Scheibelreiter, Georg, Die Babenberger. Reichsfürsten und Landesherren. Böhlau, Wien 2010. 416 S. Besprochen von Werner Augustinovic.

 

Obwohl das Geschlecht der Babenberger die Grundlagen der Herrschaft Österreich schuf, bevor in ihrer Nachfolge die Dynastie der Habsburger das Land über mehr als sechs Jahrhunderte beherrschen und sich damit auch in der Erinnerungskultur eine überragende Exklusivstellung sichern sollte, existiert wohl zu einzelnen herausragenden Persönlichkeiten eine umfangreichere Literatur, um Gesamtdarstellungen ist es hingegen weniger gut bestellt. Zu verweisen ist in diesem Zusammenhang nur auf die mehrfach aufgelegte, aber bereits 35 Jahre alte Monographie Karl Lechners („Die Babenberger. Markgrafen und Herzöge in Österreich 976-1246“) aus dem Jahr 1976. Es ist daher hoch an der Zeit und kann nur begrüßt werden, dass sich mit Georg Scheibelreiter, Professor für mittelalterliche Geschichte und historische Hilfswissenschaften an der Universität Wien und Mitglied des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, ein Experte des Themas wiederum angenommen hat und dieses auf dem Stand der Forschung und auf einem hohen sprachlichen Niveau zur Darstellung bringt.

 

Der Verfasser sieht seine Aufgabe dabei nicht darin, seine Leser „mit Wissen um mittelalterliche Fürsten und mittelalterliche Ereignisse gleichsam zu durchtränken, um sie zuletzt verunsichert zurückzulassen“; stattdessen bemühe er sich, „den in modernen Kategorien denkenden und in modernen Wertvorstellungen befangenen, weitgehend säkularisierten Menschen von heute […] eine andere, fremde, aber ebenso fragwürdige Welt“ vor Augen zu führen, „in der sich der Mensch bewähren musste, ohne die vielen Hilfsmittel unserer Tage, aber mit der Kraft und Ausdauer gebenden Überzeugung von der persönlichen Durchsetzungsfähigkeit, dem Wissen um den Rückhalt in Sippe und Verwandtschaft, dem Glauben an die sinnvolle Ordnung des Sichtbaren als eigentümlicher Grundlage der Religiosität“ (S. 18). Menschen und nicht anonyme Wirkkräfte oder Sachzwänge seien es gewesen, deren politischer Wille die Donaulandschaft entscheidend geformt habe.

 

Dieses in Zeiten theoriegetränkter Forschungsdebatten geradezu anachronistisch anmutende Bekenntnis zur Persönlichkeit mag zunächst überraschen, wird aber verständlich, wenn man in Rechnung stellt, dass die Quellensituation für die an Strukturen arme Zeit zwischen dem 10. und dem 13. Jahrhundert dem Historiker ein ganz anderes – so eben auch ein verstärkt personenbezogenes - Herangehen abverlangt als etwa dem in der Zeitgeschichte Forschenden (obwohl selbst dort in den letzten Jahren eine Konträrbewegung in Form einer neuen Blüte des biographischen Schrifttums zu beobachten ist). Offenkundig ist, dass Georg Scheibelreiter bei aller gefühlten Liebe für seinen Gegenstand nicht der Versuchung erliegt, ein österreichisches Heldenepos anzustimmen.

 

Seine Geschichte der Babenberger erstreckt sich über insgesamt elf Kapitel; die ersten vier zeichnen die Lage im Donauraum in Verschränkung mit den jeweiligen herrschaftlichen Einflüssen, ausgehend vom ostfränkischen Reich und der karolingischen Mark am Ende des 9. Jahrhunderts bis zur Errichtung der ottonischen Mark nach dem entscheidenden Erfolg König Ottos I. über die Ungarn auf dem Lechfeld 955, nach dem „das Ostland an der Donau noch einige Zeit den Charakter eines offenen Landes gehabt zu haben (scheint), das von den bayerischen Herzögen im Interesse des Reiches kontrolliert und erschlossen werden sollte“, weshalb man die Schlacht „keineswegs als ‚Geburtsstunde Österreichs‘ bezeichnen“ könne (S. 63f.). Jedenfalls ist aus „den politischen Ereignissen und den wenigen Nennungen in urkundlichen Quellen […] anzunehmen, dass […] 976 Kaiser Otto II. die bayerische Mark an der Donau einem neuen Markgrafen anvertraute“, nämlich Liutpald I. (S. 72).

 

Im fünften Abschnitt geht der Verfasser dann in Auseinandersetzung mit Otto von Freising und unter Anstellung namenskundlicher Überlegungen der prekären, immer noch ungeklärten Frage der Herkunft der österreichischen Babenberger nach und gelangt zum vorsichtigen indifferenten Schluss: „Ob die österreichischen Markgrafen patrilinear von den ostfränkischen Popponen abstammen, ist fraglich, ja eher unwahrscheinlich. Nach dem modernen System der Genealogie wird man sie vielleicht eher den Liutpoldingern zuordnen“ (S. 89).

 

Die anschließend folgenden vier Kapitel, chronologisch durch populäre historische Zäsuren (Investiturstreit, Privilegium Minus, Affäre Richard Löwenherz) geordnet und voneinander getrennt, stellen die Herrschaft der Babenberger dar, zunächst als Markgrafen, beginnend mit den Anfängen der politischen Organisation unter Heinrich I. über Adalbert, Ernst, Liutpald II., Liutpald III. und Liutpald IV., danach als Herzöge unter Heinrich II., Liupold V., Friedrich I., den Höhepunkt ihrer Machtentfaltung unter Liupold VI., bis zum Untergang, als der Letzte des Geschlechts, Friedrich II., 1246 in der Schlacht an der Leitha gegen die Ungarn fiel. Immer wieder spielen dabei Rechtsakte eine bedeutende Rolle. Im Rahmen der Ausführungen des Verfassers zur babenbergischen Herrschaftsübernahme in der Steiermark aus dem Titel eines (nicht überlieferten und wahrscheinlich nie schriftlich fixierten) Erbvertrags mit den Traungauer Otakaren erfährt so „die Problematik von Amtsgebiet und fürstlichem Eigentum“ besondere Berücksichtigung (S. 240ff.). Ein Handelsprivileg, das Liupold V. am 9. Juli 1192 für Kaufleute aus Regensburg, die in Wien ihre Waren niederlegten, gewährte, überrascht wiederum durch „die vielen Paragrafen, die sich auf körperliche Insulte beziehen […]. In typisch volksrechtlicher Weise fehlen zusammenfassende, mehr aufs Allgemeine gerichtete Tatbestände, hingegen werden viele Variationen eines solchen geschildert“. Totschlag, verschiedene Arten der Körperverletzung wie solche, die zu Blutverlust führen, eine Lähmung verursachen, das Verabreichen von Ohrfeigen, Haarausreißen, dazu Beleidigungen, aber auch Fälle außerehelichen Geschlechtsverkehrs werden angeführt; das Repertoire der Sanktionen sieht bei Zahlungsunfähigkeit des Delinquenten bereits Ersatzstrafen „an Haut und Haaren“ vor. Die Strafbestimmungen ließen für das zeitgenössische, mit großem Aggressionspotential verknüpfte städtische Markttreiben „ein von rücksichtsloser Durchsetzung bestimmtes Verhalten und eine gewisse gesellschaftliche Roheit im Grundsätzlichen vermuten, die auch von der richterlichen Obrigkeit quasi anerkannt wird“ (S. 255f.). Der große rechtsgeschichtliche Wert solcher Überlieferungen ist evident.

 

An einen die spezifische Situation Österreichs während des Interregnums zeichnenden Abschnitt fügt sich das besonders anschauliche Schlusskapitel, das den Versuch unternimmt, die Babenberger als Persönlichkeiten sowohl individuell als auch als Typus zu begreifen. Hier zeigt der Verfasser seine methodische Vielseitigkeit, indem er anthropologische Untersuchungen an den Skeletten bemüht, um Licht in historische Fragen zu bringen. Aus einer Abbildung des Schädels des Markgrafen Ernst und der Beschreibung der erkennbaren Verletzungen versucht der Verfasser beispielsweise, die todbringende Kampfsituation im Detail zu rekonstruieren: „Zuerst erhielt er wohl den seitlichen Hieb auf den Schädel, der sicherlich von einem Fußkrieger mit langstieliger Streitaxt herrührte. Dadurch kam es zum Verlust des Helms, der den Schlag mit einem Schwert auf das Schädeldach – von oben, also von einem Reiter ausgeführt – erst ermöglichte. Im Sturz vom Pferd, was wir uns als ein rechtsseitiges Heruntersinken vorstellen können, erhielt er wohl den Hieb mit dem Streitkolben auf die linke Schulter, die durch die sinkende Körperhaltung nicht mehr mit einem Schild gedeckt werden konnte. Im selben Moment wird auch die Durchtrennung des linken Oberschenkelknochens durch einen Schwerthieb erfolgt sein“ (S. 366f.). Andere, weniger blutrünstige Beobachtungen betreffen etwa die - am mittelalterlichen Standard gemessen - überdurchschnittliche Körpergröße der meisten Babenbergerherrscher und ihrer Gemahlinnen, sowie den Zahnstatus, der Rückschlüsse auf die Ernährungsgewohnheiten und den gesundheitlichen Allgemeinzustand zulässt.

 

Besonders wohltuend ist über den gesamten Text hin die behutsam abwägende Art, wie Georg Scheibelreiter seine Aussagen trifft. Er zeigt die Interpretationen auf, die die Quellen zulassen, und legt zugleich ihre spekulative Dimension offen. Auf diese Weise gelingt es ihm, den Horizont der Erkenntnis zu erweitern und dennoch der Gefahr zu entgehen, sich monokausalen Erklärungsmodellen auszuliefern oder sich ganz in unrealistische Spekulationen zu versteigen. Großen Wert haben auch die ausführlichen Begleittexte zur Ikonographie der 23 Abbildungen des Bandes, die genaueste Interpretationen der Darstellungen beinhalten, und ein „geografisches und topografisches Register“, welches das „Register der Personen- und Personengruppen“ erheblich zu unterstützen vermag. Als ein Manko des selbstredend mit einer Stammtafel der österreichischen Babenberger ausgerüsteten Bandes könnte man sehen, dass der Verfasser auf einen Fußnotenapparat verzichtet, weshalb es gerade für den mediävistisch weniger versierten Nutzer schwer sein dürfte, eigene Überlegungen Scheibelreiters von bereits in der Literatur enthaltenen Forschungsergebnissen zu unterscheiden. Sein eingangs formuliertes Ziel, Menschen von heute die Welt des Mittelalters anschaulich zu vermitteln, erreicht dieses moderne, kurzweilig zu lesende und auch rechtsgeschichtlich an wertvollen Hinweisen reiche Buch allemal.

 

Kapfenberg                                                                Werner Augustinovic