Mühlhäuser, Regina, Eroberungen. Sexuelle Gewalttaten und intime Beziehungen deutscher Soldaten in der Sowjetunion, 1941-1945. Hamburger Edition, Hamburg 2010. 416 S., 37 Abb. Besprochen von Martin Moll.

 

Der Titel dieser 2008 an der Universität Köln angenommenen und für den Druck überarbeiteten Dissertation gibt den Inhalt nicht ganz korrekt wieder, denn mindestens die Hälfte des Buches beschäftigt sich mit der für den Rechtshistoriker relevanten Frage, wie das NS-Regime mit den unterschiedlichen Varianten sexueller Beziehungen deutscher Besatzer (überwiegend, aber keineswegs ausschließlich Soldaten von Wehrmacht und Waffen-SS) zu einheimischen Frauen in den okkupierten Teilen der Sowjetunion und mit der daraus resultierenden Nachkommenschaft umging bzw. umzugehen versuchte. Die Arbeit steht im Kontext einer breiten geschlechter-, aber auch alltagsgeschichtlichen Forschung, die nach den Kriegserlebnissen einfacher Menschen abseits des Kampfgeschehens und nach deren erfolgter oder unterbliebener Verarbeitung nach Kriegsende fragt. Eine knappe, präzise Einleitung führt in die hierzu aufgestellten Theorien sowie in den Forschungsstand ein.

 

Der Hauptteil befasst sich sodann mit den – wie die Autorin sie nennt – sexuellen Begegnungen deutscher Besatzer und einheimischer Frauen auf dem Territorium der Sowjetunion; hier wie auch an sonstigen Stellen werden interessante Vergleiche mit anderen okkupierten Gebieten in West- und Nordeuropa präsentiert. Die erwähnten Begegnungen teilt Mühlhäuser in drei große Gruppen mit häufig fließenden Übergängen ein: Sexuelle Gewalt; Tauschgeschäfte (womit sowohl gewerbliche Prostitution als auch das nur gelegentliche Hingeben von Frauen zwecks Erlangung von Lebensmitteln etc. gemeint sind) sowie einvernehmliche Verhältnisse, die wiederum vom einmaligen Geschlechtsverkehr bis hin zu länger dauernden, gelegentlich sogar in Ehen mündenden Beziehungen reichen konnten. Die Zuordnungen der zahlreich präsentierten Fallbeispiele sind in der Regel plausibel, wenngleich die Verfasserin zu Recht betont, wie stark bei ein und demselben Paar die Einschätzung des Mannes von jener der Frau divergieren konnte. Bei allen drei Gruppen wird ferner dargelegt, mit welchen Narrativen – wenn überhaupt – die sexuellen Kriegserlebnisse in der Nachkriegszeit kommuniziert wurden, wobei sich der Bogen von verklärter Landser-Romantik bis zum beharrlichen Schweigen jener Frauen spannt, die auch nach 1945 gerade wegen ihrer Kontakte zu deutschen Besatzern stigmatisiert wurden.

 

Von besonderem Interesse für den Rechtshistoriker sind jene Passagen, welche die Steuerungsversuche der deutschen politischen und militärischen Führung untersuchen. Das NS-Regime war realistisch genug, auf den aussichtslosen Versuch der gänzlichen Unterdrückung von Kontakten Deutscher zu Einheimischen zu verzichten, selbst wenn es sich bei den Sexualpartnerinnen in der Sowjetunion häufig um Frauen slawischer Volkszugehörigkeit handelte. Sieht man von den unablässig wiederholten (daher wohl als wirkungslos anzusehenden) Ermahnungen zu sexueller Enthaltsamkeit einmal ab, ließ sich die erstrebte Kontrolle am ehesten über die allerorten im besetzten Europa etablierten Wehrmachtsbordelle erzielen, die zugleich die befürchtete Ausbreitung von Geschlechtskrankheiten eindämmen sollten.

 

Auch in der Frage der – häufig „rassisch unerwünschten“ – Besatzungskinder neigte das Regime insgesamt, ungeachtet seiner ideologischen Prämissen, auf Kriegsdauer einem pragmatischen Standpunkt zu. Mühlhäuser referiert breit den endlosen und kontroversen Diskurs der zahlreich beteiligten deutschen Stellen darüber, wie mit diesen als Träger von 50 % deutschen Blutes eingestuften Kindern zu verfahren sei, wobei der divergierende ethnische Hintergrund der Mütter, die häufig ungeklärte Vaterschaft, Verheimlichungsbestrebungen sowie kriegsbedingter Ressourcenmangel die angestrebte Erfassung sämtlicher Besatzungskinder in den Anfängen steckenbleiben ließ. Bis heute kann daher über die Zahl dieser Kinder nur spekuliert werden.

 

Die Autorin hat eine beeindruckende Fülle von Literatur und Quellen (amtlicher Schriftverkehr sowie Ego-Dokumente wie Tagebücher, Feldpostbriefe usw.) herangezogen und mit subtilem Einfühlungsvermögen ausgewertet. Sie bewegt sich souverän in der Gedanken- und Gefühlswelt ihrer Protagonisten; gelegentliche Irrtümer bei der Wiedergabe militärischer Details ändern an diesem Urteil nichts Wesentliches (unsinnig ist etwa die Behauptung auf S. 240, ein 1916 geborener und 1935 erstmals eingerückter Soldat sei 1941 bereits General der Artillerie gewesen). Der in einer klaren Sprache verfasste und ansprechend bebilderte Band spricht sowohl Leser mit Interesse für individuelle Schicksale an als auch jene, die sich über die angestrebte rechtliche Regulierung von Besatzersexualität und Besatzungskindern im Wirrwarr von NS-Rassenideologie, virulenten Männlichkeitsidealen und Pragmatismus informieren möchten.

 

Graz                                                                                                   Martin Moll