Rader, Olaf B., Friedrich II. - Der Sizilianer auf dem Kaiserthron. Eine Biographie. Beck, München 2010. 592 S., 58 Abb., 4 Kart., 1 Stammtaf. Besprochen von Arno Buschmann.

 

Mit dem vorliegenden Buch des Berliner Historikers wird eine Biographie des großen Staufers vorgelegt, die sich würdig einreiht in die schier unübersehbare Zahl von Biographien, die allesamt von der Faszination zeugen, die Friedrichs Persönlichkeit auf die Zeitgenossen wie auf die Nachwelt ausgeübt hat. Jede dieser Biographien hat ihren eigenen Ansatz. Sieht man von den zeitgenössischen Lebensbeschreibungen ab, deren Duktus je nach politischer und religiöser Einstellung der Verfasser von grenzenloser Verehrung bis zur abgrundtiefen und hasserfüllten Verachtung reicht, dann finden sich auch in den späteren Biographien die unterschiedlichsten Darstellungsformen, die sich von nüchterner Berichterstattung über die mythische Überhöhung bis zu den quellennahen Schilderungen der jüngsten Zeit erstrecken und dies nicht nur in der deutschen Historiographie, sondern ebenso in der italienischen, der französischen wie auch der englischen Literatur.

 

Unter diesen Umständen stellt sich die Frage, von welchem Ansatz der Verfasser des vorliegenden Buches ausgeht. Nach eigenem Bekunden geht es ihm nicht darum, die bisherigen zahlreichen Deutungen durch eine neue zu ersetzen, wobei er ohnehin Gefahr laufen würde, ältere Deutungen in moderner Form zu wiederholen. Als sein Ziel sieht er es an, auf der Grundlage der neuesten Erkenntnisse der historischen Memorik, die vor allem auf die Forschungen Johannes Frieds zurückgehen, die historische Figur von den vielfältigen Verschleierungen, die sie schon in den Lebensbeschreibungen der Zeitgenossen und erst recht denen der Nachwelt bis in die jüngste Vergangenheit je nach Standpunkt der Verfasser erfahren hat, zu befreien und auf ihren wirklichen historischen Kern zu reduzieren, mit anderen Worten, von allen nachträglichen Zuschreibungen und Konstruktionen freizumachen und in ihrer eigentlichen historischen Substanz zu erfassen. Er möchte ermitteln, wie die verschiedenen Urteile über den Herrscher zustande gekommen sind und welches die Ursachen sind, die zu diesen geführt haben. Als eine dieser Ursachen glaubt er neben den zeitbedingten Umständen vor allem die geographische Herkunft und Verortung der Biographen und deren Vorstellungswelt feststellen zu können. Für die deutschen Biographen habe Friedrich stets als deutscher Herrscher, als Verkörperung eines deutschen Herrschergeschlechtes gegolten, für die Italiener hingegen sei er wegen seiner Herkunft aus Sizilien von Anfang an als einer der ihren angesehen worden, als Italiener, oder besser als Sizilianer auf dem Kaiserthron. Diesen Ansatz möchte der Verfasser in seiner Biographie weiterverfolgen. Er möchte in ihr den Versuch unternehmen, anders als die bisherigen deutschen Biographen, Friedrichs Leben und seine Herrschaft aus „südlich-mediterraner Blickrichtung“ zu betrachten, sicher auch in Anlehnung an manche zeitgenössische, aber auch spätere Darstellungen. Was seinen Versuch von diesen unterscheidet, ist das Bemühen, von den Realitäten des Lebens auszugehen und diese als Grundlage seines Herrscherbildes zu nehmen

 

Der Verfasser teilt seine Darstellung in drei Abschnitte ein, einen ersten, der den verschiedenen Phasen der Herrschaft gewidmet ist, einen zweiten, der sich mit dem Menschen und seinen Leidenschaften beschäftigt und einen dritten, den er mit „Feindschaften“ bezeichnet und in dem er die unterschiedlichen Rollen beschreibt, in denen Friedrich agierte und von den Zeitgenossen und seinen Widersachern wahrgenommen wurde. Der erste Abschnitt beginnt mit der Darstellung von Herkunft, Geburt, der Vorfahren, der vielbesungenen Reise des „Puer Apuliae“ in das Land seiner staufischen Vorfahren, der Eroberung der Königskrone, der Kaiserkrönung und setzt sich fort mit der Schilderung der Bemühungen um Konsolidierung der Herrschaft in Italien, der Tätigkeit als Gesetzgeber und als Bauherr von Kastellen und Residenzen in Sizilien und endet mit der Beschreibung von Friedrichs Maßnahmen zur rechtlichen Ordnung und Absicherung der königlichen und kaiserlichen Herrschaft im Reich. Der zweite Abschnitt beschäftigt sich zunächst ausgiebig mit Friedrichs Ehen und Amouren, deren Folgen und den verschiedenen politischen Aspekten, sodann mit den geistigen Leidenschaften, seiner Liebe zu Kunst und Wissenschaft, namentlich der Dichtkunst und den Naturwissenschaften, insbesondere mit seiner Vorliebe für die Falknerei, die ihn zu einem Klassiker dieses Genres hat werden lassen. Der dritte und letzte Abschnitt schließlich ist Friedrichs Rolle als Kriegsherr, als Seefahrer, aber auch als Pilger und Kreuzfahrer wie auch als unbarmherziger tyrannischer Herrscher und dessen zeitgenössischer Verurteilung als Repräsentant des Antichrist in dieser Welt gewidmet und schließt mit der Schilderung von Friedrichs Ende und den zahlreichen Formen der Wiederkehr und der Erinnerung in den Deutungen der Nachwelt.

 

Für den Rechtshistoriker von besonderem Interesse sind vor allem die Ausführungen des Verfassers über Friedrichs Rolle als Gesetzgeber. Anschaulich schildert der Verfasser zunächst Intention, Entstehung und Grundlagen der wichtigsten Gesetzgebung Friedrichs für sein Königreich Sizilien, der sog. Konstitutionen von Melfi aus dem Jahre 1231, die der Kaiser von rechtskundigen Hofleuten in vergleichsweise kurzer Zeit ausarbeiten ließ und mit kaiserlicher Autorität verkündete. Zu Recht verweist er auf die Fortwirkung der Tradition des antiken Herrscherideals vom gerechten Herrscher wie auf das Vorbild der spätrömischen Kaisergesetzgeber als Grundlage für Friedrichs Bemühen um Stabilisierung der sizilischen Herrschaft wie seines Herrschaftsanspruchs gegenüber dem Papst. Zutreffend betont der Verfasser in diesem Zusammenhang auch die Bedeutung der Urkunden als verschriftlichter kaiserlicher Willensäußerungen und deren Funktion als Instrument der Herrschaftsausübung, vor allem auch im Reich. Weniger überzeugend sind dagegen die Ausführungen des Verfassers über Friedrichs Leistungen als Gesetzgeber auf dem Mainzer Hoftag von 1235, wie die „curia solemnis“ von Mainz heutzutage in der historischen Forschung genannt wird. Anders als in der rechtshistorischen Forschung meint er, dass der dort verkündete berühmte Landfriede nicht als ein frühes Grundgesetz des Reiches, sondern lediglich als eine „Ordnungsvision“ angesehen werden könne, wie dies in der historischen Forschung vor allem von Görich und Hagen Keller vertreten werde. Tatsächlich war der Mainzer Reichslandfriede jedoch weit mehr als eine bloße „Ordnungsvision“, sondern eine konkrete Friedensordnung des Reiches, wie ein Blick auf die zahlreichen Wiederverlautbarungen des Mainzer Landfriedens, die konkreten Bezugnahmen in Urkunden und die Anknüpfungen in den späteren Landfrieden bis zum Ewigen Landfrieden von 1495 lehrt. Visionen werden nicht als geltendes Recht des Reiches verwendet und zitiert. Auch die Deutung der Fehde durch den Verfasser als eine Art Faustrecht wird deren rechtlicher Bedeutung vor allem im Hochmittelalter nicht gerecht. Aus rechtshistorischer Sicht war die Fehde ein durch Rechtsgewohnheiten anerkanntes Verfahren der Rechtsdurchsetzung mit Waffengewalt, das mit der Bezeichnung Faustrecht nicht zutreffend charakterisiert ist. Sie war ein Element der mittelalterlichen Rechtsordnung, das seine Bedeutung erst allmählich durch die Verlagerung der Austragung von Rechtsstreitigkeiten vor die Gerichte verlor.

 

Was die Deutung der Persönlichkeit Friedrichs II. von Hohenstaufen als Sizilianer auf dem Kaiserthron durch den Verfasser betrifft, so knüpft sie an ältere Deutungen an, die in Friedrich ebenfalls den Sizilier gesehen haben, diese allerdings mit dem nationalistischen Unterton, dass Friedrich die deutschen Belange vernachlässigt und sich vor allem um sein sizilisches Königreich gesorgt habe, ein Unterton, der dem Verfasser völlig fremd ist und von dem er sich zu Recht distanziert. Solche Nationalismen haben ohnehin in einer modernen Historie, jedenfalls sofern sie als wissenschaftliche Disziplin betrieben wird, nichts verloren. Worum sich stattdessen der Verfasser mit reicher Quellenkenntnis, viel Geschick und bemerkenswertem historischen Einfühlungsvermögen bemüht, ist die faktenbezogene Beschreibung und Deutung von Persönlichkeit und Herrschaftsauffassung Friedrichs aus dessen staufischer Herkunft, Geburt und Jugend im römisch-normannischen Sizilien und seiner durch diese Umstände bestimmten Vorstellungswelt und Denkungsart. In der Tat verbinden sich bei Friedrich wie bei keinem anderen Herrscher aus dem staufischen Hause staufische, normannische und vor allem antike römische Tradition zu einer eigenen Wesenseinheit, die eine isolierte nationale Zuschreibung bei der historischen Deutung nicht zulässt. Insofern war Friedrich II. von Hohenstaufen in der Tat, wie von den Zeitgenossen und von allen Biographen gleich welcher Couleur nahezu unisono betont, eine einzigartige Erscheinung nicht nur unter den staufischen Herrschern, sondern überhaupt des mittelalterlichen Kaisertums. Sein Leben und Wirken im Sinne eines auf die Faktizität des Geschehens und der Überlieferung konzentrierten Deutungsansatzes dargestellt zu haben, ist das besondere Verdienst des Verfassers und seines ebenso anschaulich wie lebendig und fesselnd geschriebenen Buches, das auch für den Rechtshistoriker viele anregende Beobachtungen und Bemerkungen enthält.

 

Salzburg                                                                                 Arno Buschmann