Schmuhl, Elisabeth, Richard Loening (1848-1913) - Ein Strafrechtsgelehrter der „historischen Schule“ - Leben und Werk (= Jenaer Schriften zum Recht 44). Boorberg, Stuttgart 2011. XIII, 189 S. Besprochen von Ralf Lunau.

 

Das „goldene Zeitalter der Sicherheit“ nannte Stefan Zweig jene Epoche vor dem Ersten Weltkrieg, die Biographien wie die Richard Loenings ermöglichte: Bildungsbürger zwischen selbstverständlicher Teilnahme am Feldzug 1870/1871 und Gedichtdeklamationen auf Wanderungen in der Natur, Jude zwischen Emanzipation – wenn auch um den Preis von Assimilation und Konversion – und Antisemitismus im Alltag, Jurist zwischen Paulskirchenverfassung, Historischer Schule und Ernennung zum Geheimen Rat. Die Autorin widmet ihre Arbeit dem Leben dieses Mannes, das schon wegen des Geburts- und Sterbejahres wie eine idealtypische Periodisierung wirkt und aufschlussreiche Fakten zur Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft in Deutschland von der gescheiterten Revolution 1848 bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs verspricht. Darüber hinaus erinnert sie an einen Gelehrten, der zuweilen aus dem Blick gerät wegen der Aufmerksamkeit, die seinem Vater geschenkt wird, dem bedeutenden Verleger des deutschen Vormärz und Gründer des Verlages Rütten & Loening, sowie seinem Sohn Hellmuth Loening, dem Präsidenten des Thüringischen Oberverwaltungsgerichts, des ersten deutschen Oberverwaltungsgerichts, das nach dem Untergang des Nationalsozialismus seine Tätigkeit aufnahm. Die Autorin stellt diese und andere familiäre Verbindungen in ihrer Arbeit ausdrücklich her und gestattet einen exemplarischen Einblick in eine liberale Denktradition, die sich selbst weniger an programmatische Leitlinien bindet, denn als eine Art innere Aristokratie in die Pflicht nimmt. Insofern trägt die Arbeit zu recht den Untertitel Leben und Werk.

 

Das erste Kapitel der Arbeit widmet sich unter der Überschrift „Vita und Universität Jena“ neben der familiären Herkunft und dem Beginn der akademischen Laufbahn vor allem ausführlich dem Wirken Loenings als Ordinarius, mehrfacher Prorektor der Universität und akademischer Rat am Jenaer Oberlandesgericht. Dabei illustriert die Darstellung seiner Bemühungen um das Wahlprorektorat in besonderer Weise ein wissenschaftliches Selbstverständnis, das den Bezug zur Praxis aktiv herstellt. Die Überschrift des zweiten Kapitels schränkt die darin enthaltenen Ausführungen unzutreffend auf die „Literarische Tätigkeit“ Loenings ein, enthält es doch eine umfassende Darstellung und Bewertung seiner strafrechtstheoretischen Grundpositionen. Der Autorin gelingt es, die wissenschaftlichen Diskurse der Zeit prägnant herauszuarbeiten und vor diesem Hintergrund ihre These, wonach Loening als ein Vertreter der Historischen Schule im Strafrecht zu betrachten ist, plausibel zu entwickeln. Die Untersuchung der verschiedenen Schulen in der Rechtswissenschaft des ausgehenden 19. Jahrhunderts bietet wegen der zum Teil ungewohnten strafrechtlichen Perspektive gerade auch für eher zivilrechtlich oder öffentlich-rechtlich interessierte Leser interessante Aufschlüsse über diskursive Zusammenhänge und breitet ein Panorama der Ideengeschichte aus, das sich nie in Details verliert. Methodisch eher irritierend bleibt die Einbeziehung der Arbeiten Loenings zu Aristoteles, aber mehr noch zu Shakespeares Hamlet in dieses Kapitel, das sich substantiell auf dessen rechtswissenschaftliches Werk konzentriert. Dennoch eröffnen auch diese Untersuchungen bedeutsame Einblicke in die Weite des Bildungsideals und mögliche Quellen geistiger Inspiration einer ganzen Epoche.

 

Auch wenn es manche Fußnote verdient hätte, im Interesse des umfassenderen Verständnisses in den Fließtext aufgenommen zu werden, zeichnet sich die Arbeit neben ihren inhaltlichen Qualitäten durch eine gute Lesbarkeit und Übersichtlichkeit aus. So bereitet die Lektüre zu Leben und Werk eines bedeutenden Gelehrten ein intellektuelles Vergnügen.

 

Dresden                                                          Ralf Lunau