Rom,
Recht, Religion. Symposion für Udo Ebert zum siebzigsten Geburtstag, hg. v. Kühl,
Kristian/Seher, Gerhard (= Politika 5). Mohr (Siebeck), Tübingen 2011. XI,
653 S. Besprochen von Tilman Repgen.
Die
Festschrift für Udo Ebert spiegelt das breite wissenschaftliche Interesse des
Jubilars wieder. Das Recht wird aus den Blickwinkeln verschiedenster
Disziplinen betrachtet als eine Grundvoraussetzung gelingenden Lebens in
menschlicher Gemeinschaft. Aus dem ganz und gar bunten Munusculum seien ein
paar Beiträge herausgehoben, ohne damit sagen zu wollen, die anderen „Blumen“
im Strauß seien es nicht wert, betrachtet zu werden. Hervozuheben ist, dass
jeder Aufsatz in nützlicher Weise mit einer handlichen Bibliographie
abschließt.
Dietrich
V. Simon schreibt über den „Einfluss des Christentums auf die
Gesetzgebung Kaiser Konstantins des Großen“ (S. 73-88) und damit über ein
geradezu traditionelles Thema, wenn man an den Text des Prologs des
Sachsenspiegels denkt, der in Konstantin das Muster christlicher Gesetzgebung
sah. Simon begründet anhand reicher Beobachtungen, dass Konstantin trotz aller
Begünstigung der Kirche keine systematische Umgestaltung des römischen Rechts
vorgenommen habe. Soweit Simon davon spricht, der christliche Glaube sei unter
Theodosius „Staatsreligion“ geworden (S. 73), könnte das zu Missverständnissen
führen. Von einer staatlichen Lenkung der Geschicke der Kirche konnte man im
vierten Jahrhundert wohl eher nicht sprechen. Sehr schnell sind so bedeutende
Theologen wie der Mailänder Bischof Ambrosius auf Distanz und Trennung verschiedener
Sphären bedacht gewesen.
Der
evangelische Theologe Ulrich Kühn beschäftigt sich mit dem
„Gesetzesbegriff des Thomas von Aquin“ (S. 89-98). Er sieht im „System des
Thomas von Aquin“ eine „kulturelle… Synthese ersten Ranges“ (S. 89), worin dem
Autor durchaus beizupflichten ist. Der Traktat über das Gesetz, so erklärt
Kühn, finde sich inhaltlich und äußerlich ungefähr in der Mitte der Summa theologiae, eingefasst zwischen
der Gottes- und Schöpfungslehre und der Sakramentenlehre. Der zweite Teil der
Summe betreffe die Moraltheologie. Thomas setze, so Kühn, mit einem formalen
Gesetzesbegriff ein (quaedam rationis
ordinatio ad bonum commune, ab eo qui curam communitatis habet, promulgata,
I II 90,4 c). Vernünftigkeit und Zweckausrichtung kennzeichnen das Gesetz, das
von dem zuständigen Organ verkündet wird. Die lex aeterna bildet den Schöpfungsplan ab, an dem alle Geschöpfe
teilhaben (S. 92). Die lex naturalis ist
eine besondere participatio legis
aeternae in rationali creatura (I
II 91,2 c) und leitet den Menschen im Sinne einer ethischen Norm (S. 93). Das
menschliche Gesetz konkretisiert das Naturrecht und zielt auf die tranquillitas temporalis civitatis (S.
94). Schließlich ist noch die lex divina zu
nennen, die Kühn als das „Gesetz des Alten und Neuen Bundes“ bezeichnet (S.
95). Von hier aus erst erschließt sich der Gesetzesbegriff des Thomas in seiner
ganzen Dimension. Das Gesetz erscheint als ein Element des Schöpfungsplans und
zielt auf die beatitudo aeterna des
Menschen. Diesen Zusammenhang betont Kühn mit vollem Recht. Er ist typisch für
das mittelalterliche Rechtsdenken, in dem unsere moderne Rechtskultur wurzelt.
Die Funktion des Rechts erschöpft sich nach dieser Vorstellung nicht in
innerweltlicher Regulierung, sondern hat auch transzendente Bedeutung
entsprechend der „die Immanenz sprengende[n] Wesensnatur des Menschen“ (S. 98).
Auch wenn man in dem Aufsatz die Auseinandersetzung mit der umfangreichen
Thomas-Literatur vermisst, ruft der Beitrag doch in wertvoller Weise einen für
die Interpretation wichtigen Aspekt in Erinnerung.
Der
Philologe Thomas Cramer behandelt
einige Gerichtsszenen in der deutschen Literatur um 1200 (S. 99-114) und
erläutert daran, wie früh sich bereits Spuren römischen Rechts nördlich der
Alpen nachweisen lassen. Das Ende der Nibelungensage dient als Beispiel für
einen verunglückten rituellen Prozess, der in Mord und Totschlag gipfelt. „Was
nicht codifiziert ist, so stellt es der Autor dar, kann nach Belieben
manipuliert werden und ist als Mittel der Rechtsprechung ungeeignet“ (S. 105).
Ein Vergleich der französischen und der jüngeren deutschen Fassung des
Rolandsliedes zeigt in der deutschen Fassung eine überraschende juristische Argumentation
mit Bezugnahmen auf Landfriedensregeln (S. 107 f.). Im „Iwein“ des Hartmann von
der Aue wird am Ende ein Erbschaftsprozess geschildert, der zunächst einmal
aufgrund fehlerhafter königlicher Weisung mittels Zweikampf entschieden werden
soll. Am Ende erweist sich der Versuch der Rechtsfindung durch einen juristisch
nicht beratenen Hof als untauglich. Es „hat die Stunde der Experten geschlagen,
…“ (S. 111), auch wenn diese Experten sehr bald verrufen waren.
Konrad von Rabenau, Oberkirchenrat
i. R., macht in einer bemerkenswerten Studie auf eine bisher sehr
vernachlässigte Quelle aufmerksam: Gerechtigkeitsbilder auf Bucheinbänden des
16. Jahrhunderts, S. 115-132, die scharfsinnig auf den Zusammenhang von Recht
und Gnade hin interpretiert werden. – Jan
Zopfs gewinnt dem Richterbild der Cautio Criminalis des Friedrich von Spee
positive, ja geradezu moderne Seiten ab (S. 151-165).
Seit
Jahrzehnten wird üblicherweise die Berufung auf Naturrecht in der
Rechtsprechung nach 1945 günstigenfalls mitleidig belächelt. Nicht weit
entfernt davon ist z. B. Burkhard Jähnke, „Zeitgeist und Jurisprudenz“
(in diesem Band, S. 227-248, hier S. 232-234). Gerhard Otte legt nun in
seinem Beitrag „Die Naturrechtsrechtsprechung der Nachkriegszeit“
(S. 189-204) eine Analyse der gar nicht so zahlreichen Urteile vor, die
differenziert die argumentative Funktion des Naturrechts im jeweiligen
Urteilskontext betrachtet. So wird klar, dass das Naturrecht fast stets Element
der Auslegung positiven Rechts war, nicht aber Beurteilungsmaßstab anstelle
positiven Rechts. Insoweit läuft das seit Kelsen klassische Argument der
Nichterkennbarkeit objektiv gültigen Naturrechts ins Leere (zu Kelsen vgl. in
diesem Band Erhard Kausch, Läßt sich (Un-)Recht wegdefinieren? Einige
Anmerkungen zum Begriff des Rechts und zur Radbruchschen Formel, S. 205-225,
hier S. 208f.). In nur sehr wenigen Fällen wandten Gerichte das Naturrecht
gegen positives Recht, um gesetzliches Unrecht abzuwehren.
Mehrere
Beiträge zur Festschrift widmen sich der Beziehung von Recht und Literatur im
19. Jahrhundert. Heinz Müller-Dietz befasst sich mit der knappen
Definition von Recht in Kellers Urfassung des „grünen Heinrich“: „… das Recht
ist eigentlich nichts als Kritik; …“ (S. 311). Eingebettet ist diese Aussage in
ein Rechtsverständnis, das durch die Kontroverse des 19. Jahrhundert „römisch“
versus „deutsch“ (S. 311) geprägt ist und auf Freiheit zielt (S. 317). Die Kritik
des Rechts am Leben wird hier in einem soziologischen Sinne so gedeutet, dass
das Recht eine Art Gesellschaftskritik ist (S. 321). Insbesondere die
Menschenrechte hätten eine solche Funktion, wie Müller-Dietz schreibt (S. 322).
Die
Ägyptologin Elke Blumenthal greift das für die Rechtsgeschichte
interessante Totengericht im alten Ägypten auf („Rechtfertigung“ im Verständnis
der Alten Ägypter, S. 523-548), das in vielerlei Hinsicht Parallelen zur
christlichen Vorstellung vom Endgericht aufweist. Am Ende unternimmt Blumenthal
einen Vergleich von juristischer und christlicher bzw. „ägyptischer“
Rechtfertigung (S. 543ff.). Sie unterscheidet u. a. Diesseitigkeit und
Jenseitigkeit der normativen Autorität. Für das moderne Recht mag das
zutreffen. Für das mittelalterliche Rechtsdenken gilt diese Differenzierung
hingegen eher nicht. – Der Aufsatz Blumenthals leitet über zu dem
systematischen Vergleich theologischer und juristischer „Rechtfertigung und
Gerechtigkeit“ durch Udo Ebert (S. 549-561), den dieser selbst als
„Diskussionsanstoß“ bezeichnet, der vorläufig, vertiefungs- und
korrekturbedürftig sei. Oft sind es aber auch schon die Fragestellungen, die
besonderen Wert haben. Das gilt sicherlich für diesen Beitrag, der gerade für
die Beobachtung der frühneuzeitlichen Rechtslehren anregend sein kann, ohne
selbst einen historischen Ansatz zu verfolgen. – Dem Gerechtigkeitsbegriff in
der Bibel (und damit auch dem Begriff „Rechtfertigung“) spürt Karl-Wilhelm
Niebuhr nach (S. 563-574). Für den Dialog zwischen Theologie und
Rechtswissenschaft dürfte der Rückgriff auf mittelalterliches Rechtsdenken, in
dem auch unsere moderne Rechtskultur wurzelt, hilfreich sein, das dem Recht
eine spezifische heilsgeschichtliche Funktion zumaß, die heutiger Jurisprudenz
fremd ist.
Manfred
Hennen spricht in der Einleitung seines Aufsatzes „Bildung als
‚Idee der Universität‘“ (S. 587-607) von der Vorstellung, „daß die Vielfalt der
Fachrichtungen und Fragestellungen in ihrer Verzahnung und Ergänzung Wissenschaft
reich und lebendig werden läßt“ (S. 587). Legt man nach Lektüre die Festschrift
für Udo Ebert wieder aus der Hand, so findet man diese Einsicht auf das Beste
bestätigt.
Hamburg Tilman
Repgen