Schmoeckel, Mathias, Rechtsgeschichte der Wirtschaft. Seit dem 19. Jahrhundert. Mohr (Siebeck), Tübingen 2008. XVII, 486 S. Besprochen von Siegbert Lammel.

 

Anlass für diese Darstellung war nach dem Vorwort das Studienprogramm für die Schwerpunktausbildung im Bereich Rechtswissenschaft an der Universität Bonn. Darin ist vorgesehen, dass für die Schwerpunktbereiche (2) Unternehmen, Kapitalmarkt und Steuern, (3) Wirtschaft und Wettbewerb sowie (4) Arbeit und soziale Sicherung jeweils die geschichtlichen Grundlagen des Europäischen Privatrechts unter spezieller Berücksichtigung des Schwerpunktthemas dargeboten werden sollen. Mangels entsprechender umfassender (Lehr-)Bücher entschloss sich Schmoeckel , sein Vorlesungsmanuskript auszuarbeiten und zu veröffentlichen. Thematisch sollten alle wirtschaftlich relevanten Rechtsmaterien erfasst werden, alles, was die Freiheit der Wirtschaftenden auf dem Markt betrifft (so im Vorwort). Als These sollte die prägende Kraft des Kaiserreichs zugrunde liegen, in dieser Zeit sei  eine spezifisch deutsche Wirtschaftsordnung entstanden, eine dominierende Mitwirkung des Staates (so Vorwort S. VI). Dementsprechend werden - nach  einführenden Teilen bis zur Entstehung des freien Marktes und dem Markt als Wirtschaftsprinzip – als Materien behandelt die Entwicklung des Handelsrechts, gewerblicher Rechtsschutz, Gesellschaftsrecht, Sozial- und Verwaltungsrecht, Kartellrecht, Steuerrecht, Arbeitsvertragsrecht, Tarifvertragsrecht, Recht der betrieblichen Mitbestimmung und schließlich das mit einem Fragezeichen versehenen Weltwirtschaftsrecht; abgeschlossen wird das ganze mit einem Resümee über die politischen Konzepte zur Rechtsordnung der Wirtschaft.

 

Nun kann man sicher sehr unterschiedlicher Auffassung darüber sein, ob „Wirtschaft“ erst mit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert begonnen hat. Dazu bedarf es aber einer Klärung des Ausgangspunktes, ob Wirtschaft oder Wirtschaftsrecht genommen wird. Auch die Aussage, dass die eigene Materie „Wirtschaftsrecht“ vor 1800 deshalb nicht vorhanden gewesen sei, weil es keine einheitliche Theorie über die Gestaltung der Bedingungen für das Wirtschaften gegeben habe (S. 23 Rdn. 35), muss doch sehr angezweifelt werden angesichts der einschlägigen Geschichten der Nationalökonomie, die schon bei Aristoteles ansetzen. Schließlich waren sogar trotz der schwachen Stellung des Reiches Reichsabschiede vorhanden, die versucht haben, Ordnung in das Wirtschaften zu bringen. Aber vielleicht stehen hinter dieser Ausklammerung zwei Gesichtspunkte: einmal das immer wieder durchscheinende Vorverständnis einer „freien Wirtschaft“, zum anderen die Menge des zu bewältigenden Stoffes. Natürlich wird die „invisible hand“ nach Adam Smith zitiert und der Staat als Garant der Wirtschaft, nicht als Handelnder bezeichnet; ebenso natürlich werden Zitate von Adam Smith erwähnt, die vor der „ungezügelten“ Wirtschaft warnen. Auch wird immer wieder der Antagonismus Markt – Staat aufgezeigt, ohne allerdings die jeweilige Problematik zu verdeutlichen. Weit mehr wird mit Schlagwörtern gearbeitet (z. B. Gründerkrise), ohne deren Bedeutung für Wirtschaft und deren Recht auszuführen. Diese Pauschalierungen fallen insbesondere in den Aussagen zur Entwicklung des Steuerrechts auf: auf wen, wenn nicht auf das vermögende Bürgertum und auf die prosperierende Wirtschaft, sollte angesichts der niedrigen Einkommensverhältnisse der Arbeiter die Steuerlast  verteilt werden (zu S. 294)? Und wie lenkungsmächtig auf den Wettbewerb wirkte sich die Besteuerung aus (zu S. 290)? Das hierzu herangezogene Beispiel der Besteuerung der ausreisewilligen Juden im NS-Reich dürfte kaum beweiskräftig sein: hier wurde (auch) wirtschaftliche Vernichtung betrieben und nicht Wirtschaftslenkung. Die unternehmerische Tätigkeit der öffentlichen Hände mag wirtschaftsgeschichtlich interessant sein, aber wirkte sie sich auf die Gestaltung des „Wirtschaftsrechts“ aus (zu S. 223)? Auch im Zusammenhang mit der betrieblichen Mitbestimmung taucht ein verengter Blickwinkel auf: das (dort verneinte) Risiko der Arbeitnehmer besteht nicht im Lohnverzicht (obwohl auch dieser vorkommt, s. VW-Sanierung), sondern vor allem in den betriebsbedingten Kündigungen (zu S. 397). Und wieso die Gewaltenteilung durch (geplante) beratende Wirtschaftskammern unterlaufen werden soll (zu S. 399), ist auf dem ersten Blick auch nicht einleuchtend, wird auch nicht erläutert. Und das Bretton Woods-Abkommen ist seit spätestens 1973 nicht mehr Grundlage eines „bis heute funktionierenden Systems“ (zu S. 425 Rdn. 636).

 

Eng verzahnt mit diesen Kritikpunkten ist der zweite Punkt, die enorme Materialfülle. Erst nach Lektüre des Resümees wird deutlich, welche Entwicklungslinien hier verfolgt werden sollten. In den Einzelabschnitten ertrinkt der Leser förmlich in den Details, die manchmal durch Schlagworte („Eingriffe des Staates“) erleuchtet, aber dadurch nicht unbedingt verständlicher werden. So werden z. B. Mieterschutz, Genossenschaftsbewegung und Konsumvereine in einer Randnummer behandelt (S. 173 Rdn. 269), deren Zusammengehörigkeit nicht unbedingt ersichtlich ist. Eine inhaltliche rote Linie, ein stringentes inhaltlich bedingtes (nicht nur periodisches) Vorgehen wird vermisst. Auch der Verfasser scheint von der Masse überwältigt worden zu sein. Denn neben technischen Fehlern (wie Verweis auf hohe, aber nicht vorhandene Fuß- und Randnoten) tauchen auch inhaltliche Merkwürdigkeiten auf: der Jahreszins bei einem Monatszins von 1% beträgt nicht 12%, da der Zinseszinseffekt zu berücksichtigen ist (zu Rdn. 26 Fn. 8); widersprüchlich erscheinen die Darlegungen zu Rdn. 544 (nach RAG war Kündigung eines Tarifvertrages nicht möglich) und Rdn. 545 (ein Streik war erst nach Kündigung des Tarifvertrages zulässig); in Rdn. 531 werden gewerkschaftliche Ziele überwiegend ohne Streik erzielt, nach Rdn. 534 nahm die Zahl der Streiks signifikant zu; ebenso nebulös erscheinen die Ausführungen zu Rdn. 554 zur zentralen Wirtschaftslenkung.

 

Insgesamt liegt hier ein Buch vor, dass in den Einzelkapiteln detailreiche wertvolle Übersichten für die Materien bietet, hinsichtlich eines Gesamtüberblicks zur Entwicklung des Wirtschaftsrechts aber einer straffenden und strukturierenden Überarbeitung bedarf.

 

Frankfurt am Main                                                                  Siegbert Lammel