Scharnhop, Christopher, Das Lüneburger Notariat im 19. Jahrhundert. Eine Untersuchung zum öffentlichen Notariat unter besonderer Berücksichtigung der Notariatsinstrumente. Berliner Wissenschaftsverlag, Berlin 2011. XXI, 375 S. Besprochen von Werner Schubert.

 

Regionalgeschichtliche Untersuchungen über das Notariat insbesondere für das 19. Jahrhundert gehören noch immer zu den Desiderata der rechtshistorischen Forschung. Es ist deshalb zu begrüßen, dass Scharnhop sich in seiner Hamburger Dissertation dieser Thematik für das Lüneburger Notariat angenommen hat. Hierbei konnte er auf eine breite, wenn auch wegen der Kriegsverluste reduzierte Quellengrundlage zurückgreifen. Insgesamt sind 258 Jahrgänge von Notariatsinstrumenten von 18 (der insgesamt 44) Lüneburger Notare aus dem Untersuchungszeitraum überliefert. Insbesondere sind die Urkundenoriginale aus der französischrechtlichen Zeit fast vollständig erhalten geblieben.

 

Im ersten Teil seines Werks stellt Scharnhop die für das Notariat im 19. Jahrhundert allgemeinen historischen und rechtlichen Entwicklungen dar (S. 21-91). Öffentliche Notare lassen sich für Lüneburg ab 1352 nachweisen (S. 23). Seit 1705 bildete Lüneburg einen Teil des Großherzogtums Hannover und war somit dem Oberappellationsgericht Celle unterworfen. Die Oberappellationsgerichtsordnung von 1713 verlangte von den durch die Hofpfalzgrafen kreierten Notaren außer einer Prüfung die Immatrikulation am Celler Obergericht. Das Notariat war in der Regel mit der Advokatur verbunden (1803: 8 Notare in Lüneburg). 1810 wurde das Notariatsrecht des Königreichs Westphalen, 1811 das französische Notariatsrecht (Ventôse-Gesetz von 1803) eingeführt, was zur Etablierung des Nurnotariats und zu einer erheblichen Verringerung der Zahl der Notare führte (Nachweise S. 324ff.). 1814/15 wurde der alte Rechtszustand mit Weitergeltung der Reichsnotarordnung von 1512 wiederhergestellt. Eine Verordnung von 1822 untersagte die Kreierung von Notaren durch ehemalige Hofpfalzgrafen, wies den Notaren einen festen Wohnsitz zu und verlangte ein vollendetes Studium der Rechtswissenschaft (S. 56ff.). Die angestrebte Verringerung der Zahl der Notare erfolgte jedoch noch nicht (1823: 8 Notare; 1824: 20 Notare; 1832: 22 Notare in Lüneburg). Erst die Notariatsordnung von 1853 (S. 70ff.) brachte teilweise nach französischem Vorbild – so oblag die Aufsicht über die Notare der Staatsanwaltschaft – eine detaillierte Regelung des Notariatsrechts; sie blieb bis zum Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie des preußischen AGBGB und FGG in Kraft. Während bisher der Wirkungskreis der hannoverschen Notare de iure und de facto sehr beschränkt war, traten die Notare ab 1853 nunmehr in die „gleiche und freie Konkurrenz“ mit den Amtsgerichten (S. 67). Von 1862 an belief sich die Zahl der Lüneburger Notare auf maximal vier (S. 341ff.).

 

Im Teil 2: „Das Amt des Lüneburger Notars im 19. Jahrhundert“ (S. 93-143) untersucht Scharnhop die Voraussetzungen zur Erlangung des Notaramtes, die grundsätzliche Verbindung des Notariats mit der Advokatur, die Zuweisung eines Amtssitzes, die Dienstaufsicht, die Ahndung von Dienstvergehen sowie die Protokoll- und Registerführung. Nach dem westphälischen Recht hatte der Notar ein Urkunden- bzw. Protokollbuch zu führen (vgl. S. 125), was durch das Ventôse-Gesetz nicht mehr gefordert wurde. Im dritten Teil befasst sich Scharnhop mit den „notariellen Amtsgeschäften“ (S. 145-263). Während nach westfälisch-französischem Recht der Notar über umfassende und ausschließliche Zuständigkeiten im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit verfügte, war der notarielle Wirkungskreis sowohl vor 1810 als auch nach 1813 zunächst sehr gering. Allerdings erweiterte sich die Klientel der Notare infolge der Bauernbefreiung (1831, 1833) um die ortsansässige Landbevölkerung (S. 161ff.). Im Verlauf des 19. Jahrhunderts vollzog sich ein Wandel des Notariats zu einer rechtsberatenden und rechtsgestaltenden Institution (S. 164 f.). Auf S. 170-262 beschreibt Scharnhop über 20 Notariatsinstrumente, davon fünf, die aus der französischrechtlichen Zeit (S. 203ff.: Sozietätsvertrag; S. 218ff.: Ehestiftung von 1811 unter dem westphälischen Recht; S. 268ff.: Testament; S. 250ff.: Besitzergreifung eines Guts; S. 261ff.: Versteigerung eines Nachlasses) stammen. Insgesamt finden sich in den Notariatsurkunden leider nur „höchst selten“ Hinweise auf das „angewandte Recht oder gar auf die Bezeichnung einzelner Rechtsnormen“ (S. 167). – Im abschließenden 4. Teil geht es um die Herkunft, das Studium und die sonstigen Berufsfelder der Notare (S. 265-280), die insbesondere politische und kommunale Ämter sowie den Wechsel in das Richteramt betreffen. Der Anhang (S. 285-347) bringt die Biographien der 44 Lüneburger Notare des 19. Jahrhunderts, eine chronologische Übersicht über die Notare zwischen 1800 und 1900 und einen Überblick über die Urkundstätigkeit der Lüneburger Notare, von denen Notariatsinstrumente bzw. Register überliefert sind (vgl. auch S. 145f.).

 

Mit seinem Werk hat Scharnhop nicht nur das Lüneburger, sondern auch das hannoversche Notariat in allen wichtigen Teilbereichen erschlossen. Nützlich wäre es gewesen, wenn Scharnhop auf die ständischen Ausschussberatungen zum Notariatsgesetz – es lagen 57 Änderungsanträge des Ausschusses der 1. Kammer vor (S. 77) – detaillierter eingegangen wäre. Auch die Urkundenlehre hätte noch präziser herausgearbeitet werden sollen. Insgesamt liegt mit dem Werk von Scharnhop aber ein wichtiges Werk zur deutschen Notariatsgeschichte des 19. Jahrhunderts vor, dessen besonderer Vorzug in der biographischen Erschließung der in Betracht kommenden Notare und in der breiten Heranziehung von Notariatsinstrumenten zu sehen ist, deren weitere Bearbeitung auch für andere Teile des Königreichs Hannover aufschlussreich wäre.

 

Kiel

Werner Schubert