Ostermann, Stephanie, Das Klärungsverfahren gemäß § 1598a BGB. Abstammungsrechtlicher Kontext und verfassungsrechtliche Vorgaben (= Schriften zum bürgerlichen Recht 395). Duncker & Humblot, Berlin 2009. 372 S. Besprochen von Adrian Schmidt-Recla.

 

Stephanie Ostermann hat die erste Monographie zu einer eine Schallmauer – die Sperrwirkung von bestehenden Vaterschaften – durchbrechenden Norm (§ 1598a BGB, zum 1. April 2008 in Kraft getreten) vorgelegt. Dabei verfolgt die Autorin weder ein rechtshistorisches Ziel noch eine rechtshistorische Methode. Insofern rechtfertigt sich an dieser Stelle lediglich eine kurze Rezension und keine inhaltliche Auseinandersetzung mit den das geltende bürgerliche Recht betreffenden Argumenten der Verfasserin. Das ist Aufgabe der Kommentar- und der monographischen Literatur zum geltenden Familienrecht. Für die deutsche Rechtsgeschichte wird die Arbeit aber insofern von Bedeutung sein, als sie von Rechtshistorikern (wenn es solche dann noch gibt) gelesen werden wird, wenn das deutsche oder das europäische Abstammungsrecht das im allgemeinen Persönlichkeitsrecht und damit in der allgemeinen Handlungsfreiheit „verankerte“ Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung und Nachkommenschaft voll verwirklicht und sämtliche bislang aufrecht erhaltenen Bindungen abgelegt haben und neben der Anfechtung einer Vaterschaft durch sämtliche an der (natürlichen oder künstlichen) Erzeugung eines Menschen beteiligten Personen auch die Anfechtung der Mutterschaft und die daneben möglichen folgenlosen Kenntniserlangungsverfahren vorsehen wird.

 

§ 1598 a BGB, der den Anspruch auf eine rechtsfolgenlose Abstammungsuntersuchung festschreibt, ist ein Beispiel dafür, wie per se wertfreies Wissen tradierte Werte und Normen unterspült. Der Gesetzgeber folgte mit der Regelung einem Bedürfnis, das die Humangenetik dadurch erzeugt hat, dass sie seit dem Beginn des 21. Jahrhunderts einfache, billige und massenweise verfügbare Tests zur zweifelsfreien Klärung der genetischen Abstammung von Menschen zur Verfügung gestellt hat, einem Bedürfnis, dessen die deutschen Gerichte in der Folge nur schwer Herr geworden sind und das die Neigung zur Pulverisierung von Bindungen und Abmachungen in sich trägt.

 

Die unmittelbare Vorgeschichte der Vorschrift in Rechtsprechung und Gesetzgebung, ihre Einbettung in das seinerzeit geltende Recht und seine Überprüfung an der vom Grundgesetz vorgegeben Ordnung ist der Gegenstand der Konstanzer, von Martin Löhnig betreuten Dissertation der Verfasserin. Sie geht ein auf das die Gesetzgebung in Gang setzende Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 13. Februar 2007, nennt die Konsequenzen dieser Entscheidung und stellt im Anschluss dar, für welche Ordnung der Gesetzgeber sich entschieden hat. Dazu nimmt sie eine Einordnung des § 1598a BGB in den Kontext des deutschen Abstammungsrechts vor, überprüft die Norm anhand des Grundgesetzes und geht dann noch ein auf das Problem der Anwendung der Vorschrift auf die Mutterschaft. In einem dritten Teil nennt sie die ungelösten Probleme und unterbreitet abschließend einen Änderungsvorschlag.

 

Im Ergebnis stellt Ostermann der von ihr betrachteten Norm (und auch dem Bundesverfassungsgericht als dem hinter dem Gesetzgeber stehenden Gestalter der Norm) ein vernichtendes Zeugnis aus. Bereits die dem § 1598a BGB zugrundeliegende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sei mit Mängeln behaftet (einerseits sei die Grundrechtsabwägung unvollständig und andererseits seien die Vorgaben an den Gesetzgeber nicht gut durchdacht, fragwürdig und unklar). Sodann sei der Gesetzgeber diesen fragwürdigen Vorgaben nicht nur gefolgt, sondern habe die grundlegendsten dieser Vorgaben noch in ihr Gegenteil verkehrt. So sei ein auf mangelhafter Grundlage entstandenes, selbst mangelhaftes Verfahren Gesetz geworden.

 

Die Kritik ist berechtigt, wenn (wie Ostermann das tut) davon ausgegangen wird, der Gesetzgeber habe mit § 1598a BGB das Ziel verfolgt, den Dialog in Familie und Gesellschaft zu fördern, die Familie in ihrem sozialen Bestand zu schützen, die Einschaltung der Gerichte zu vermeiden und heimliche Abstammungstests abzuschaffen. Dass sowohl das Bundesverfassungsgericht als auch der Gesetzgeber – an diesem Ziel gemessen – nur ein suboptimales Ergebnis vorlegen konnten, versteht sich beinahe von selbst. Es kann in einem von Scham, Angst, Enttäuschung und Eitelkeit beherrschten sozialen Konflikt nie um Dialog oder Schutz gehen: Wer zum Abstammungstest schreitet, agiert in einem Feld aus Misstrauen, das sich nicht wieder in Vertrauen wandeln kann (auch wenn manche Testlabors in ihren Internetauftritten euphemistisch so tun, als ginge es darum, Vertrauen zu schaffen). Dieser in den Gesetzgebungsmaterialien hoch gesteckte Zweck ist nichts weiter als ein Lippenbekenntnis, das schwer zur kritischen Richtschnur taugt.

 

Abgesehen davon, dass der Gesetzgeber sich die Messlatte so hoch gelegt hat, dass Kritik am Ergebnis nur berechtigt erscheinen kann, ist Ostermann zuzustimmen, wenn sie zu dem Ergebnis kommt, dass das Klärungsverfahren nach geltendem Recht jedenfalls in Ansehung der Vaterschaft kein folgenloses Verfahren sei, sondern mit dem Anfechtungsverfahren verschmelze und damit den rechtlichen Bestand der Familie gefährde. Diese Kritik verschärft sich noch dadurch, dass das Klärungsverfahren unbefristet möglich ist. Ostermann schlägt demgegenüber vor, § 1598a BGB an die Frist des § 1600b BGB zu binden.

 

Ostermann rügt ferner, § 1598a BGB sei insofern verfassungswidrig, als die Grundrechte der Anspruchsverpflichteten ungerechtfertigt dadurch verletzt würden, dass der Anspruchsberechtigte jederzeit voraussetzungslos die genetische Abstammung klären lassen könne. Nun ist freilich genau das der Inhalt des „Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung“ einer- und des „Rechts auf Kenntnis der eigenen Nachkommenschaft“ andererseits. Dass die Argumentation hier zirkulär wird, ist nicht zu verkennen. Wie auch immer der Gesetzgeber und/oder der Interpret sich hier wenden: Die grundrechtlich geschützte Position des jeweils anderen wird zwangsläufig verletzt. Der gordische Knoten lässt sich nur durchhauen, wenn die extensive Handhabung der allgemeinen Handlungsfreiheit zurückgeführt wird. Das wird mit gutem Gewissen niemand wollen. Schließlich sei die grundrechtlich geschützte Position des genetischen Vaters insofernn missachtet, als nur der rechtliche Vater sein Recht auf Kenntnis der eigenen Nachkommenschaft vollumfänglich verwirklichen könne. Auch damit hat Ostermann Recht und hier ließe sich sogar noch am ehesten Abhilfe schaffen, wenn eingesehen wird, dass in vielen relevanten Fällen kaum irgendetwas schützenswertes („Familie“) vorhanden ist: Der genetische Vater braucht dem rechtlichen außerhalb jeglichen Verfahrens nur genügend Gift ins Ohr zu träufeln, bis das Vertrauen in die sexuelle Treue der Mutter dahin ist.

 

So bleibt von Stephanie Ostermanns scharfsinniger, auf der Höhe der Literatur befindlichen Arbeit in Zukunft vielleicht dies: Sie zeigt, dass das gesetzte Recht der normativen Kraft des Faktischen sogar wider bessere Einsicht folgt (denn die kritischen Stimmen erzeugten in den Jahren von 2003 bis 2008 keinen dissonanten Krach, sondern einen ziemlich satten Ton, in den Ostermann einstimmt). Oder anders: Sie belegt, dass die wahre Bestimmung des Dammes sich darin oder erst dann zeigt, dass oder wenn er bricht.

 

Regensburg/Leipzig                                                     Adrian Schmidt-Recla