Schild, Wolfgang, Folter, Pranger, Scheiterhaufen. Rechtsprechung im Mittelalter. Bassermann, München 2010. 192 S., zahlr. Abb. Besprochen von Reinhard Schartl.

 

Der Verfasser, Ordinarius für Strafrecht und Rechtsgeschichte in Bielefeld, hatte bereits mit dem in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts in zwei Auflagen erschienenen Werk „Alte Gerichtsbarkeit“ die Strafrechtspraxis des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit in Text und Bildern dargestellt. Nunmehr legt er eine neu geschriebene und konzipierte dritte Auflage vor, wobei er im Vorwort darauf hinweist, dass der geänderte Titel vom Vrlag vorgegeben worden sei. Dies bemerkt er nicht ohne kritischen Unterton, da mit den Schlagworten „Folter, Pranger und Scheiterhaufen“ zwar das Interesse des Lesers geweckt, der Inhalt des Buches jedoch nicht annähernd ausgeschöpft wird. Gleiches trifft auch für den Untertitel zu, der den behandelnden Zeitraum insofern verkürzt, als die Darstellung bis ins 17. Jahrhundert hineinreicht. Gleichfalls im Vorwort legt der Verfasser Wert auf die Feststellung, dass unsere Vorfahren jener Jahrhunderte nicht, wozu die zeitgenössischen Abbildungen verführen könnten, kindlich naiv aufzufassen seien, sondern denkende und handelnde, jedoch in ein anderes Weltbild eingebundene Subjekte waren. Das in fünf Kapitel gegliederte Buch, das sich nicht nur an den juristisch gebildeten Leser wendet, erläutert im ersten Kapitel das christlich-religiöse Rechtsverständnis. Hier weist der Verfasser auf die Gottbezogenheit des Rechts hin, die bereits in der bekannten Sachsenspiegelstelle „Gott ist selber recht(lich)“ ihren Ausdruck gefunden hat. Schild stellt aber ebenso klar, dass sich die Menschen nicht allein und primär auf die Bibel stützen konnten, weil die dortigen Vorschriften zu allgemein formuliert, oft in ihrem Inhalt umstritten waren und einer genaueren Bestimmung der irdischen Gesetzgeber bedurften. In der Praxis seien deshalb die menschlichen Gesetze in den Vordergrund getreten, während der Verweis auf die Bibel nur der Bekräftigung und zusätzlichen Legitimation gedient habe. Dabei habe sich ein Konflikt mit der von Jesus in der Bergpredigt geforderten Gewaltlosigkeit und der ausdrücklichen Ablehnung des Vergeltungsprinzips „Auge um Auge“ angebahnt. Im Folgenden schildert der Autor die Entwicklung der weltlichen Reichs- und Landesherrschaft auf der Grundlage der Zwei-Schwerter-Lehre über die königliche Gesetzgebung bis zu den Gottes- und Landfrieden. Das im Mittelalter vermutete Eingreifen Gottes in das irdische Rechtsleben im Wege der Gottesurteile deutet der Verfasser als eine im Unterschied zum Orakel in die Vergangenheit gerichtete Weissagung, bei der es letztlich darum gegangen sei, ob sich die Wahrheit der Unschuldsbehauptung des Angeklagten erweisen ließ. Im zweiten Kapitel über das lebenspraktische Recht behandelt das Buch die Ehre des Menschen im Sinne seines sozialen Ansehens, das sich im Wesentlichen auch nach der jeweiligen Gruppenzugehörigkeit unterschied. Hinzu kam, dass durch bestimmte Missetaten wie Verrat, Diebstahl, Mord, Meineid, Ketzerei oder Hexerei der Täter ehrlos werden konnte und sich seine Rechtsstellung bis zur Eidesunfähigkeit grundlegend verminderte. Ausführlich stellt der Autor seine bereits in früheren Arbeiten geäußerte Auffassung dar, dass sich das strafrechtliche Verfahren und der Akt der Hinrichtung gerade auch durch ihre Öffentlichkeit als „Theater des Rechts“ beschreiben lasse, weil das Recht als sinnlich erfahrbares Phänomen notwendig theatralisch habe dargestellt werden müssen. Dies erkläre auch, weshalb der rechtliche Sinn von Rechtsakten in vielen Bildern dargestellt wurde. Diese Dimension des Bildhaften sei dem Recht mit der Verwissenschaftlichung und der Auflösung des Leibbegriffs in den Gegensatz von Geist und Körper verloren gegangen und nur zu Gedankenwerk und damit zu Geist geworden. Als offenbarendes Verfahren sieht Schild sowohl den Zweikampf als auch das Gelingen des Eides, die anfangs keine Beweismittel gewesen seien, sondern nach dem „zweizüngigen“ Endurteil das Verfahren selbst beendeten. Das dritte Kapitel behandelt das rechtliche Verfahren, wobei zu Recht als Grundproblem die Schwierigkeit erwähnt wird, den Schädiger vor Gericht zu bringen. Die Autor stellt dar, dass ein gerichtliches Verfahren ursprünglich nur auf Klage des Geschädigten durchgeführt wurde, wobei sich der Beklagte gegenüber der mit einer Ehrbeeinträchtigung verbundenen Klage mit dem Reinigungseid verteidigen konnte, für den er mindestens zwei Eideshelfer stellen musste. Allmählich wurde auch auf Seiten des Klägers zur Glaubhaftmachung seines Vorwurfs der Eid mit Unterstützung durch häufig sechs Eideshelfer, später mit mindestens zwei Tatzeugen zugelassen. Das aus dem kirchlichen Gerichtsverfahren entstandene Inquisionsverfahren führte, wie das Buch eingehend erläutert, zu einer Veränderung der Prozessstruktur von einer Konfliktlösung zur Wahrheitserforschung und damit zur Einführung der Folter. Aus dem Verfahrenszweck, den wirklichen Täter zu bestrafen, um den durch die Missetat beleidigten und erzürnten Gott zu besänftigen, ergab sich das Erfordernis eines Schuldeingeständnisses durch den Angeklagten. Bei der dazu eingesetzten Folter war man sich, wie Schild ebenso anmerkt, bewusst, dass man auf diesem Weg falsche Aussagen erpressen könne. Das Geständnis musste deshalb außerhalb der Folter wiederholt werden. Die aus Oberitalien kommende Folter lässt sich seit dem Ende des 13. Jahrhunderts auch in Deutschland nachweisen. Zur Verhinderung von Willkür und Missbrauch waren für den Einsatz der Folter seit dem 15. Jahrhundert bereits gegen den Angeklagten sprechende Indizien erforderlich, die in der Halsgerichtsordnung Karls V. eine eingehende Regelung fanden. Das Kapitel wird durch die Schilderung eines im 1504 entstandenen Volkacher Salbuch verzeichneten Verfahrens gegen einen Weindieb abgeschlossen, der durch einen Eineid des Klägers überführt und zum Tod am Galgen verurteilt wurde. Die Verfahrensschritte sind im Salbuch in allen Einzelheiten illustriert. Im vierten Kapitel befasst sich Schild mit dem Missetäter, den er zunächst als Rechtsverletzer beschreibt, da es in der frühen Zeit noch nicht um die Tat, sondern um den angerichteten Schaden ging, der dem Verletzten mit dem materiellen Schaden zugleich eine Beeinträchtigung seiner sozialen Stellung zufügte. Im Mittelalter erscheint der Täter als Friedensbrecher, der mit seinem Verhalten erst den Frieden des unmittelbar Geschädigten, dann den Frieden des Friedengaranten und letztlich unter dem Königsfrieden die rechtliche Herrscherstellung des Königs verletzte. Der Verfasser zeigt anschließend auf, wie sich ausgehend vom Gottesfrieden aus dem Landfrieden die Landesherrschaft und regelungstechnisch die Policey- und Halsgerichtsordnungen entwickelten. Einen besonderen Friedensbereich bildeten die Städte, in denen der Rat durch Satzungen alles zum gemeinen Besten reglementierte. Als spätere Figuren des Missetäters beschreibt der Verfasser die landschädlichen Leute, die die auf allgemeinen Frieden, Sicherheit, und Wohlstand zielende obrigkeitliche Ordnung durch unseriöse Betätigungen, Kleinkriminalität, aber auch schwerere Taten brachen. Mit harten Strafen reagierte die verletzte Obrigkeit auf Verräter, die ihre Treupflichten missachteten, und auf andere Feinde der Gemeinschaft. Als deren besondere Form sieht der Autor die Ketzer, für die aber erst seit dem 13. Jahrhundert die Todesstrafe kirchenrechtlich anerkannt wurde. Das Kapitel beschließt Schild mit der Darstellung der Teufelsbündner, die aus zeitgenössischer Sicht als freie Subjekte dem Teufel auf gleicher Ebene in einem rechtlichen Vertragsverhältnis gegenüberstanden. Das letzte Kapitel stellt die Strafen vor, die im behandelten Zeitraum durch Brutalität und Grausamkeit gekennzeichnet sind. Obwohl der Verfasser betont, dass ein Urteil über sie nur „unmenschlich und barbarisch“ lauten könne, fragt er nach dem Grund solcher Unmenschlichkeit, die er überzeugend mit dem Versuch erklärt, den durch die sündhafte Missetat beleidigten Gott zu besänftigen. Die Scharfrichter schildert das Buch als Menschen mit gewisser Bildung und medizinischen Fertigkeiten, die aber sozial ausgegrenzt und als Personen verachtet waren, bis hin zum „Tanz mit dem Scharfrichter“ als Strafe für Unzucht. Die Todesstrafen, die sich in „ehrliche“ (Enthaupten) und „unehrliche“ (Hängen, Verbrennen, Rädern) einteilen lassen, werden ebenso wie die verstümmelnden und anderen körperlichen Strafen in allen Erscheinungsformen vorgestellt. Die Freiheitsstrafe zur Besserung des Delinquenten ging von der Kirche aus und tauchte als weltliche Strafe erstmals 1555 in England auf. Bei den Ehrenstrafen weist Schild darauf hin, dass sie nicht nur auf öffentliche Kränkung des Delinquenten abzielten, sondern gleichzeitig Beschränkungen der Bewegungsfreiheit und Beeinträchtigungen des körperlichen Wohlbefindens bewirkten. Abweichend von seiner systematischen Gliederung geht das Buch schließlich auf Tierprozesse ein, die sich vom 13. bis ins 19. Jahrhundert hinein nachweisen lassen. Ihren Hintergrund sieht der Autor im Einfluss von Fabel- und Tierepen (Reinhard Fuchs), wobei er den gedanklichen Schritt vom verbrecherischen Verhalten als „tierisch“ zum tierischen Verhalten als „verbrecherisch“ formuliert. Insgesamt erhält die informative, teilweise aber deutlich abstrahierende Darstellung ihren besonderen Wert durch 185 bildliche Illustrationen aus zahlreichen Handschriften und frühneuzeitlichen Drucken.

 

Bad Nauheim                                                                                     Reinhard Schartl