Meinel, Florian, Der Jurist in der industriellen Gesellschaft. Ernst Forsthoff und seine Zeit. Akademie Verlag, Berlin 2011. XIII, 557 S., Abb. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Auf dem Umschlagfoto blickt Ernst Forsthoff vor einer Ecke eines wenig aussagekräftigen Raumes zurückhaltend und abwägend auf seinen Betrachter, den rechten Unterarm auf die Armlehne seines Sessels gestützt, die linke Hand in der Hosentasche. Erkennbar sind vielleicht eine Bürolampe und ein halb gefülltes Sektglas. Kaum etwas deutet auf den Juristen in der industriellen Gesellschaft, gleichwohl hat ihn der Verfasser in seiner beeindruckenden, von Gunnar Folke Schuppert betreuten, im Sommersemester 2010 der juristischen Fakultät der Humboldt-Universität in Berlin vorgelegten Dissertation mit diesen knappen Worten charakterisiert.

 

Gegliedert ist die Arbeit nach einer Einleitung in vier Teile. Davon beginnt die Einleitung mit einem Prolog, in dem Franz Beyerle im Juni 1934 den gerade einunddreißigjährigen, 1933 nach Frankfurt am Main berufenen Forsthoff als ungewöhnlich sicheren, lebendigen und in seinen Formulierungen ansprechenden Dozenten beschreibt, den er für viel begabter als sich selbst hält (um von noch Langweiligeren zu schweigen), der von allen die nächste Fühlung mit der Studentenschaft hat und der Lager und dergleichen ausgezeichnet auf die Beine zu stellen und zu lenken weiß. Danach ermittelt der Verfasser Forsthoffs grundlegende Fragestellung als die mit dem Ende der Monarchie und der bürgerlichen Gesellschaft, mit dem Übergang zur Massendemokratie und zum bürokratischen Staat der Daseinsvorsorge entstandene, durch alle Staatsformen (zwischen 1925 und 1975) hindurch virulent gebliebene Verfassungsfrage des 20. Jahrhunderts, die sich auch auf den Juristen auswirkende Auflösung der bürgerlichen Distanz zwischen Individuum und Staat, beschreibt knapp und klar den Stand der Forschung und legt umsichtig seine Quellen dar.

 

Der erste Teil untersucht die Einflüsse und Bedingungen der geistigen Entwicklung Ernst Forsthoffs, der durch sein elterliches Pfarrhaus, die Geburt im Jahre 1902 und durch die Begegnung mit Carl Schmitt in Bonn im Sommersemester 1923 sehr stark geprägt ist. Bei Schmitt sah sich Forsthoff nach eigenen Worten „zum erstenmal dem Geist des Rechts und der Rechtswissenschaft gegenüber“ und wurde zum Juristen, in dem ein Bewusstsein von der Aufgabe und Würde des Rechts und der Juristen wach geworden war. In der Folge entschied er sich nach Carl Schmitt für den totalen Staat

 

Im zweiten Teil untersucht der Verfasser die verstehende Verwaltungsrechtswissenschaft. Wichtigste Grundfrage wird hier das allgemeine Verwaltungsrecht als System, wobei am Ende das Scheitern der verwaltungsrechtlichen Systembildung zu konstatieren ist. Ordnungsidee des modernen Verwaltungsrechts wird auf dieser Grundlage die Daseinsvorsorge als Staatsphilosophie der leistenden Verwaltung, wobei nun der Staat der Industriegesellschaft hervortritt.

 

Der dritte Teil betrifft die Zeit nach der Utopie, die mit dem Jahr 1935 beginnt, so dass der Verfasser sehr sorgfältig die auch eine langjährige Trennung von Carl Schmitt einschließenden Lebensumstände zwischen 1935 (Wechsel nach Hamburg, 1936 nach Königsberg und gleichfalls unbefriedigend nach Wien, 1943 nach Heidelberg) und 1945 darlegt und die daraus gezogenen Konsequenzen sichtbar macht. Die Lebensumstände von 1945 bis 1952 sind zunächst beherrscht von dem Ausschluss von der Lehre und vom Amt, dem erst 1949 bzw. 1952 eine allmähliche Rückkehr folgt. In dieser Zeit gelingt Ernst Forsthoff freilich mit dem 1950 in erster Auflage vorgelegten, bis zur zehnten Auflage von 1973 fortgeführten Lehrbuch des Verwaltungsrechts das Werk, das ihn in der juristischen Allgemeinheit besonders bekannt gemacht hat.

 

Der vierte Teil sieht sich im Staat der Industriegesellschaft. Der Rechtsstaat ist am Ende, eine skeptische Verfassungstheorie liegt nahe und die Frage nach Beruf und Schicksal des Juristen erhebt sich. Dementsprechend empfand sich Forsthoff schließlich mehr und mehr als letzter „Jurist in der industriellen Gesellschaft“, dessen geschichtsphilosophische Zweifel am Sinn von Rechtswissenschaft sich auf Polemik und Erinnerung verengten.

 

Insgesamt bietet der Verfasser eine eindringliche und überzeugende Charakterisierung eines der bedeutendsten deutschen Öffentlichrechtler des 20. Jahrhunderts, der ungeachtet aller eigenen Entwicklungen geschichtliches Bewusstsein, Vertrauen in die Verlässlichkeit der Normalität, redlichen Dienst an der Praxis, festes Staatsethos und unverstellte, freie Vaterlandsliebe zu den Tugenden des wahrhaft großen Juristen zählt. Die literarischen Grundlagen für diese ansprechende Leistung sind am Ende ausführlich nachgewiesen. Register schließen das Werk vorteilhaft auf.

 

Innsbruck                                                                                           Gerhard Köbler