Pailer, Gaby, Hedwig Dohm.
Werhahn-Verlag, Hannover 2011. 125 S. Besprochen von Stephan Meder.
Hedwig Dohm
(1831-1919) gehört zu den stärksten Wortführerinnen der ,ersten’ deutschen
Frauenbewegung im Kaiserreich. Sie ist nicht nur durch ihr Eintreten für
politische Rechte der Frau als Staatsbürgerin, sondern auch durch ihr
facettenreiches literarisches Werk bekannt geworden, das szenische Dialoge,
Komödien, Novellen und Romane umfasst. In der „Geschichte der Frauenbewegung“
schreibt Gertrud Bäumer (1873-1954), für die deutsche Frauenbewegung sei „keine
geistreichere Feder geführt worden, als die von Hedwig Dohm“, doch liege die
Bedeutung ihres Werks „mehr in der Augenblickswirkung einer glänzenden
Persiflage, als in der Mitarbeit an der Theorie, aus der die Frauenbewegung
sich selbst immer besser zu rechtfertigen lernte“.[1] Das Buch Gaby
Pailers zeigt, dass diese Einschätzung, an der im Grunde auch die ,neue’
Frauenbewegung der 1970er Jahre noch festgehalten hat, einer Revision bedarf.
Dies sei anhand der in der Entstehungsphase des Bürgerlichen Gesetzbuches
(BGB) um die Rechtsstellung der Frau geführten Debatten kurz erläutert.
Die Frage nach der
Regelung des Geschlechterverhältnisses war in den beiden Jahrzehnten vor
Inkrafttreten des BGB ein lebhaft diskutiertes Thema. Mit Blick auf den
wachsenden Widerstand von Reformkräften und Frauenvereinen sahen sich die
Verfasser des BGB gezwungen, die angestrebte Ungleichbehandlung der Geschlechter
zu rechtfertigen. Heftig umstritten war insbesondere der sogenannte „Gehorsamsparagraph“
des § 1354 BGB, der erst in den 1950er Jahren durch das Gleichberechtigungsgesetz
aufgehoben wurde. Nach dieser Vorschrift sollte „dem Manne die Entscheidung in
allen das gemeinschaftliche eheliche Leben betreffenden Angelegenheiten
zustehen“. § 1354 BGB diente als Grundlage für die Ungleichbehandlung der Frau
in den verschiedenen Teilbereichen des Familienrechts - etwa im Recht der
Ehewirkungen, des Güterrechts, der Scheidung oder des Rechts der elterlichen
Sorge. Angesichts der Widerstände gegen diese Norm sah sich der BGB-Gesetzgeber
gezwungen, ihren Regelungsgehalt (u. a.) unter Hinweis auf die „natürliche“
Auffassung von der Ehe zu rechtfertigen: „Es entspricht der natürlichen Ordnung
des Verhältnisses, daß die Entscheidung in allen das gemeinschaftliche eheliche
Leben betreffenden Angelegenheiten bei Meinungsverschiedenheiten dem Ehemanne
zusteht“.[2]
Allerdings wurden in
der Entstehungszeit des BGB nicht nur die Vorrechte des Mannes, sondern auch
die Vorrechte der Frau im Namen der „Natur“ gerechtfertigt. Ein Beispiel bildet
das zur Begründung von Reformforderungen um 1900 häufiger zitierte Wort der
französischen Dichterin Georges Sand (1804-1876): „Die Gesellschaft kann die
mütterlichen Rechte aufheben und im Allgemeinen stellt sie dieselben unter die
Rechte des Mannes. Aber die Natur kümmert sich nicht um solche Meinungen und
man wird eine Mutter niemals überzeugen, daß die Kinder ihr nicht etwas mehr
gehören, als dem Vater. Und die Kinder täuschen sich in diesem Punkt eben so
wenig“.
Dohm nimmt in ihrem
Werk die zeitgenössischen Debatten um natürliche Geschlechtercharaktere von
Frauen und Männern auf und hält ihnen die soziale und rhetorische
Konstruiertheit von Geschlecht entgegen. Sie sucht den essentialistischen Diskursen,
wie sie etwa auch im „Ergänzungstheorem“ der bürgerlichen Frauenbewegung einen
Ausdruck finden, zu entkommen und betont die Notwendigkeit, auf die sozialen
Herstellungsprozesse geschlechtlicher Identität zu achten.[3] So kreist denn
auch ihr poetisches Werk um den Versuch, stereotype Vorstellungen über das
Geschlechterverhältnis aufzubrechen. In szenischen Dialogen, insbesondere in den
Lustspielen, werden Geschlechterrollen witzig verhandelt. Im Widerspruch mit
der Realität sind die Protagonistinnen oftmals ökonomisch und sozial autonom
und damit handlungsmächtig. Diese Unabhängigkeit ist für Dohm ein Mittel, um
innerhalb ihrer Dramatik und Narrativik die Möglichkeiten einer ,Individualisierung’
der Frau sondieren zu können.[4] So verweist
etwa schon der an einen Spruch des griechischen Dichters Pindar angelehnte
Titel der Novelle „Werde, die du bist“ (1894) auf das
Ideal, innere Anlagen bestmöglich zur Entfaltung zu bringen. Immer wieder geht
es darum, „die Selbstbewußtwerdung und Wortergreifung von Frauen“ literarisch
vorzuführen: „Wer sich selbst formen will, muß zugleich sich selbst
artikulieren lernen“ (S. 94).
Hedwig Dohm gehört zu
den ersten Schriftstellerinnen, die in Deutschland die Frauenfrage als
Rechtsfrage behandelten. Bekannt sind ihr Plädoyer für das Frauenstimmrecht
oder die Forderungen nach einer Gleichstellung der Geschlechter im privaten und
im öffentlichen Recht.[5] Es ist das
Verdienst Gaby Pailers aufgezeigt zu haben, dass eine Beschränkung auf
die essayistischen Arbeiten für eine Würdigung der familien- und
frauenrechtsgeschichtlichen Bedeutung Dohms nicht ausreicht. In ihrem
Autorinnenportrait hat Pailer die Funktionen gut herausgearbeitet,
welche die geschlechtlich codierte Sprach- und Literatursozialistation im
poetischen Werk Hedwig Dohms erfüllen. Darüber, ob Dohm „poststrukturalistische
Denkmodelle“ schon vorweggenommen hat, lässt sich gewiss streiten (S. 97). Dass
aber Dohm vor allem darauf zielt, die gesellschaftliche Konstruiertheit von
Geschlechterrollen und Geschlechterbarrieren sichtbar zu machen, ist nicht zu
bezweifeln. Sie hat damit nicht nur einen Kernaspekt der in den 1990er Jahren
aufkommenden Gendertheorien artikuliert, sondern auch einen wichtigen Beitrag
zu jener Art von „Theorie“ geleistet, „aus der die Frauenbewegung sich selbst
immer besser zu rechtfertigen lernte“.
Hannover Stephan
Meder
[1] Bäumer,
Gertrud, Die Geschichte der Frauenbewegung in Deutschland, in: Handbuch der
Frauenbewegung, hg. v. ders. und Helene Lange (1901), I. Teil: Die Geschichte
der Frauenbewegung in den Kulturländern, S. 1-166, 75.
[2] Motive
IV, S. 105 (= Mugdan, Bd. 4, S. 59).
[3] Vgl.
z. B. Der Frauen Natur und Recht (1876), in: Die Rechtsstellung der Frau um
1900. Eine kommentierte Quellensammlung (2010), hg. v. Czelk, Andrea/Duncker,
Arne/Meder, Stephan, S. 305-333 (Auszüge), 321-324 („Gewohnheit macht Dinge
so zur zweiten Natur“).
[4] Soweit
ersichtlich ist die Individualisierung der Frau erstmals von Emilie Kempin
(1853-1901) unter rechtstheoretischen Gesichtspunkten eingehender erörtert
worden. Zur aktuellen Debatte über Konzepte „weiblicher Individualisierung“
vgl. Gerhard, Ute, Kernfragen der Geschlechterforschung, in: Geschlechterdifferenz
- und kein Ende, hg. v. Ehlers, Hella, u. a. (2009), S. 179-204.
[5] Vgl.
die Nachweise bei Nave-Herz, Rosemarie, Die Geschichte der
Frauenbewegung in Deutschland, 5. Auflage (1997), S. 13.