Nieder, Gabriele, Ferdinand Christoph Harpprecht (1650-1714). Tübinger Rechtsprofessor und Württembergischer Rat für Mömpelgarder Angelegenheiten zur Zeit der französischen Reunionen (= Tübinger Rechtswissenschaftliche Abhandlungen 111). Mohr (Siebeck), Tübingen 2010. XI, 294 S. Besprochen von Gunter Wesener.

 

Für vorliegende Untersuchung setzte sich die Verfasserin das Ziel, das höchst erfolgreiche Juristenleben Ferdinand Christoph Harpprechts möglichst umfassend darzustellen. Ferdinand Christoph stammte aus einer überaus angesehenen Tübinger Juristenfamilie. Schon sein Urgroßvater Johann Harpprecht (1560-1639) wurde nach kurzer Tätigkeit am Reichskammergericht Professor der Institutionen in Tübingen. Dessen umfangreicher vierbändiger Institutionenkommentar, der auch das heimische Recht berücksichtigt, ist der Richtung des Usus modernus zuzurechnen. Sowohl Großvater Christoph (1596-1637) als auch Vater Johann Christoph (1625-1676) waren Hofgerichtsadvokaten in Tübingen.

 

Teil I der Arbeit (S. 5-151) ist dem Werdegang Ferdinand Christoph Harpprechts gewidmet. Im Abschnitt über seine Studienzeit 1664-1673 (S. 17ff.) wird auf die Entwicklung von juristischen Lehrveranstaltungen, Lehrstoff und Lehrmethode insbesondere an der Universität Tübingen eingegangen. An dieser Universität bestanden nach ihrer Gründung (1477), wie vielfach üblich, eine Institutionen-, eine Codex- und eine Pandektenprofessur sowie drei kanonistische Ordinariate (S. 25)[1]. Neben den lectiones publicae, den Pflichtvorlesungen der Ordinarien, spielten vor allem die Disputationen eine wichtige Rolle (S. 26). Gegen die exegetisch-dialektische Methode des Mos Italicus konnte sich die humanistische Reformbewegung in Tübingen nicht durchsetzen (S. 28f.). Erst die sogenannte ramistische Methode, eine Darstellung nach der Paratitla-Manier und dem Causae-Schema, konnte allmählich an den Universitäten, so auch in Tübingen, an Bedeutung gewinnen (S. 32f.)[2]. Als Beispiel für die Anwendung dieser Methode gilt etwa W. A. Lauterbachs Compendium Juris (K. Luig, Lauterbach, NDB 13, 1982, S. 738). Wolfgang Adam Lauterbach (1618-1678), einer der wichtigsten Vertreter des Usus modernus, zunächst Professor der Institutionen, dann der Pandekten an der Universität Tübingen, Senior facultatis, hatte als Lehrer den größten Einfluss auf Ferdinand Christoph Harpprecht (S. 36ff.). Eine Vorlesung über Natur- und Völkerrecht (jus naturae et gentium) gab es in Tübingen zu dieser Zeit noch nicht (S. 44f.). Am 2. Oktober 1673 schloss Harpprecht seine juristischen Studien ordnungsgemäß mit dem Lizentiat ab. Der Doktortitel, der keinen weiteren Qualifikationsnachweis erforderte, aber mit Kosten verbunden war, wurde ihm bereits einen Tag nach der Erlangung des Lizentiats verliehen (S. 49).

 

Ein weiterer Abschnitt (S. 55ff.) ist Harpprechts Tätigkeit als Hofgerichtsadvokat und seiner Rolle im „Vormundschaftsstreit“ des Jahres 1677 gewidmet.

 

Von 1678 bis 1691 wirkte Ferdinand Christoph Harpprecht als Codexprofessor an der Eberhard-Karls-Universität in Tübingen. Ein zentrales Anliegen der Darstellung (S. 67ff.) ist Harpprechts Bedeutung für den Tübinger Lehrbetrieb. Untersucht werden ferner Harpprechts Konsiliartätigkeit und seine Konsiliensammlungen (S. 97ff.). Dabei wird auch auf die Funktion des Instituts der Aktenversendung, das für die Tübinger Juristenfakultät eine wichtige Rolle spielte, eingegangen.

 

In den Jahren 1692 bis 1700 hatte Harpprecht die Tübinger Pandektenprofessur inne und war nunmehr Senior facultatis (S. 117ff.). Seiner Vorlesung dürfte er Lauterbachs Compendium juris zugrunde gelegt haben, das er im Jahre 1697 in verbesserter Form edierte (S. 133f.). Nach kurzer Krankheit verstarb Harpprecht am 9. November 1714 im 65. Lebensjahr.

 

Im Hinblick auf den breiten Untersuchungsansatz musste leider „eine eigenständige Analyse und Bewertung der Harpprechtschen Konsilien und des sonstigen wissenschaftlichen Nachlasses entfallen“ (Verf. Einleitung S. 2).

 

Teil II (S. 153-262) behandelt „Harpprechts Rolle bei der Verteidigung der Grafschaft Mömpelgard und der Quatre Seigneuries gegen die Reunionspolitik Ludwigs XVI.“ Harpprecht hat sich als Rat des Herzog-Administrators Friedrich Carl große Verdienste um die Erhaltung dieser linksrheinischen Grafschaft erworben.

 

In einer instruktiven Schlussbetrachtung (S. 263-270) wird Ferdinand Christoph Harpprecht sehr zu Recht als „ein Gelehrter des Usus modernus“ charakterisiert, der seinem Vorbild Wolfgang Adam Lauterbach nachstrebte (S. 265).

 

Die Verfasserin hat nicht nur den Werdegang und die Laufbahn Ferdinand Christoph Harpprechts äußerst sorgfältig und eingehend dargestellt, sondern auch das wissenschaftliche und politische Umfeld beleuchtet. Methoden, Lehrfächer und Rechtspraxis der Tübinger Juristenfakultät werden in ihrer Entwicklung behandelt. Die Untersuchung ist somit zugleich ein wichtiger Beitrag zur Tübinger Universitätsgeschichte.

 

Graz                                                                                       Gunter Wesener



[1] Vgl. K. K. Finke, Die Tübinger Juristenfakultät 1477-1534 (Tübingen 1972) 29 ff.; H. Peter, Die juristische Fakultät und ihre Lehrfächer in historischer Sicht, JuS 1966, 11ff., insbes. 12f.; G. Köbler, Zur Geschichte der juristischen Ausbildung in Deutschland, JZ 1971, 768ff.

[2] Zu Methodenvorstellungen des 16. Jahrhunderts grundlegend J. Schröder, Die ersten juristischen „Systematiker“, in: FS für St. Gagnér zum 3. März 1996 (Ebelsbach/Main 1996) 111ff., insbes. 131ff. [nun in: J. Schröder, Rechtswissenschaft in der Neuzeit (Tübingen 2010) 1ff., insbes. 18ff.]. -  Zur Reform des Unterrichts und der juristischen Lehrmethode an der Universität Ingolstadt Mitte des 17. Jahrhunderts H. Wolff, Geschichte der Ingolstädter Juristenfakultät 1472-1625 (Berlin 1973) 33ff., 48ff.; G. Wesener. Kaspar Manz, a German Jurist in the Seventeenth Century: A Man of Theory and Practice, in: Critical Studies in Ancient Law, Comparative Law & Legal History. Essays in Honour of Alan Watson (Oxford 2001) 399ff., insbes. 402ff.