Pyta, Wolfram, Hindenburg - Herrschaft zwischen Hohenzollern und Hitler, 2. Aufl. München, Siedler 2009. 1117 S., Ill. Besprochen von Karsten Ruppert.

 

Das Leben Paul von Beneckendorffs und von Hindenburg begann 1847 in der preußischen Monarchie und endete 1934 im „Dritten Reich“. Es umfasst also vier Epochen deutscher Geschichte, von denen er drei mitgestaltet und eine entscheidend geprägt hat. Man kann also Bedeutendes erwarten, wenn einer der besten Kenner des Zeitraums versucht, dem Phänomen Hindenburg auf die Spur zu kommen, zumal er das auf breiter Literaturgrundlage tut und keine Mühen gescheut hat, selbst marginale Archivalien aufzutreiben. Dass dennoch wenig neue Fakten über die historische Figur und den Privatmann gefunden wurden, unterstreicht, wie gut dieses Leben schon erforscht ist. Das Originelle dieser Studie ist daher an anderem festzumachen. Zum einen an der Methode der Verschränkung von Politik- und Kulturgeschichte, die über Strecken doch einen bisher nicht gekannten Hindenburg zeigt; zum anderen an der recht stringent durchgehaltenen zentralen These: Hindenburg sei es unter außergewöhnlichen Umständen gelungen eine auf seine Person zugeschnittene Herrschaftsform zu etablieren, weil in seiner Person tief in der deutschen politischen Kultur verwurzelte Grundannahmen symbolisch fassbar geworden seien. Hindenburg wird also vor allem als „symbolischer Akteur“ verstanden, in den weite Kreise der deutschen Gesellschaft ihre politischen Erwartungen und Hoffnungen projiziert hätten.

 

Pyta schildert die militärische Karriere des Kadetten Paul bis zu dessen vorzeitigem Abschied als kommandierender General des 4. Armeekorps in Magdeburg 1911 nicht ohne Anerkennung. Die bis dahin einzige nennenswerte militärische Herausforderung sei die Teilnahme am Deutsch-Französischen Krieg in frühester Jugend gewesen. Danach ist er in der Friedensroutine des Militärbetriebs über zahlreiche Kommandos in verschiedenen Teilen des Reiches aufgestiegen und habe stets eine Vorliebe für die Arbeit im Generalstab gehabt. Trotz des ausdrücklichen Bemühens, die politische Prägung in diesen Jahren herauszuarbeiten, gelingt dies wegen zu schmaler Überlieferung so gut wie nicht.

 

Ausschlaggebend für Hindenburgs Reaktivierung, worum er sich seit Ausbruch des Krieges mehrfach vergeblich bemüht hatte, und die damit verbundene Rangerhöhung zum Generalobersten war die sich gefährlich zuspitzende Lage im Osten: die Aufgabe Ostpreußens vor den heranrückenden Russen. Deswegen wurde Generalmajor Erich Ludendorff am 21. August 1914 zum Chef des Generalstabs der 8. Armee berufen. Er hatte sich bei der Eroberung Lüttichs am 7. August ausgezeichnet. Da er aufgrund seines Alters noch nicht zum Oberkommandierenden gemacht werden konnte, stieß man eher zufällig auf Hindenburg als den Mann, der mit diesem schwierigen Charakter auskommen könnte.

 

Es sei nun auch Ludendorff gewesen, der zusammen mit Oberstleutnant Max Hoffmann die Planung zur Rückeroberung Ostpreußens in die Hand genommen habe. „Hindenburgs Anteil an den Planungen tendiert gegen 0“ (S. 48). Mit noch größerem Nachdruck betont Pyta, dass Hindenburg keinen entscheidenden Anteil an dem Sieg bei Tannenberg gehabt habe. Er habe als Oberkommandierender der Ostarmee sein Pensionärsleben weiter geführt, nur in wenigen Stunden am Tag sich militärischen Angelegenheiten gewidmet und, so Pyta ironisch, die Schlacht bei Tannenberg teilweise verschlafen! Recht forsch wird Hindenburgs Anteil am Sieg in einem Umfang verneint, den die Mehrheit der Forschung nicht teilt. Das Problem, warum Hindenburg dennoch als der Sieger, ja als Retter des Reiches gefeiert wurde, wird, arg überzogen, mit dessen geradezu genialischen Fähigkeiten für symbolische Geschichtspolitik erklärt. Darüber hinaus habe den Mythos gefördert, dass der Feind auf deutschem Boden in einer auch der Masse leicht fassbaren Kesselschlacht vernichtet worden sei und dass eine Verkörperung der symbolischen Einheit der Nation gefehlt habe wegen der Diskreditierung des Kaisers in den Jahren zuvor. Hindenburg also schon jetzt ein Ersatzkaiser! Um dieser ja recht ungewöhnlichen These mehr Überzeugungskraft zu geben, wird ein Exkurs über Bedingungen symbolischer Politik und kulturgeschichtliche Methoden eingeschoben, der aber eher die Grenzen dieser methodischen Versuche offen legt. Zudem wird hier ein Bruch spürbar: Die Charaktereigenschaften, die andere Forscher (und Pyta bis 1914) Hindenburg bescheinigt haben, passen nicht zum ausgefeilten Raffinement des Mythenstrickers. Dem Autor ist dahin gehend Recht zu geben, dass diese Dimension nicht vernachlässigt werden darf, doch ist der Eindruck nicht von der Hand zu weisen, dass er von seiner These, Hindenburg als der große Selbstinszenierer, so sehr fasziniert ist, dass er sie überzieht. Denn er folgt ihr seit Tannenberg ziemlich konsequent; sie ist bei Pyta das vorrangige Motiv für das Handeln seines Helden.

 

Hindenburg habe im Osten keine Erfolge mehr gehabt, trotzdem sind alle Siege an dieser Front in der Öffentlichkeit ihm zugerechnet worden, obwohl sein Rivale Falkenhayn sich kräftig bemühte, dessen Ansehen zu schmälern. Selbst dessen Motiv für den Angriff auf Verdun habe darin gelegen, sich als Gegenhelden an der Westfront aufzubauen. Während dieser dabei katastrophal scheiterte, habe der militärisch nutz- und tatenlose Hindenburg in einer breit geschilderten propagandistischen und medialen Gegenoffensive erfolgreich seinen Nimbus befestigt, weil er soziokulturelle Tiefenschichten, die in der Selbstdeutung der deutschen Nation lagen, bedient habe. Höhepunkt der Kampagne sei die Einweihung seines eisernen Nageldenkmals auf dem Königsplatz in Berlin 1915 gewesen. Folglich sei ihm im Sommer 1916 nach dem Zusammenbruch der österreichischen Front gegenüber Russland das Oberkommando an fast der gesamten Ostfront angetragen worden.

 

Ausschlaggebend für die doch noch erreichte Ablösung Falkenhayns als Chef der Obersten Heeresleitung sei der Kriegseintritt Rumäniens gewesen. Erst jetzt sei der widerstrebende Kaiser, dem schon damals für seine Rolle als oberster Kriegsherr nichts Gutes schwante, davon zu überzeugen gewesen, dass ein Kompromissfrieden dem Volk nur zu vermitteln sei, wenn Hindenburg aufgrund des inzwischen gewachsenen Mythos an der Spitze der Feldarmee stehen würde. Konsequent hält Pyta daran fest, dass wiederum nicht seine militärischen Fähigkeiten Hindenburgs Aufstieg befördert hätten; wenig überzeugend ist aber die Behauptung, dass er damit nicht gerechnet habe. Wozu dann der ganze mit propagandistischem Aufwand geführte Kampf gegen Falkenhayn zuvor? Hier schlägt zum ersten Mal ein weiteres Deutungsmuster durch, welches das gesamte Buch durchzieht: An den entscheidenden Wendungen im Leben Hindenburgs, die ihn zu einer historischen Figur gemacht haben, habe der Zufall gewaltet, sei die Entwicklung auf ihn zugelaufen, er selbst habe am wenigsten dazu beigetragen.

 

Nach der Ernennung Hindenburgs zum Chef der Obersten Heeresleitung sei das Einvernehmen zwischen dieser und der Reichsleitung gut gewesen. Diese sei auch immer mehr auf das symbolische Kapital Hindenburgs angewiesen gewesen, um unpopuläre Maßnahmen im Innern durchzusetzen („Hindenburg-Programm“). Folglich musste ihr auch an dessen Vermehrung gelegen sein, wie sie durch die Verleihung des Großkreuzes des Eisernen Kreuzes am 9. Dezember 1916 als erstem General im Krieg zum Ausdruck kam, obwohl er an dem Sieg über Rumänien, womit die Ehrung begründet wurde, am wenigsten Anteil hatte. Pyta, der dies wiederum herausstreicht, sieht spätestens nun seinen Helden auf dem Weg zur charismatisch-plebiszitären Herrschaft, der sich seitdem auch immer mehr auf das Volk berief. Diesen Begriff als Ausdruck einer Herrschaft, die sich in ungewöhnlichem Maße auf eine Person konzentriert, die ihre Macht ohne förmliches Amt und ohne geregeltes Verfahren ausübt, zieht Pyta, allzu breit Max Weber referierend, eindeutig dem der Militärdiktatur vor, um die Macht der Obersten Heeresleitung seit 1916 zu erklären.

 

Dagegen sei die bürokratisch-rationale Herrschaft des Reichskanzlers abgefallen, so dass absehbar gewesen sei, wie der Konflikt zwischen dessen Konzept eines Verständigungsfriedens und dem Hindenburgs, der sich zur Inkarnation des deutschen Siegeswillens stilisiert habe, enden würde. Wie es zu dieser Entfremdung gekommen ist, bleibt dunkel. Sie endet damit, dass Hindenburg zusammen mit der Industrie und den Alldeutschen den verständigungswilligen und Reformen gegenüber aufgeschlossenen Bethmann Hollweg stürzen konnte. Hindenburg selbst lehnte es ab, an dessen Stelle zu treten, da dort sein Aktionsradius eingeschränkt worden wäre. In unnötiger Breite wird nun die Intrige zum Sturz des Reichskanzlers geschildert. Sie sei nur gelungen durch das Zusammenspiel der Obersten Heeresleitung mit den sonst wenig geschätzten Parteien und weil der Kaiser den angedrohten Rücktritt Hindenburgs gar nicht mehr riskieren konnte. Sicherlich war es in der preußischen Geschichte schon mehr als ungewöhnlich, dass ein hoher Militär seinem König eine Personalentscheidung abpresste, doch ist der Sturz Bethmann Holzwegs nicht in erster Linie aus dieser personellen Konstellation zu erklären. Hier wie an manchen anderen Stellen wird das Umfeld der Vorgänge um Hindenburg zu wenig bedacht.

 

Das Jahr 1917 sei ein Höhepunkt im Ansehen Hindenburgs gewesen. Sein 70. Geburtstag am 2. Oktober wurde wie ein Staatsfeiertag begangen. Aus den operativen Planungen hatte sich der Feldherr inzwischen zurückgezogen und – so immer wieder unterstrichen - alles dem unentbehrlichen Ludendorff überlassen. Er habe sich darauf konzentriert, das Volk über alle regionalen, konfessionellen und sozialen Unterschiede hinweg zusammenzuhalten und darauf zu achten, dass die entscheidenden Fragen deutscher Politik nach seinen Vorstellungen gelöst wurden. Jetzt fand er in die politische Rolle, die er ein Leben lang spielen sollte: Mahner und Bürge der inneren Einheit einer fragmentierten deutschen Gesellschaft. Dazu habe ihn sowohl seine natürliche Volkstümlichkeit wie die Kaltblütigkeit befähigt, mit der er Gegner ausschaltete. Pyta glaubt sogar in dem Kreuznacher Hauptquartier, in dem der Feldherr sich inzwischen familiär eingerichtet hatte, eine Konkurrenz zum Kaiserhof sehen zu können. Kaum mehr Zweifel hat der Verfasser, dass die Macht Hindenburgs inzwischen an die des Kaisers heranreichte: Einige Staatssekretäre mussten weichen, weil er es wollte, und selbst die Kanzler seien seine Geschöpfe gewesen. Michaelis sowieso und Hertling habe er präsentiert, um durch die Spaltung des Zentrums Friedensresolution und Parlamentarisierung auszuhöhlen. Selbst dem Kaiser habe er jetzt einen neuen Chef des Zivilkabinetts aufgedrängt. Nach Pyta war Hindenburg also nicht nur der Ersatzkaiser der Weimarer Republik, sondern schon der des agonierenden Kaiserreiches!

 

Die sich aufdrängende Frage, warum die Weltkriegsniederlage den Feldherrn Hindenburg nicht um sein symbolisches Kapital gebracht habe, vermag Pyta nicht ganz überzeugend zu klären. Er verweist darauf, dass Ludendorff im Laufe des Jahres 1918 gleichberechtigt an die Seite Hindenburgs gerückt sei und ihm daher die gescheiterte Märzoffensive (für die aber Hindenburg als erster Feldherr nach Blücher das Eiserne Kreuz mit goldenen Strahlen bekam!) wie der Schwenk der Obersten Heeresleitung, als der amerikanische Präsident Wilson die innere Umgestaltung forderte, in die Schuhe geschoben werden konnte. Wenn Hindenburg die Entlassung Ludendorffs, die dieser ihm nie verzieh, auch nahe gegangen sei, so habe er jetzt wie auch zuvor und danach keine Rücksicht gekannt, wenn sein Ansehen auf dem Spiel stand.

 

Zudem habe Hindenburg im Umbruch die staatliche Kontinuität von der alten Ordnung zur neuen verkörpert. Dazu habe ihn auch eine enorme Anpassungsbereitschaft, die zukünftig sein Markenzeichen werden sollte, befähigt. Den ersten Beweis dafür habe er durch die Wahl des unbelasteten Groeners, weil dieser gute Beziehungen zu den neuen Machthabern unterhielt, zum Nachfolger Ludendorffs gegeben. Nach Pytas Ansicht hat Hindenburg auf die Einbindung der Parteien angesichts der Niederlage gedrängt, um einen breiten Konsens für deren Akzeptanz zu erreichen und um eine Revolution wie in Russland zu verhindern. Die perfide Absicht, die Niederlage auch äußerlich durch die Unterzeichnung des Waffenstillstands ihnen in die Schuhe zu schieben, wird gar nicht artikuliert! Wiederum hilft die Erklärung, dass Hindenburg in den tiefen Schichten der politischen Soziokultur der Deutschen wurzelnde Sehnsüchte befriedigt habe, über manche Klippe hinweg.

 

Viel zu stark wird die Abreise des Kaisers nach Spa und dessen folgende Flucht in die Niederlande als das Werk Hindenburgs konstruiert. Dessen Motiv sei gewesen, seine Position zu retten und das Feldheer als Machtfaktor zu erhalten. Pyta interpretiert Hindenburgs Agieren beim Ende der Monarchie so, dass er dies zwar als bitter empfunden, doch sich zugleich als fähig erwiesen habe, die harten Realitäten zu akzeptieren, um sich für die Ausübung politischer Herrschaft auch in der Republik zu qualifizierten. Damit wird wieder einmal eine historisch kontingente Entwicklung so interpretiert, als ob sie Hindenburg intentional herbeigeführt hätte.

 

Sein Abschied vom Heer am 25. Juni 1919 war keine flammende Kundgebung gegen die Unterzeichnung des Friedensvertrags, aber immerhin ein symbolischer Akt, durch den er sich distanzierte. Pyta glaubt nun, dass Hindenburg wieder einmal als der wahre Meister des politischen Doppelspiels agiert habe. Er habe kein Veto gegen die Unterzeichnung des Friedensvertrags eingelegt, obwohl er in einer Schlüsselposition gewesen sei, in der das Nein vielleicht die Dinge geändert hätte. Hier werden Hindenburgs damalige Möglichkeiten weit überschätzt.

 

In überflüssiger Ausführlichkeit wird geschildert, wie die Militärs dem Volk und den „schlappen“ Zivilisten zu Hause mit Hilfe der Dolchstoßlegende die Niederlage anlasteten. Ihre Durchschlagskraft erhielt sie erst, als sie Hindenburg unwidersprochen im Untersuchungsausschuss des Reichstages vortragen durfte. Dieser Auftritt gibt Pyta Gelegenheit, eine Kernthese zu unterstreichen: Hindenburg sei darauf bedacht gewesen, bei allen wichtigen politischen Entscheidungen, an denen er beteiligt war, die Hoheit über deren nachträgliche Deutung zu gewinnen. Das sei Grundlage dafür gewesen, dass der reale Hindenburg immer mehr vom imaginierten überdeckt wurde. Das sei keine Manipulation der gesellschaftlichen Eliten zur Festigung ihrer angeschlagenen Herrschaft gewesen, vielmehr habe die deutsche Gesellschaft auf der Suche nach symbolischer Vergemeinschaftung einen Großteil ihrer politisch-kulturellen Sinnmuster auf Hindenburg übertragen. Dazu ist zu sagen, dass dies bei Weitem nicht nur ein einseitiger Akt war, also die Projektion der Hoffnungen der Gesellschaft auf Hindenburg, sondern dass dieser wie auch die angeschlagenen Eliten vorsätzlich darauf hingearbeitet haben. Denn diesen war mehr als ihren Gegnern bewusst, welch hohe Bedeutung Geschichtsbilder und symbolische Zeichen für die politische Herrschaft haben. Genau hier lag eine ihrer Stärken und die Schwäche der Befürworter der Republik.

 

Auch nach dem Krieg habe sich Hindenburg als glänzender geschichtspolitischer Stratege erwiesen. Zunächst konnte er die Angriffe der Rechten wegen der Rolle, die er bei der Abdankung des Kaisers gespielt hatte, abwehren und in den 1920 veröffentlichten Erinnerungen seine Sicht der Kriegsereignisse verbreiten. Weitgehend von Mertz von Quirnheim geschrieben, seien nur die letzten vier Seiten („Mein Abschied“) von Hindenburg selbst und so etwas wie sein politisches Glaubensbekenntnis. Die Nation über alles stellend, werde der Geist der nationalen Einigkeit, wie er sich im Augusterlebnis von 1914 eindrucksvoll manifestiert habe, als Voraussetzung des Wiederaufstiegs angemahnt. Eine Grundmelodie, die er bis an das Ende seines Lebens von nun an immer wieder variiert habe. Die Ansicht, dass er nicht schon jetzt an die Umsetzung seiner Überzeugungen gehen konnte, da der Kapp-Lüttwitz-Putsch seine Kandidatur als Reichspräsident 1920 verhindert habe, überzeugt nicht, da damals gar keine Reichspräsidentenwahlen anstanden. Bis sich diese Chance wirklich eröffnete, musste er noch 5 Jahre privatisieren, was er – interessant - angemessen nur mit einer geheimen Spende der Industrie konnte.

 

Breit, ohne großen Ertrag wird das bekannte Hin und Her um die Kandidatur Hindenburgs für das Amt des Reichspräsidenten geschildert. Ausschlaggebendes Motiv für deren Annahme war nach Pyta wieder einmal, dass sein Mythos nicht beschädigt würde, wenn das rechte Lager geschlossen hinter ihm stand. Sein Sieg sei so deutlich ausgefallen, da der „brave und pflichtbewusste Jurist Marx“ … „nicht im Entferntesten an seinen symbolisch erhöhten Konkurrenten“ herangereicht habe. Bei einem Unterschied der Stimmen von nur 3 % eine reichlich überzogene Bewertung. Mythos und symbolisches Kapital sind selbst für Wähler nicht alles in der Politik.

 

Mit der Übernahme der Reichspräsidentschaft wandelte sich die Form von Hindenburgs politischem Herrschaftsanspruch: Sein charismatischer Führungsanspruch wurde ergänzt, wenn nicht gar überlagert durch die von seinem Amt ausgehende Legitimation. Anerkennend wird vermerkt, dass er ein für ihn auch subjektiv fremdes und schweres Amt übernahm, in dem er zwangsläufig vor allem die Hoffnungen seiner Anhänger enttäuschen musste. Angestrebt habe er es dennoch, weil es ihm die Möglichkeit zu bieten schien, seinen Traum von der einigen Nation zu verwirklichen. Allein schon deswegen verboten sich alle politischen Abenteuer und Diktaturpläne, von denen ihn aber auch seine religiös begründete Moralität abgehalten habe. So sei seine politische Handschrift vor allem in der Auswahl der Reichskanzler zum Ausdruck gekommen; wohingegen er zur allgemeinen Überraschung in der Außenpolitik Stresemann folgte. Er habe sich aber die Zustimmung bei der Besetzung wichtiger Botschafterposten vorbehalten wie auch kein Reichswehrminister gegen ihn durchzusetzen gewesen sei. In der Darstellung der Präsidentschaft bis 1930 ist kaum etwas Vertiefendes oder Weiterführendes zu finden. Um so mehr hätte es sich angeboten, nicht in aller Breite längst Bekanntes zu wiederholen.

 

Wohl dem Wunsch, die These von Hindenburg als dem Schöpfer und Bewahrer des eigenen Mythos zu unterstreichen, ist es zu verdanken, dass der Autor ein ganzes Kapitel dem Bestreben des Reichspräsidenten widmet, seine neue Macht zu nutzen, um mit Hilfe des Reichsarchivs den Glanz des Weltkriegshelden aufzupolieren. Doch etwas oft wird das Motiv strapaziert, das Präsidentenamt zu einem Kristallisationskern für die politische Einheit des Volkes zu machen, und nicht ohne Reiz ist die These, dass Hindenburg auch deswegen lange vor präsidialen Lösungen zurückgeschreckt sei, um sein symbolisches Kapital nicht in den Niederungen der tagespolitischen Auseinandersetzungen zu verbrauchen. In deutlicher Distanz zur Forschung bescheinigt Pyta dem Reichspräsidenten, ein politisch eigenständiger Kopf gewesen zu sein. Er habe sich in allen wichtigen Fragen ein eigenes Urteil gebildet und niemand habe ihn zu wichtigen Entscheidungen verleitet. Ebenfalls sei er entgegen allen anderslautenden Spekulationen bis zu seinem Ende geistig und körperlich auf der Höhe gewesen.

 

Bis auf Privates und den präsidialen Tagesablauf erfährt man auch über die Präsidialkabinette wenig Neues. Hindenburg sei in dieser Zeit persönlich und politisch vereinsamt und habe Zeichen von Resignation und Erschöpfung gezeigt, so dass er keine zweite Amtszeit anstrebte. Er wollte aber seinen Nachfolger selbst bestimmen. Das erwies sich allerdings als schwierig, nachdem sein Wunschkandidat Admiral Reinhard Scheer schon 1928 verstorben war. Mit ihm sollte der Held des Seekriegs den des Feldheers ablösen. Viel zu breit und detailliert wieder die Suche nach Alternativen und Auswegen bis zur Entscheidung Hindenburgs im Februar 1932, sich doch erneut der Volkswahl zu stellen. Kaum mehr überraschend die Deutung Pytas: Er beanspruchte weiter die politische Führungsrolle, weil nur er mit seiner Autorität und seinen symbolischen Qualitäten dafür bürgen konnte, dass das Projekt „innere Einheit“ nicht in falsche Hände geriet. Nur mit präsidialer Autorität glaubte er dafür bürgen zu können, dass eine Machtbeteiligung Hitlers nicht zu einer unumschränkten Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde. Das Projekt einer nationalen Volksgemeinschaft konnte nur erreicht werden, wenn die Rechte darin eingebunden würde. Bei der Linken und der Mitte sah es der Feldmarschall nicht in den richtigen Händen. Das hat ihn aber nicht angefochten, sich jetzt mit ihrer Hilfe erneut wählen zu lassen. Warum er sich diesen gegenüber dennoch nicht verpflichtet gefühlt habe, deutet Pyta durchaus originell. Die Legitimation seiner Reichspräsidentschaft habe er nicht in seinen Wählern gesehen, sondern in jenen politischen Kräften, bei denen sein Lebenswerk der nationalen Einigung am besten aufgehoben schien.

 

Neu akzentuiert wird allerdings Hindenburgs Rolle bei dem Weg von Hitler und seiner NSDAP zur Macht. Spätestens seit diese im Reichstag eine Schlüsselposition errungen hatte, musste der Reichspräsident eine Position zu ihr finden. Seine Überlegungen gingen dahin, die NSDAP durchaus willkommen zu heißen, wenn sie unter seiner Kontrolle zur Teilhabe an der Regierung sich bereitfand. Auf entschiedenen Widerstand sollte sie aber stoßen, wenn der Eintritt Hitlers in die Regierung nur den Zweck verfolgte, den Präsidenten die politische Regie streitig zu machen und die Alleinherrschaft anzustreben. Der Lackmustest dafür war für ihn die Frage der Kanzlerschaft. Hitler sei Parteiführer und ein von ihm geführtes Kabinett nicht überparteilich, sondern extrem einseitig. In der Unterredung beider am 13. August 1932 seien zwei unterschiedliche Herrschaftsansprüche aufeinandergetroffen. Hitler wollte als Führer der stärksten politischen Kraft die Kanzlerschaft und beharrte darauf, das nationale Deutschland zu repräsentieren. Hindenburg habe darin den Versuch gesehen, seine Macht zu reduzieren. Als Retourkutsche für die Behandlung Hitlers haben die Nationalsozialisten Andeutungen gemacht, dass sie den Mythos Hindenburg als erfolgreichen Feldherrn im Ersten Weltkrieg entzaubern könnten. Hindenburg habe darauf höchst allergisch reagiert.

 

Intelligent wird die Staatskrise interpretiert und originell wie schlüssig wird Hindenburgs Handeln in ihr weitgehend aus dem Gegensatz von legaler und charismatischer Autorität gedeutet. Danach konnte ihm nicht an Handlungen gelegen sein, zu denen der Reichspräsident eindeutig ermächtigt war, die aber zu Lasten seiner persönlichen Autorität gingen. Bei einer Ausschöpfung der Präsidialgewalt über den geschriebenen Text der Verfassung hinaus musste er eine Konfrontation mit denjenigen politischen Kräften fürchten, auf die er bei der Realisierung seines Herzensprojekts Volksgemeinschaft angewiesen zu sein glaubte. Hindenburg habe nicht von der Stärkung der Staatsgewalt aus gedacht und sei daher nicht bereit gewesen, die günstige verfassungspolitische Situation in der zweiten Hälfte des Jahres 1932 für eine verfassungsrechtlich ausgebaute Präsidialherrschaft zu nutzen. Es sei vielmehr dessen vorrangige Absicht gewesen, ein Regierungssystem zu begründen, das auf der Mobilisierung weiter Volkskreise in einer nationalen Gemeinschaft beruhte. Deswegen habe er auch höchst unwillig auf alle Versuche reagiert, ihm einen Kanzler aufzuzwingen oder ihm den seit dem „Preußenschlag“ bestehenden Zugriff auf das größte Reichsland zu beschneiden.

 

Dezidiert distanziert sich Pyta von der Forschung, die darauf abhebt, dass Hindenburg in der Staats-und Systemkrise 1932/1933 gesteuert worden sei: von der Industrie, der ostelbischen Landwirtschaft, den Militärs oder seiner Umgebung. Dem gegenüber betont er immer wieder, dass Hindenburg als unabhängiger und eigenständiger Charakter gehandelt habe, ja durchaus herrschafts- und machtbewusst. Das wird besonders deutlich, bei der Ablehnung aller Pläne zur Restauration der Monarchie, die in jenen Tagen mehrmals an ihn herangetragen worden sind. Pyta bescheinigt ihm deswegen einen politisch folgenlosen Herzensmonarchismus. Um sich den für sein selbstständiges Agieren nötigen Spielraum offen zu halten, habe er unter anderem seinen 85. Geburtstag am 2. Oktober 1932 in einer großen geschichtspolitischen Aktion feiern lassen.

 

Hitler habe er sich schließlich nach den Novemberwahlen angenähert, weil sich dieser bei der Regierungsbildung Hindenburg unterordnete, seine Forderungen reduzierte und vor allem die Aussicht eröffnete, die Zeit der Präsidialregierungen durch ein Ermächtigungsgesetz zu beenden. Weitere Bedingung für eine Kanzlerschaft Hitlers seien gewesen: die gesetzliche Übertragung der Stellvertretung des Reichspräsidenten auf den Präsidenten des Reichsgerichts (statt wie bisher auf den Kanzler!) und die Sammlung aller Kräfte, die zur nationalen Volksgemeinschaft beitragen konnten und willens waren, die außenpolitischen Fesseln zu überwinden. Der Weg dahin führte über Papen, dem Hindenburg die Verhandlungen überließ, und die DNVP. Nach Pyta sind die Rechte und Hindenburg nicht plump in das Zähmungskonzept hinein marschiert, sondern mit Misstrauen und vielen Sicherungen. Letztlich aber auch alternativlos, denn zuvor seien alle denkbaren Möglichkeiten durchgespielt worden. Und wenn die Verfassung nicht gebrochen werden sollte, gab es zu Hitlers Ernennung zum Reichskanzler keine Alternative mehr. Und diese historische Weichenstellung habe sich Hindenburg aus seinem starken herrscherlichen Selbstverständnis heraus nicht aus der Hand nehmen lassen. Entgegen einer weitverbreiteten Ansicht sei ihm Hitler von keiner Seite eingeflüstert worden.

 

Hindenburg habe den 30. Januar 1933 durchaus als einen persönlichen Erfolg verbucht und danach habe sich ein immer festeres Einverständnis zwischen ihm und seinem Kanzler auf der Grundlage eines gemeinsamen Feindbildes, der Volksgemeinschaftsideologie und nationaler Werte herausgebildet. Die symbolische Vermählung von Hitler und Hindenburg zugunsten des Werkes der nationalen Einigung sei der Tag von Potsdam gewesen. Daher glaubte er sich auch immer mehr aus der Politik zurückziehen zu können, um – wie könnte es anders sein? – seinen Mythos als Weltkriegsheld zu pflegen. So habe Hitler immer mehr die Rolle als Symbol der nationalen Einheit ausfüllen können und davon zum ersten Mal bei den „Hindenburg-Wahlen“ vom 5. März 1933 profitiert. Deren Ausgang Pyta doch etwas zu schlicht dahin gehend kommentiert, dass die Mehrheit der Deutschen kein Interesse mehr am Rechtsstaat, parlamentarischer Demokratie und Bürgerrechten gehabt habe.

 

Spätestens mit dem Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933, durch das der Reichspräsident, was Pyta allerdings nicht bemerkt, selbst auf die Ausfertigung von Gesetzen verzichtete, setzte der Rückzug Hindenburg aus der Politik ein. Nicht, das ist Pyta mit Blick auf die vorherrschende Meinung wichtig, aus gesundheitlichen Gründen, denn das Staatsoberhaupt sei bis kurz vor seinem Tod geistig und körperlich fit gewesen. So leicht können allerdings die zahlreichen anderslautenden Belege nicht vom Tisch gewischt werden. Es wird übersehen, dass gute Konstitution und zeitweise geistige Defizite sich im hohen Alter nicht ausschließen. Wie sonst ist Hindenburgs Gleichgültigkeit gegenüber der Behandlung engster Vertrauter und der Ermordung General Schleichers während des „Röhm-Putsches“ zu erklären? Die Honorierung des Hauses Hindenburg durch die Nationalsozialisten (Vergrößerung des Gutes Neudeck, Steuerfreiheit, Sanierungszuschuss von 1 Million Mark) hat das Oberhaupt nicht als solche empfunden, sondern als Anerkennung seiner Verdienste als Feldherr.

 

Mit seinem politischen Testament vom 11. Mai 1934 habe sich Hindenburg bewusst in die Tradition der preußischen Könige gestellt und in ihm auch seinen Nachfolger bestimmt – dass Vorrecht jedes charismatischen Führers! Er unterstrich nochmals, dass der Sinn seines politischen Lebenswerkes die Einheit des Volkes gewesen sei und dass dies durch die Politik Hitlers fortgesetzt werde. Papens Wunsch nach einem Bekenntnis zu einer Restauration der Monarchie ist er nur insofern nachgekommen, als er diesen in einem persönlichen Schreiben an Hitler äußerte, das der Führer denn auch sofort für immer verschwinden ließ. Pyta ist der Überzeugung, dass der Reichskanzler nach dem Tod des Reichspräsidenten in dessen Sinne gehandelt habe. Hindenburg habe kein Interesse an der Fortsetzung der Reichspräsidentschaft gehabt, sondern Hitler sollte jetzt auch die charismatische Herrschaft übernehmen. Nach dem Einer der Nation sollte er jetzt auch ihr Führer werden.

 

Ein wuchtiges, stets in einer gut lesbaren und angemessenen Sprache verfasstes Buch von rund 1100 Seiten, das lange die Standard-Biografie dieses in Bedeutung und Zeitspanne wahrlich historischen Lebens bleiben wird. Das garantieren die umfassende Verarbeitung von Literatur und Archivalien wie Anspruch und Kompetenz seines Verfassers. Dennoch bleiben auch Vorbehalte. Auffallend schon, dass Pyta sein Werk nicht in die breite Hindenburg-Forschung einordnet. Denn dann wäre noch deutlicher geworden, dass trotz immenser Anstrengungen zumindest keine diese nachhaltig korrigierenden Einsichten gefunden wurden. Besonders mit Blick auf die Fakten zeigt sich, dass kaum noch etwas zu entdecken war. In den bisher offenen Fragen ist auch ihm der Durchbruch nicht gelungen: Zum einen in einer schlüssigen und hinter die Ereignisse schauenden Deutung der Reichspräsidentschaft, besonders zwischen 1925 und 1930, und zum anderen wird der Mensch Hindenburg kaum fassbar. Wenn auch ausdrücklich festzuhalten ist, dass Pyta hier durch sein Bemühen, zumindest die politischen Vorstellungen herauszuarbeiten, ins Private zu blicken und den Arbeitsalltag nicht zu vernachlässigen, weit gekommen ist.

 

Naheliegend und fruchtbar erwies sich daher die Entscheidung für den kulturgeschichtlichen Ansatz und mit seinen meist kompetenten und geistreichen Interpretationen hat Pyta die Forschung ebenfalls bereichert. Dadurch und durch eine (wenn auch nicht all zu tief gehende) Verarbeitung der Herrschaftssoziologie Max Webers und der Theorie des symbolischen Kapitals nach Pierre Bourdieu wird ein Hindenburg vorgeführt, der keinesfalls einer der größten Feldherrn der deutschen Geschichte, ja noch nicht einmal des Weltkriegs, gewesen sei; dafür aber sei er einer der größten Profiteure eines Mythos gewesen, der sich aus den Tiefen der deutschen Psyche, der politischen Kultur und der Kriegssituation speiste. Sich des Wertes dieses symbolischen Kapitals voll bewusst, habe Hindenburg selbst viel zu dessen Verbreitung und Gedeihen beigetragen. Seine Strahlkraft rein zu erhalten und sich damit einen Platz in der Geschichte zu sichern, darin sieht Pyta den alles andere überragenden Antrieb im Handeln Hindenburgs. In dem Umfang, wie Pyta dieses Motiv herausstellt, wird ihm die Forschung kaum folgen, doch kann er für sich in Anspruch nehmen, eine neue Perspektive eröffnet zu haben. Weit weniger noch überzeugt die Abwertung der militärischen Leistungen Hindenburgs. Nicht weil dies so sensationell wäre, schon von Zeitgenossen sind unterschwellig immer wieder Zweifel an seinen Feldherrnqualitäten geäußert worden. Nein, Pytas Urteile überzeugen in dieser Hinsicht nicht, weil sie auf zu schmaler Grundlage beruhen, aus zweiter Hand stammen und so gut wie nicht begründet werden.

 

Deutlicher konturiert als bisher wird der weitreichende Einfluss auf die Politik, den er in der Obersten Heeresleitung, selbst noch während der Revolution hatte. Und schließlich wird er bei Pyta in einem bisher nicht gekannten Maße zu einer Potenz der Reichspolitik zwischen 1925 und 1933; getrieben davon, die Einheit des Volkes wiederherzustellen, die es niemals gegeben hat, die vielmehr einem beschränkten Weltbild und Politikverständnis entsprang. Freilich als Motive des Porträtierten werden der Mythos und das Selbstverständnis als Einer des Volkes zu oft, zu mechanisch und in zu verschiedenen Situationen bemüht, als dass sie immer überzeugen könnten.

 

Und schließlich überzeugt die Anlage des Buches nicht. Es wird viel zu viel gesagt, was schon hundert Mal erzählt wurde. Selbst dem historisch interessierten Laien, den Autor und Verlag sicherlich auch mit im Blick hatten, ist damit nicht gedient. Die Masse der Einzelheiten ermüdet und sie ist keinesfalls hilfreich dafür, das Wesentliche der Entwicklung zu erkennen. Eine Reduktion auf das für das Verständnis von Hindenburg Notwendige wäre angebracht gewesen. Dann hätte das Buch an Profil gewonnen und das Anliegen seines Autors wäre deutlicher geworden.

 

Eichstätt                                                                                             Karsten Ruppert