Schwarz, Erika, Juden im Zeugenstand - die Spur des Hans Globke im Gedächtnis der Überlebenden der Schoa (= Schriftenreihe des Centrum Judaicum 8). Hentrich& Hentrich, Berlin 2009. 260 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

In Berlin-Ost, der ehemaligen Hauptstadt der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik begann in Abwesenheit des steckbrieflich gesuchten Angeklagten am 8. Juli 1963 ein Strafverfahren gegen Hans Josef Maria Globke (1898-1973), den ehemaligen Ministerialrat des Innenministeriums des Deutschen Reiches und Preußens und Mitverfasser eines Kommentars zum Reichsbürgergesetz, Blutschutzgesetz und Ehegesundheitsgesetz (Stuckart/Globke), späteren Ministerialdirigenten im Bundeskanzleramt Konrad Adenauers und ab 1953 Staatssekretär, wegen Menschlichkeitsverbrechen, Kriegsverbrechen und Mitwirkung an der Vernichtung ganzer Völkergruppen und Millionen von Menschen. Zur Vorbereitung war die Idee entstanden, Zeitzeugen nach ihren persönlichen Erfahrungen aus der Zeit ihrer Verfolgungen, Vertreibungen und des Massenmordens mit dem Ziel zu befragen, prozessverwertbare Angaben zu erhalten, mit denen sich das dokumentarische Material der Anklage gegen Globke ergänzen und erhärten ließ. Dementsprechend führten vom 2. Mai 1963 bis zum 7. Juli 1963 73 Staatsanwälte und 48 Angehörige der Volkspolizei in 13 Bezirken der Deutschen Demokratischen Republik an Hand einer Anleitung Befragungen von 336 Frauen und 300 Männern als Zeugen durch (Berlin 253, Dresden 28, Erfurt 70, Frankfurt an der Oder 23, Gera 2, Halle 2, Karl-Marx-Stadt 18, Leipzig 96, Magdeburg 75, Potsdam 54, Rostock 2, Schwerin 12, Suhl 1, Cottbus 0, Neubrandenburg 0).

 

Von den 2004 noch lebenden damaligen Zeugen konnte sich kein einziger noch an seine Vernehmung im Jahre 1963 erinnern. Deswegen dient eine vom Bundesministerium des Innern finanziell unterstützte Veröffentlichung der damaligen Vernehmungsprotokolle der Dokumentation. Sie beschränkt sich auf Auszüge aus 128 Protokollen in chronologischer Ordnung.

 

Dem Band vorangestellt sind ein Vorwort des Direktors der Stiftung Neue Synagoge Berlin - Centrum Judaicum und eine Einleitung der die Dokumente akribisch auswertenden Erika Schwarz, die etwa gemeinsam mit dem in Breslau 1930 geborenen, in Ostberlin 1992 entlassenen Faschismusforscher Kurt Pätzold 1992 bereits eine Dokumentation zu Tagesordnung „Judenmord“ (Wannsee-Konferenz) vorgelegt hat . Eröffnet wird die Sammlung mit der Aussage Elsa Saretzkis, die infolge Eheschließung der jüdischen Glaubensgemeinschaft beigetreten war, abgeschlossen mit der Aussage des im August 1945 mit seiner Ehefrau nach Leipzig zurückgekehrten Samuel, Merkel, der 1958 Vorsitzender der jüdischen Gemeinde wurde. Hans Josef Maria Globke wurde am 23. Juli 1963 wegen in Mittäterschaft begangenen fortgesetzten Kriegsverbrechens und Verbrechens gegen die Menschlichkeit, in teilweiser Tateinheit mit Mord zu lebenslangem Zuchthaus und Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte auf Lebenszeit verurteilt, wobei nach Ansicht Erika Schwarzs die Aussagen der Zeugen einen wesentlichen Anteil an der Urteilsfindung hatten.

 

Innsbruck                                            Gerhard Köbler