Schieder, Wolfgang, Der
italienische Faschismus 1919-1945. Beck, München 2010. 127 S. Besprochen von
Christoph Schmetterer.
Wolfgang Schieder
beginnt seine Geschichte des italienischen Faschismus mit einer Analyse von
dessen Entstehungsbedingungen. Hier nennt er drei Faktoren: den italienischen
Nationalismus, die Besonderheiten des italienischen Parteiensystems unmittelbar
nach dem 1. Weltkrieg (Liberale, Sozialisten und Katholiken konnten jeweils
nicht alleine regieren, waren aber auch nicht koalitionsbereit) und die
Umstellungsschwierigkeiten von der Kriegs- auf die Friedenswirtschaft.
Für die Zeit von 1919 bis 1922 behandelt Schieder
den Faschismus als politische Bewegung. Er beschreibt zwei Wurzeln des
Faschismus, nämlich einerseits die fasci
in den Städten und andererseits den ländlichen Agrarfaschismus. Erst durch die
Kombination beider Elemente konnte der Faschismus zur Massenbewegung werden.
Benito Mussolini wurde spätestens auf dem Parteitag von 1922 der eindeutige
Anführer (duce) der Faschisten. Er
setzte, um an die Regierung zu gelangen, eine bewusste Doppelstrategie ein,
indem er einerseits immer seine persönliche Verfassungstreue betonte,
andererseits aber stets die Drohung eines Putsches durch die gewaltbereiten
Faschisten aufrecht erhielt. Mit dieser Doppelstrategie gelang ihm auch die
tatsächliche Übernahme der Regierung, indem er sich selbst als möglichen
Ministerpräsidenten für eine Koalitionsregierung darstellte, gleichzeitig aber
mit dem Marsch auf Rom drohte. Tatsächlich war die erste Regierung Mussolini
eine breite Koalitionsregierung, in der nur fünf (wenn auch zentrale) von
fünfzehn Ressorts von Faschisten besetzt waren.
Für die Jahre von 1922 bis 1929 beschreibt Schieder
die schrittweise Entwicklung einer faschistischen Diktatur. Noch 1922 konnte
Mussolini ein (zunächst befristetes) Ermächtigungsgesetz und ein neues
Wahlrecht durchsetzen, wobei letzteres die Partei mit der relativen Mehrheit
überproportional unterstützte. 1924 kam es nach der Ermordung des
sozialdemokratischen Politikers Matteotti durch Faschisten zu einer Krise. Die
Opposition beging den schwerwiegenden Fehler, das Parlament aus Protest zu
verlassen. So konnte Mussolini auch diese Krise für sich nutzen. Sein
Staatstreich im Jänner 1925 markiert den endgültigen Übergang zu Diktatur.
Regierungskritische Zeitungen wurden ausgeschaltet und die Zensur eingeführt.
Mit dem Gesetz zur Verteidigung des Staates wurde 1926 die Todesstrafe für politische
Vergehen eingeführt und ein Sondergerichtshof geschaffen. Außerdem wurde die
Verwaltung immer mehr von Faschisten übernommen und die Autonomie von Städten
und Gemeinden aufgehoben. Bei Wahlen gab es nur noch eine faschistische
Einheitsliste. Außerdem
behandelt
Schieder noch Wirtschafts- und Außenpolitik dieser Epoche. In der ersten
waren die Ziele Raumgewinnung (etwa durch Urbarmachung von Sümpfen),
Bevölkerungswachstum und Autarkie, in der zweiten wandte Mussolini wieder eine
Doppelstrategie an: einerseits die vorläufige Teilnahme an der kollektiven
Sicherheitspolitik, andererseits demonstrative Drohgebärden.
Den Abschnitt über die faschistische Diktatur
von 1929 bis 1943 beginnt Schieder mit der Frage nach der Ideologie des
Faschismus. Er kommt zu dem Ergebnis, dass die Ideologie in der Praxis
nachgelagert war und insgesamt eher negativ (Antiliberalismus, Antisozialismus)
als positiv erfasst werden kann. Im Faschismus selbst gab es auch Widersprüche,
etwa zwischen Rechtsextremen und konservativen Monarchisten. Eine Besonderheit
des italienischen Faschismus war der ideologische Rückgriff auf das antike Rom.
Auch der italienische Faschismus war rassistisch, der Rassismus richtete sich
aber zuerst gegen Afrikaner und Slawen und erst später gegen Juden. Ab 1938 gab
es allerdings auch in Italien antisemitische Gesetze; ab 1942 wurden Juden zu
Zwangsarbeit verpflichtet und der Plan zur Errichtung von Konzentrationslagern
scheiterte nur an der Landung der Alliierten. Ab den 1930er-Jahren richtete
sich der Faschismus verstärkt gegen äußere Feinde. Den Krieg in Abessinien
1935–1936 sieht Schieder als ersten faschistischen Vernichtungskrieg und
nicht als letzten Kolonialkrieg. Italiens Eingreifen in den Zweiten Weltkrieg
an der Seite Deutschlands war militärisch durchwegs wenig erfolgreich, und das
italienische Besatzungsregime grausam: Es war mit Deportationen und
Geiselerschießungen verbunden und führte in Griechenland auch noch zu einer
großen Hungersnot. Die militärischen Niederlagen, eine galoppierende Inflation
und die Lebensmittelknappheit vergrößerten die Unzufriedenheit der
italienischen Bevölkerung, und die Landung der Alliierten in Sizilien führte
dann zum Sturz Mussolinis.
Im vorletzten Abschnitt behandelt Schieder die
italienische Sozialrepublik, also den faschistischen Staat, der in Norditalien
von 1943 bis 1945 existierte. Er bezeichnet ihn als Staat von Hitlers Gnaden
und betont, dass es diesen zweiten italienischen Staat nur deshalb solange
geben konnte, weil Italien für die Alliierten eine Nebenfront war.
Schieders Werk wird durch einen letzten
Abschnitt über den Faschismus in der kollektiven Erinnerung der Italiener
abgerundet. Hier führt er aus, dass sich im Nachkriegsitalien sowohl linke als
auch rechte Parteien auf die Resistenza
gegen den Faschismus beriefen, und dass dieser nach Ansätzen in den
1970er-Jahren erst seit den 1990er-Jahren wissenschaftlich aufgearbeitet wird.
Schieders Buch bietet einen knappen,
dabei aber fundierten und gut lesbaren Überblick über das Phänomen des italienischen
Faschismus. Wie in der Beck’schen Reihe Wissen üblich enthält der Text keine
Belege; das Buch hat aber ein ausführliches Literaturverzeichnis.
Wien Christoph
Schmetterer