Noll, Dorothea, ... ohne Hoffnung im Alter jemals nur einen Pfennig Rente zu erhalten. Die Geschichte der weiblichen Erwerbsbiographie in der gesetzlichen Rentenversicherung (= Lebensalter und Recht 4). Klostermann, Frankfurt 2010. IX, 330 S. Besprochen von Werner Schubert.
Das Werk entstand als Dissertation im Rahmen der selbstständigen Nachwuchsgruppe „Lebensalter und Recht“ in Frankfurt im Frankfurter Max-Planck-Institut für Europäische Rechtsgeschichte. Ihre Forschungen sind darauf gerichtet, den Anteil des Rechts an der Einteilung des menschlichen Lebenslaufs durch Lebensabschnitte zu untersuchen. Die Strukturierung des Lebenslaufs, insbesondere die feste Altersgrenze von zunächst 70, später von 65 Jahren, geht im Wesentlichen auf die Sozialversicherungsgesetze von 1889 und 1911 zurück. Eine geschlechtsspezifische Betrachtung der Sozialversicherung im historischen Kontext ist bisher nur vereinzelt erfolgt. Die Arbeit Dorothea Nolls bringt erstmals eine umfassende Geschichte der staatlichen Sozialversicherung aus lebenssoziologischer Sicht hinsichtlich der weiblichen Erwerbsbiographie von 1889 bis in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts. Unter Einbeziehung der Ergebnisse der historischen Frauenforschung wird in erster Linie die Entstehung und Wirkungsgeschichte der Normen der gesetzlichen Rentenversicherung untersucht. Grundsätzlich werden dabei neben den parlamentarischen Materialien auch die dem Gesetzgebungsprozess „vorausgegangenen Vorarbeiten im zuständigen Ministerium und die Reformvorschläge und Stellungnahmen der Versicherungsträger“ und Verbände berücksichtigt (S. 10).
Der Gesetzgeber ging bis zur Rentenreform von 1957 für die Frauen von einem von der männlichen Erwerbsbiographie abweichenden 2-Phasen-Modell aus. Die außerhäusliche Erwerbstätigkeit der Frau beschränkte sich hauptsächlich auf die Lebensphase bis zur Heirat. Erst mit der für Frauen vorgezogenen Altersrente mit 60 Jahren trug der Gesetzgeber 1957/1968 der zunehmenden Erwerbstätigkeit der Frauen (3-Phasen-Modell) Rechnung. Die Gliederung der Untersuchungen folgt der zeitlichen Abfolge der Sozialversicherungsgesetze bzw. deren Änderungen. Zunächst geht es um die Rechtsstellung der Arbeiterinnen nach dem Invaliditäts- und Altersversicherungsgesetz von 1889 (S. 17ff.) und anschließend um das Angestelltenversicherungsgesetz von 1911 (S. 25ff.). Es folgt ein weiterer Abschnitt über die Alterssicherung der Frau während des Ersten Weltkriegs, in der Weimarer Zeit und während des Nationalsozialismus (S. 147ff.). Die Rentenreform von 1957 wird unter der Überschrift: „Der Verzicht auf erwerbsabhängige Altersversorgung“ behandelt (S. 239ff.). Für den gesamten Untersuchungszeitraum arbeitet Noll insbesondere die strukturelle Benachteiligung der Frau in der Rentenversicherung heraus. Ohne dass hier auf alle Einzelheiten eingegangen werden kann, sei darauf hingewiesen, dass ein wichtiger Teil der Untersuchungen die Beitragserstattung und deren familien-, bevölkerungs- und arbeitsmarktpolitischen Ziele bilden. Bereits nach der Rentenversicherung von 1889 hatte die Frau einen Anspruch auf Heiratserstattung hinsichtlich der Hälfte der eingezahlten Beiträge. 1911 wurde die Heiratserstattung für die Arbeiterinnen nach der Reichsversicherungsordnung zwar abgeschafft, jedoch gleichzeitig die noch sehr niedrige Witwenrente eingeführt. Das Angestelltenversicherungsgesetz, das demgegenüber eine Heiratserstattung und wahlweise eine Leibrente vorsah, berücksichtigte zwar die weiblichen Lebensverhältnisse erstmals etwas stärker als das Gesetz von 1889, ohne die Benachteiligung der weiblichen Angestellten zu beseitigen. 1916 wurde der Eintritt in das Rentenalter von 70 auf 65 Jahre festgesetzt. Im Angestelltenversicherungsrecht spielte die Beitragserstattung in der Weimarer Zeit als arbeitsmarktpolitisches Instrument eine wichtige Rolle. Sie wurde 1937 durch das sog. Ausbaugesetz in der RVO wieder eingeführt. Zwischen 1945 und 1957 erfolgte eine Beitragserstattung nur noch in Rheinland-Pfalz und in den südbadischen Gebieten (S. 274) und wurde erst wieder 1957 in § 1304 RVO und § 83 AVB wiederbelebt (S. 275ff.). Jedoch wurde durch das Finanzänderungsgesetz zum 1. 1. 1968 die Beitragserstattung endgültig abgeschafft (S. 292ff.). 1969 wurde für die Frauen, die sich hatten auszahlen lassen, die Nachversicherung unter bestimmten Voraussetzungen gestattet. Ab 1985 erfolgte eine Anrechnung von Kindererziehungszeiten. Die Rentenreform von 1957 war geprägt von dem Grundsatz, dass die Familie das Fundament der Gesellschaft und die Frau das Fundament der Familie sein sollte (S. 259). Sie brachte zwar mit der Einführung der dynamischen Rente allgemein große Verbesserungen (Steigerung der Rente für den Mann um 73%, für die Frau jedoch nur um 39%, da man den Versicherungsgrundsatz stärker als bisher betonte, S. 263) und verzichtete auf den Anwartschaftsverfall, führte jedoch keine Mindestrente ein. Die bereits 1911 geforderte Elternrente (nach dem Tod von ledigen weiblichen Versicherten, die ihre Eltern oder nahe Angehörige versorgt hatten) wurde 1957 von der CDU/CSU verhindert (S. 269ff.).
Den Abschluss des Werkes bildet ein „Resümee“ (S. 303-307), das im Hinblick auf die zahlreichen angesprochenen Themen im Ganzen hinsichtlich der sozialrechtlichen Regelungen hätte etwas ausführlicher sein können, zumal Noll auf Zusammenfassungen zum Abschluss der einzelnen Kapitel verzichtet hat. Auch im Übrigen wäre eine teilweise präzisere Herausarbeitung der sozialrechtlichen Details wünschenswert gewesen, obwohl es nicht Aufgabe dieses Werkes sein konnte, sozialrechtliche Grundkenntnisse zu vermitteln. Neben dem Personenregister wäre auch ein Sachregister hilfreich gewesen. Insgesamt erschließt Noll mit ihrem teilweise narrativ angelegten, interessant zu lesenden Werk einen wichtigen und unverzichtbaren Teil der Geschichte der Rechtsstellung der Frau im ausgehenden 19. und 20. Jahrhundert.
Kiel |
Werner Schubert |