreißig Aufsätze stammen aus der Feder von französischen, deutschen, italienischen, spanischen, niederländischen und englischen Rechtshistorikern, so dass der mehrsprachige Band sich bereits in Inhalt und Anlage als exemplarisches gesamteuroeuropäisches Projekt präsentiert. Zu ihm liegt schon die sehr positive Rezension von B. Basdevant-Gaudemet, in: Revue historique de droit français et étranger Bd. 86 (2008), S. 275-277 vor. In seiner Struktur folgt der Band in etwa einer chronologischen Ordnung die von der Zeit der Glossatoren bis zum 18. Jahrhundert reicht. Inhaltlich behandeln allen Beiträge die gemeinsame Fragestellung, die auch der erwähnten Tagung von 2006 zugrunde lag (siehe J. Krynen, Introduction, S. 1-5 sowie J. Verger, Conclusions, S. 625-629). Es geht im Kern um die Frage, in welcher Weise und in welchem Umfang Fragen und Themen der Staatsverfassung und des politischen Systems Gegenstand des Rechtsunterrichts an den europäischen Rechtsfakultäten vom 14. bis zum 18. Jahrhundert waren. Mit anderen Worten wollen alle Autoren hier den universitären Erscheinungsformen der langsamen europäischen Ausdifferenzierung einer autonomen Wissenschaft des öffentlichen Rechts nachgehen. Die römischen Rechtsquellen, Grundlage des damaligen Rechtsunterrichts, sind bekanntlich nach Gegenstand und Begriffsbildung meistens um privatrechtliche Themen zentriert. Dasselbe gilt für die Quellen des kanonischen Rechts. Allerdings sind zahlreiche Stellungnahmen zu Fragen der damaligen Staats- und politischen Verfassung bereits bei Glossatoren und Konsiliatoren nachzuweisen (So etwa A. Gouron, Glossateurs et théories politiques, S. 7-22; A. Levebre-Teillard, L’école parisienne et la formation «politique» des clercs au début du XIIIe siècle, S. 23-40). Exemplarisch hierfür scheinen etwa die zahlreichen Stellungnahmen zu sein, die zum Konflikt zwischen Philipp dem Schönen und Papst Bonifaz VIII ergingen (dazu K. Bezemer, Pierre de Belleperche: An early attempt to make public law a separate branch of legal science?, S. 41-47; H. Gilles, Loi et coutume chez les Doctores Tholosani, S. 49-56; K. Ubl, Die Disziplinierung der Gelehrten. Phillip IV. von Frankreich und die Universität Paris, S. 91-111; P. Gilli, Regimen, administratio, dignitas dans l’exégèse juridique: le cas de l’Apparatus d’Innocent IV, S. 143-156). Überhaupt scheint die Kanonistik gerade eine der Geburtsstätten neuer juristischer Theorien über Staat und Politik gewesen zu sein (So J. Miethke, Kanonistik und Prolegomena zu einem deutschen Staatsrecht: Lupold von Bebenburg und Peter von Andlau im Vergleich, S. 125-141; O. Condorelli, Francesco Zabarella sull’origine della giurisdizione ecclesiastica e civile, S. 157-173; Th. Wetzstein. La doctrine de la «translatio imperii» et l’enseignement des canonistes médiévaux, S. 185-221; P. Arabeyre, Un enseignement de science politique dans les facultés de droit canonique françaises de la fin du XVe et du début du XVIe siècle (Paris, Cahors, Toulouse), S. 299-324). Auch die Gründung neuer Universitäten und die Verkündigung ihrer Statuten boten damals den Juristen Gelegenheit zugleich über Staat und Politik zu diskutieren und standen insoweit am Anfang neuer staatsrechtlicher Entwicklungen. Dies gilt etwa für die Niederlande bei der Gründung der Universität Löwen (L. Waelkens, L’influence de la fondation de la Faculté de droit de Louvain [1425] sur la formation des Pays-Bas, S. 251-261) ebenso wie für Kastilien und Katalonien (A. Iglesia Ferreirós, Entre Lérida, Bolonia y Montpellier, S. 175-183). Unter dem privatrechtlichen Inhalt der europäischen gemeinrechtlichen Wissenschaft verbirgt sich also auch ein wachsendes Theoriegebäude zu Staat, Macht, Politik und Recht (Siehe im Einzelnen V. Crescenzi, Il problema del potere pubblico e dei suoi limiti nell’insegnamento dei Commentatori, S. 57-89; E. Cortese, Absolutisme et légalité dans le droit savant du Moyen Âge. Les deux faces d’une même médaille, S. 113-124; S. Lepsius, Prätor und Prokonsul – Übersetzungsleistungen und Neuschöpfungen der mittelalterlichen Legisten im Umgang mit den römischen Ämtern, S. 223-250; H. G. Walther, Pavia und Padua im frühen 15. Jahrhundert. Zur Profilierung zweier Rechtsuniversitäten bei der Ausbildung für die politische Praxis, S. 263-282; M. Ascheri, Dottrine universitarie, pensiero politico e istituzioni comunali: alcuni problemi, S. 283-298; G. Cazals, Sur quelques manuscrits universitaires toulousains du XVIe siècle et sur l’enseignement de François Roaldès, S. 325-346; D. Quaglioni, L’éducation du juriste face au pouvoir : La «methodus» de Matteo Gribaldi Mofa (1541), S. 347-357; T. de Montagut, El Commentarius ad Usaticum «Alium Namque» del jurista Antoni Olibà (1534-1601). La construcció històrica d’un sistema de dret públic a Catalunya, S. 359-376; J.-L. Thiereau, Une vision du droit public romain au XVIe siècle : le tractatus analyticus de dignitatibus, magistratibus et civibus romanis de Charles du Moulin, S. 393-410; M. Scattola, Von der Politik zum Naturrecht. Die Entwicklung des allgemeinen Staatsrechts aus der politica architectonica, S. 411-443; F.L. Pacheco Caballero, Conceptos y debates políticos en la literatura castellana del siglo XVI. El príncipe y el derecho. Tres ejemplos (Rodrigo Suárez, Gregorio López, Juan Gutiérrez), S. 445-468; A. Wijffels, Une disputation d’Alberico Gentili sur le droit du souverain de disposer de son royaume et des biens de ses sujets (1587), S. 469-484). Im 17. Jahrhundert erfährt das ius publicum dann endgültig die Anerkennung einer eigenen Autonomie. Dies gilt sowohl in der wissenschaftlichen Doktrin als auch bei der zunehmenden Aufnahme als Unterrichtsfach an den Universitäten. Eine solche Entwicklung beobachtet man zunächst im Alten Reich (M. Stolleis, Gelehrte und politische Editoren mittelalterlicher Texte um 1600, S. 613-623; K. Härter, Ius publicum und Reichsrecht in den juristischen Dissertationen mitteleuropäischer Universitäten der frühen Neuzeit, S. 485-528, mit einer sehr lesenswerten historisch-statistischen Analyse der Themen und der geographischen Verbreitung von öffentlich rechtlichen Dissertationen an den Universitäten im Alten Reich des 17.-18. Jahrhunderts). Diese Entwicklung gilt dann aber auch für den Rest Europas. In Frankreich wurde ein Lehrstuhl des öffentlichen Rechts erst im 18. Jahrhundert an der Universität Besançon errichtet. Ein anderer Lehrstuhl war bereits vorher von Louis XIV am Collège de France gestiftet worden (J. Poumarède, Antoine Dadin de Hauteserre. L’œuvre politique d’un professeur toulousain, sous Louis XIV, S. 377-392). In Italien wurde ein erster Lehrstuhl des öffentlichen Rechts im Jahre 1726 an der Universität Pisa errichtet, ein zweiter an der Universität Padua dann im Jahre 1742. Während des 18. Jahrhunderts verbreiten sich Vorlesungen zum ius publicum an allen Universität der italienischen Halbinsel, ohne dass es allerdings zu ähnlichen Gründungen an der Universität Turin und an der Universität Bologna kam (Dazu A. de Benedictis, «Iura municipalia» e «Ius publicum bononiense» nello Studio di Bologna, S. 529-548; I. Birocchi, L’insegnamento del diritto pubblico nelle Università italiane nel XVIII secolo, S. 549-581; M. G. di Renzo Villata, Le droit public en Lombardie au XVIIIe siècle et l’Europe, S. 583-612). In seiner Gesamtheit bietet der stattliche Sammelband einen lehrreichen Einblick in die europäische Geschichte der Wissenschaft des öffentlichen Rechts und dürfte bei künftigen Studien als unverzichtbare Referenz gelten.

 

Saarbrücken                                                                                       Filippo Ranieri